Erstellt am: 4. 2. 2012 - 14:57 Uhr
It´s not a bug, it´s a feature
Bluescreens bei Betriebssystemen, unschöne Artefakte in Videodateien und 404-Fehler im Web: Technik ist voller Bugs. Anstatt diese Fehler mittels Software-Updates aus der Welt zu schaffen oder so zu tun, als ob sie nicht existieren, stellt die Transmediale, das Festival für Medienkunst und digitale Kultur in Berlin, diese in den Mittelpunkt des Geschehens. Fehler werden nicht nur toleriert, sondern sind ausdrücklich erwünscht. Denn spannend ist es eben erst, wenn nicht alles reibungslos abläuft, sondern inkompatibel ist.

FM4 / Alex Wagner
Christiane Rösinger über das musikalische Programm der Transmediale und des club transmediale
Anders als zum Beispiel bei der Ars Electronica wirkt die Transmediale auch in ihrem 25. Jahr nicht für jeden leicht zugänglich. Man muss sich erstmal zurecht finden im Wust des facettenreichen Angebots an Filmscreenings, Workshops und Ausstellungen. Anstatt große, beeindruckende Kunstwerke zu präsentieren, steht bei der Transmediale der Diskurs im Vordergrund. Die Symposien und Paneldiskussionen sind theoretisches Flaggschiff für digitale Medienkünstler. Hier wird versucht, Fragen wie das Konstrukt der Anonymität im Internet theoretisch zu beleuchten (hierbei darf natürlich ein Vertreter von Anonymous nicht fehlen, wer auch sonst) und den Zusammenhang scheinbar konvergent ablaufender Prozesse zwischen Technologie, Kultur, Wirtschaft und Politik zu erörtern. Systemkritik gibt´s unter anderem an der Vermarktung von Ideen im Kapitalismus. Explizit wird auf inkompatible Öffentlichkeitsformen hingewiesen und den seit geraumer Zeit aufkeimenden gesellschaftlichen Aktivismus - nicht nur in der Hackerszene und mittels DDoS-Angriffen, sondern eben auch politischer Aktivismus, der arabische Frühling, das auf die Straße Gehen, der Widerstand gegen scheinbar kompatible Systeme leistet.
Das Internet bricht hierbei natürlich angestaubte Hierarchien auf und übermittelt streng vertrauliche Informationen an die nicht autorisierte Gesellschaft. Informationen leaken und schaffen Transparenz.

FM4 / Alex Wagner
Das Studio Weise7 ist hierbei ein experimenteller Arbeitsraum, der die wachsende Abhängigkeit von Maschinen, Computern und Netzwerken demonstriert. Sie sollen anregen, wie wir mit modernsten Technologien auf politische Zustände Einfluss nehmen können.
Die Ausstellung "Dark Drives - unruhige Energien in technologischen Zeiten" zeigt Verzerrungen und Irritationen, wenn es um unsere Beziehung zu modernen Technologien geht. Im Halbdunkel hören wir Schreie und düstere Klänge. Die technologische Entwicklung der vergangenen 50 Jahre wird kritisch hinterfragt. So werden Fotos von Elektroschrott gezeigt, der sich in den armen Ländern stapelt und ein Gesundheitsrisiko für die dort lebenden Menschen darstellt. Aber auch andere Folgen technologischer Entwicklungen werden aufgezeigt, immer mit Blick auf das Motto der Transmediale, die Inkompatibilität:

FM4 / Alex Wagner

FM4 / Alex Wagner
Die Transmediale bleibt auch 2012 ihrem Ursprung treu: Das ehemalige Videokunstfestival hat ein buntes Screening-Programm zu den Themen Politik und Netzkultur zusammengestellt. Der kanadische Videokünstler Dominic Gagnon zum Beispiel sucht die Inkompatibilität in politischen Weltanschauungen. Für sein einstündiges Video "Pieces and Love All to Hell" hat er Youtube-Videos gesammelt, die als unangemessen und anstößig markiert wurden. Er hat sie vor der Zensur durch Youtube gespeichert und so vor dem endgültigen Löschen gerettet. "Pieces and Love All to Hell" zeigt nordamerikanische Frauen mit Hang zu Verschwörungstheorien und Paranoia. Sie horten Waffen, um sich zu verteidigen, sprechen von Satan und dem dritten Weltkrieg. Das Video wirkt befremdlich und verängstigend, besonders wenn sich die Frauen in ihre Hypothesen hineinsteigern und immer aggressiver werden. "Pieces and Love All to Hell" ist dabei die Fortsetzung des 2009 erschienenen Films "RIP in Pieces America", in dem Männer die Hauptrolle spielen.

FM4 / Alex Wagner
Wenn einem Ohropax helfen, sich von der Umwelt abzuschotten, so hat die Transmediale den umgekehrten Effekt. Spätestens nach einem Tag des Herumgewusels findet man sich langsam zurecht und genießt es, dass einem die Sinne für neue Ideen geöffnet werden. Mag die Transmediale auf den ersten Blick etwas faserig und verästelt wirken, ist man im nächsten Augenblick im Gespräch mit anderen TeilnehmerInnen und KünstlerInnen. Und das ist wohl auch die Stärke des Festivals.