Erstellt am: 6. 2. 2012 - 11:24 Uhr
Spion in Spitzelhöschen
Selten ist Nomen so wenig Omen wie im Falle von George Smiley. Der britische Agent im Zwangsruhestand trägt einen dünnen Strich statt eines Lächelns im Gesicht. Aber es gibt ja auch nichts zum Lachen, im Circus dem britischen Geheimdienst der 1970er Jahre, wie ihn John Le Carré in seinen Romanen entworfen hat. "Tinker, Tailor, Soldier, Spy" verhält sich beim Thema "Geheimdienst" zu James Bond ungefähr so wie "Die Hure" zu "Pretty Woman", wenn es um Prostitution geht. Kein Glam, kein Happy End, keine schnittigen Oneliner. Keine Welt, in der - abgesehen von ein paar in Klischees erstarrten Nebenfiguren - nur Heterosexualität zu existieren scheint.
Stattdessen zunächst mal ein Büroalltag mit Spionen als Beamte des kalten Krieges. Ein Verwaltungsapparat mit bürokratischen Vorschriften und ohne Moneypenny. Auf der Weihnachtsfeier gibt's schlechte Bowle und einen Weihnachtsmann mit Lenin-Maske. Den Alltag dominieren Telefonate, Aktenordner und ein schrecklicher Verdacht. Einer der Männer, die um den Tisch im schalldichten Raum sitzen, ist ein Maulwurf. Ein Doppelagent. Ein fauler Apfel.
emw
Für die Demaskierung des Feindes in den eigenen Reihen kehrt Smiley (endlich Oscar-nominiert: Gary Oldman) aus dem Ruhestand zurück und aus Nachforschungen und Erinnerungen setzt er das Puzzle zusammen. Während die 1960er Jahre auf der Leinwand meist hochpoliert glänzen, haben die 1970er Jahre die Lizenz zur Muffigkeit. Gerade so, als hätte sich die Ernüchterung über die nicht erfüllten Erwartungen in das Annus Mirabilis und all seine Versprechungen in einen Grauschleier verwandelt, der sich über die Welt gelegt hat. Dazu kommt noch das schlechte Wetter in London, oh boy.
Well hello, Tristesse
Tomas Alfredson kreiert mit "Tinker Tailor Soldier Spy" eine Ode an die Schummrigkeit, und die Dämmerung. Smiley tappt im Halbdunkeln, metaphorisch wie wörtlich. Mit gedämpfter Farbpalette zeichnet sich eine unentrinnbare Tristesse auf die Leinwand. Wenn Peter Guillam (Benedict Cumberbatch) einmal die Vorhänge zurückzieht und Licht in eine Wohnung fallen lässt, muss man beinahe blinzeln. Es ist der erste Film, der in mir das Bedürfnis weckt, Staub zu wischen.
emw
In der Rhapsodie in Braun/Beige und Grau finden sich aber immer wieder Imbisse in Rot und Blau für Augen, die nach Primärfarben dürsten. Ein roter Schiffsrumpf auf blauen Wellen, ein blaues Auto und ein roter Anhänger, eine amerikanische Flagge und die Deko-Ballons auf einer MI6-Weihnachtsfeier. Ähnlich sparsam wie mit Farben geht Alfredson auch mit Emotionen um. Nüchtern aber niemals öde arrangiert er die Figuren in diesem Spionage-Kammerspiel voller Männer, die weder Contenance noch das Gesicht verlieren wollen. Wir betrachten diese Versuchsanordnung um Misstrauen, Verdacht und Loyalität aus Distanz; die braucht man auch, um den Überblick zu bewahren, in dem Karussell aus Namen, Identitäten und Verstrickungen.
Wenn dann eine getriebene Figur auftaucht wie der imposante Tom Hardy als Ricky Tarr, der Bursche für die gröberen Angelegenheiten, dann rüttelt einen seine Unrast, Unzufriedenheit und Ungeduld umso stärker durch, weil zuvor alles Gefühlige draußen gehalten wurde. Hardy, der sagt, er möchte nicht so werden wie die Anderen. Seine Figur ist die einzige, die in Licht getaucht wird, bei einem Einsatz in Istanbul. Seine Raulederjacke leuchtet geradezu im Vergleich zu den beigen und dunkelblauen Mänteln seiner Kollegen. Er ist der impulsive Ausreißer in der Riege der gefassten Männer. Aber auch die hadern mit den Bürden, die das Leben als Agent mit sich bringt. Wenn Benedict Cumberbatch versucht, Trauer zu unterdrücken und wenn Gary Oldman in zweimaligem Anlauf den Mund zu einem halben Lächeln verzieht, dann ist das vergleichbar - wenn nicht sogar stärker - als ein Tränenstrom und ein Lachanfall in einem anderen Film.
emw
There's glass between us
Mit Empathie aber ohne emotionale Manipulationen am Publikum erzählt Alfredson, dirigiert diese unglaubliche Schauspielerriege (John Hurt! Colin Firth! Mark Strong!) langsam, ohne Pomp und mit einer Sachlichkeit, die auch die Büros des Circus, wie der MI6 genannt wird, ausstrahlen. Immer auf Abstand bedacht ist auch die Kamera, wir sind der Beobachter, der einen großen Respektabstand einhält, die Kameraarbeit von Hoyte van Hoytema isoliert uns genauso wie Smiley, Tarr, Giulam und Prideaux. Immer wieder trennt uns die Kamera durch kaltes Glas von den ganz und gar unjamesbondigen Männern ihrer Majestät. Eingeschlossen und allein starren die getriebenen Agenten aus Fenstern - ab und zu in die Ferne, ab und zu in gegenüberliegende Wohnungen. Umso größer die Nähe und Relevanz, wenn uns Smiley in einem Moment plötzlich in einer Nahaufnahme entgegenblickt und sogar die Brille abnimmt.
Kein Platz für Dummheiten
"Tinker Tailor Soldier Spy" illustriert Einsamkeit, während im Hintergrund eine Trompete melancholisch vor sich hin wabert. Wenn Smiley angesichts von unerwarteter Freude und Glück gegen Ende fast strauchelt, so sehen wir das nur von hinten. Man kann's auch leicht übersehen, denn Alfredson hat einen Film gemacht, der Aufmerksamkeit fordert. Und man bemerkt oft erst, wie sich Dummheit eingeschliffen hat, wenn es mal wieder jemand klug macht. Im Krimi/Spionage/Thriller-Genre hat sich ja eine gewisse Verdummung in der Erzählweise eingeschlichen, die sichergehen will, dass man die Auflösung auch begriffen hat, wenn man nur mit einem Ohr zugehört hat.
emw
Meistens gibt es dann eine Figur, die wie eine Art Audiokommentar wichtige Entdeckungen ausspricht. Du meinst also, Emmerson wusste die ganze Zeit, dass die Pläne falsch sind? Damit man auch in diesem Moment weiß, wer Emmerson ist, sprechen sich Figuren in diesen Filmen in alter "Reich und Schön"-Manier, dauernd mit Namen an. "Tinker Tailor Soldier Spy" hingegen gibt sich ähnlich verschlossen wie seine Charaktere, man sollte ein gutes Namensgedächtnis haben und wachsam sein. Macht es einfach wie Smiley: sehen, zuhören, Schlüsse ziehen.
"Tinker Tailor Soldier Spy" läuft seit 3. Februar 2012 in den österreichischen Kinos
Das Detail steht fürs Ganze
Regisseur Tomas Alfredson erweist sich hiermit endgültig als raffinierter Dompteur unserer Blicke, als Beschwörer der Publikumsgeduld, als grandioser Spannungs-Handwerker und als Meister der Reduktion. Ein Schuss statt einem Kugelhagel. Eine Träne statt Geheul. Ein auf einen Tisch klatschender Angstschweißtropfen statt einem Dialog über Furcht und Nervosität. Und wenn er aus seiner kontrollierten, maskulinen Welt aus Paranoia, Misstrauen und Angst ausbricht, dann mit exzellent sitzenden Überraschungen. Da steht dann in einem fast frauenlosen Film in riesigen Lettern "The Future is Female" auf einer Mauer, und dann ertönt da in voller Länge ein Song, den Alfredson schlicht als everything that MI6 is not beschreibt. Tomas Alfredsin beherrscht beides, die detailgenaue Komposition, die Regeln des Genres, und nur deswegen kann er sie so schön brechen.