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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

3. 2. 2012 - 20:51

Schulterpolster mit Käse

Chairlift aus Brooklyn stellen mit „Something“ unser Album der Woche.

Es ist erstaunlich, welche Entwicklung Chairlift seit ihrem Auftauchen in der Musikszene von Williamsburg durchlebt haben. Damals, so gegen 2007, war das Trio eine Hipsterband unter vielen. Drei Art College Abgänger mit musikalischen Ambitionen und ein paar Keyboards unterm Arm. Das erste Album mit dem gespreizten Namen „Does You Inspire You“ basierte im Wesentlichen auf einer Klangstudie des Paares Caroline Polacheck und Aaron Pfenning, die bereits in der Kunstschule in Skizzen entworfen wurde.

Chairlift

Christian Lehner

Chairlift, Brooklyn Dec 2011

Die Musik folgte der Vorgabe, den Geist von Räumen zu vermessen. Ein Haus, viele Zimmer und das ein oder andere Gespenst. Der Ansatz, das immaterielle und deshalb geheimnisvolle Wesen von Musik in Relation mit bewohnbaren Resonanzkästen zu ergründen, nahm dann auch das Hauntology-Mikrogenre vorweg, das die folgenden Jahre als Zwillingsbruder des Chillwave weltweit durch die Datenleitungen geistern sollte. „Does You Inspire You“ war eine ungewöhnlich abwechslungsreiche Platte zwischen Elektro-Pop, Southern Goth und freier Soundstudie. Mit dem unbeschwerten Popknaller Bruises gelang ein kleiner Hit, der es als Untermalung in ein iCommercial schaffte und so für etwas Anschaffungsgeld und PR sorgte.

chairlift

sonymusic

Chairlift "Something", Sonymusic

Vier Jahre später ist alles anderes. „Something“ heißt das neue Chairlift Album. Es trägt eine Behauptung und ein Versprechen im Titel. Beides wird eingehalten. Polacheck und Pfenning haben sich künstlerisch und privat getrennt. Die Band ist auf ein Duo geschrumpft. Den Texten zufolge dürfte diese Trennung nicht ohne großes Drama erfolgt sein. Wie so oft im fiktiven Genre der „Break Up Records“ profitieren vor allem wir Hörer vom Leid der Musiküsse. Wo „Does You Inspire You“ noch eine einheitliche Vision vermissen ließ, ist „Something“ wie aus einem Guss geraten.

Zunächst fällt der offensive, klare Sound dieses Synthrockers auf. Wo viele Bandkollegen aus Hipsterhausen hinter Ray Bans und unter 1.000 Schichten von Layers in Deckung gehen, wird auf "Something" jede Gefühlsregung, jeder Soundtwist poliert und ausgestellt. Shitgaze it is not. Mit den Produzenten Dan Carey und Alan Moulder haben Chairlift zwei kongeniale Partner in Sachen angewandte Klangarchitektur gefunden.

Man merkt, dass die Indie-Chanteuse und ihr verbliebener Partner Patrick Kimberly Spaß im Studio hatten: Synthesizer wurden zu Gitarren, Bassläufe zu Synthmelodien. Das Kick-Drumgewitter auf „Met Before“ erinnert an Death Metal Orgien. Über die Länge des vollen Albums ringen die Viersaitige und die Stimme um die Lufthoheit der Melodieführung. Polacheck hat sich zu einer expressiven Sängerin entwickelt, die durch eine ganz eigentümliche, extrem sparsame Phrasierung für Wiederkennbarkeit bis in die Träume sorgt. Jede Idee ein Ton, jeder Ton eine Idee.

Die ausgelebte Abenteuerlust führte mitunter zu ungewöhnlichen Ergebnissen. Die Arrangements und Intros klingen zunächst irritierend - wie gegen die Hörnerven im Ohr gekämmt. "'Something' ist Pop, spielt jedoch mit dessen Konventionen ohne gleich den John Zorn raushängen zu lassen", wie es Polachek im FM4-Interview formulierte. So viel Ambition ist schon fast toxisch in Abgleich mit dem retroaktiven Zeitgeist unserer Tage.

Am Ende ist das aber auch egal, denn etwaiige Disharmonien lösen sich stets in einem der vielen Mörderhooks auf. „Something“ ist nämlich auch eines, ein Sack voller Hits. Falls Polacheck jemals an einen Wechsel ins Fach der Auftragsschreiber denken sollte, dürfte ihr so manch große Labeltür offenstehen.

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Christian Lehner

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Christian Lehner

Chairlift live at Bowery Ballroom, Jan 2011.

Was mich an „Something“ aber am meisten beeindruckt ist der Mut, mit dem Chairlift sich an die käsigsten Ränder von 80s Pop vorwagen, dort, wo einst die Schulterpolster und Ananasfrisuren von längst vergessenen Acts wie T’Pau, Berlin oder Haircut 100 regierten.

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Das zentrale Stück von „Something“ ist daher nicht einer der offensichtlichen Knaller wie „Met Before“, „Amanaemonesia“ oder das göttliche „I Belong In Your Arms“. Es ist die zartbittere Post-Break Up Ballade mit dem campy Titel „Ice On Fire“, die mit zum Herrlichsten zählt, was aktueller Pop zu bieten hat. Der Song hat eine expressive Kraft, die dem gesamten Schulterpolster-Genre der 80er posthum Würde verleiht. Und Würde und Tiefgang gab es dort selten. Nenn es also ruhig Feinschmeckerkäse.