Erstellt am: 5. 2. 2012 - 14:57 Uhr
Song Zum Sonntag: Soap & Skin
"Vater", das zentrale Stück auf Soap & Skins neuem (Mini) Album "Narrow" ist eine Erinnerung an ihren verstorbenen Vater.
Ich war bisher kein Fan: Skeptisch gegenüber der anfänglichen Kindfrau-Inszenierung ihrer künstlerischen Persona, dachte ich, prophezeien zu können, wie dieses Stück wohl aussehen könnte: Dürre Moll-Akkorde, lange Pausen, Galas-hafte Entäußerung im Gesang, das ganze Programm. Daneben.
Das Stück erfüllt all das - was für eine Hymne der Trauer auch nicht ganz falsch gewesen wäre - doch es geht weiter.
Durch einen ähnlichen eigenen Trauerfall, an dem ich lange zu arbeiten hatte und bei dem ich mir immer das Talent gewünscht hätte, die wirren Gefühle des Trauernden in Kunst zu gießen, war bei dieser Skepsis wohl auch Neid dabei, das selber nicht zu können, und es war Verachtung, manchmal Hass dabei, auf die, die das Unbegreifliche in oft gehörte Trauerworte und Klischeeakkorde hüllen und damit leichtes Tränengeld verdienen. Doch diese Nummer ist anders.
Marco Prenninger
Legitim ist, dass Soap & Skin in den ersten beiden Zeilen von "Vater" das wohl berühmteste Trauergedicht Englands paraphrasiert: "Stop all the clocks, cut off the telephone, Prevent the dog from barking with a juicy bone", heißt es in W.H. Audens "Funeral Blues", das den meisten Leuten wohl aus der Begräbnisszene in "Four Weddings and a Funeral" erinnerlich ist. Im Vergleich zu Benjamin Brittens Vertonung dieser Grabrede, die an dissonanter Dramatik nichts auslässt, ist die Musik zu "Vater" nahezu beschwingt. Auch, ähnlich wie bei Auden, mischt sich in die Trauer und Fassungslosigkeit des Anlasses eine Art profanisierender "comic relief" (Auden erinnert an Hunde und Polizisten, Soap & Skin möchte eine Made sein und reimt in einer Zeile kindlich lauter Worte mit der Silbe "au"). Dies ist für die meisten Trauernden verständlich: Wer schon einmal einen geliebten Menschen verloren hat, weiß, wie leicht auf Begräbnissen Kalauer oder Lacher einem trauernden Herz entweichen können, das das Unfassliche nicht mit der gebotenen Gemessenheit plötzlich fassen kann, nur weil es der Augenblick oder die Übereinkunft es verlangen. "Mit welchem Herz? mit welchem Körper?" soll einem so etwas gelingen, wenn man nur zurück haben will, was einem genommen wurde, wenn man nur wartet, dass es alles nicht wahr ist und er plötzlich wie gewohnt zur Türe reinkommt.
Diese kleine Stimmung in einem Trauerlied zu verstecken ist große Kunst.
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über "Vater" von Soap & Skin macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
Im zweiten Teil wird es etwas dramatischer und dissonanter, es mischt sich Wut in den Abschied (auch das kennt jeder), die Stimme überschlägt sich anhand der eigene Ohnmacht, das Klavier spielt eine Tonleiterphrase - wie wenn es von der Sängerin alleingelassen worden wäre. Dann ein Take down und das große Versprechen, das große Hadern gegen den Himmel: "Um alles in der Welt, das dich am Leben hält, zerschlag ich auch mein Himmelszelt, auf dass es unter dir zusammen fällt" - diese Zeilen sind nicht geschmettert oder geheult, sondern in einem Nico-haften, die Silben leicht dehnenden Rezitativ vorgetragen - und dann kommt ein großartiger, orchestraler Schluss mit Geigen und Schlagzeug, eine Steigerung, wie man sie bei weniger sicheren und überlegten Kompositionen schon nach einer Minute vermutet hätte. Die letzten vierzig Sekunden Bombast hängen über dem darin untergehenden Wunsch "bis du dich endlich wieder zeigst". Noch ein Akkord. Aus. Groß.
Sie hat es geschafft: Vater ist ein großes Kunstlied für einem Geliebten.