Erstellt am: 4. 2. 2012 - 09:17 Uhr
Die Geister sind in der Stadt
Die kleine Schwester der Transmediale, der Club Transmediale "ctm" , das "Festival for Adventurous Music and Related Arts" gilt längst als interessantestes Musikfestival Berlins. Unter dem diesjährigen Motto "Spectral" kümmert man sich um die gegenwärtige Konjunktur des Geisterhaften und Dunklen in experimenteller Musik, Avantgarde -Pop und Kunst.
transmediale
Im Presseinfo ist zu lesen, dass an den Rändern der Popkultur seit einiger Zeit eine Umkehrung stattfindet. Quer durch die Stile spüre man Verlangsamung, Zerfall, Vernebelung, Verrauschen, Deformation, Geheimnis, Nostalgie, Kitsch, Sich-Entziehen, Transzendenzsehnsucht, Banal-Alchemie oder Xeno-Kommunikation - Stichworte eines Instrumentariums, mit dem der Rastlosigkeit hyperkapitalistischer Produktion und ihrer ununterbrochenen Forderung nach positivem Engagement begegnet wird, was dann angeblich auch Parallelen zu den aktuellen Protestbewegungen von Occupy Wall Street bis Anonymous aufzeigt. Das bedeutet stark vereinfacht ausgedrückt: Das Dunkle und Mysteriöse an den Rändern der Popkultur, an denen man sich immer mehr mit vergangenen ästhetischen Entwürfen (sprich Retro) beschäftigt, kann als Zurückweisung der Gegenwart interpretiert werden. Die Zukunft liegt in der Vergangenheit. Das Unheimliche, Dunkle sorgt aber dafür dass man sich nicht zu behaglich in der Vergangenheit einrichten kann. Beim Mutterfestival Transmediale wiederum ist Inkompatibilität das Thema, ihre produktive und destruktive Seite wird untersucht. Inkompatibilität ist nämlich der Zustand von Kulturproduktion in Krisenzeiten. So viel zum theoretischen Überbau.
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Am Montag wurde zu Eröffnung des Club Transmediale im HAU 1 das recht sperrige Stück "Naldjorlak", eine Komposition von Éliane Radigues aufgeführt. Die 1932 geborene Französin gilt als Wegbereiterin der elektronischen Musik. Seit mehr als 40 Jahren erkundet sie in ihren minimalistischen Drone-Kompositionen eine Musik der Kontemplation deren Aufführung aber für den der "Neuen Musik" nicht so enthusiastisch gegenüber Stehenden zur argen Geduldprobe wurde. Zuerst strich ein Cellist 20 Minuten behutsam den Bogen, erzeugte zuerst Kratzen, dann Knarzen, Schwingungen und Drones, die in seltenen kurzen Momenten zu einem imposanten Brummen wurden. Als aber anschließend zwei Basset-Hornisten eine bange halbe Stunde lang ein nicht enden wollendes historisches Gefiepse und Getröte erzeugten, wurde es doch recht qualvoll.
Christiane Rösinger
Nach dieser arg kargen Klangkost am Eröffungsabend bot die Transmediale im Haus der Kulturen der Welt am Mittwoch eine ganz andere opulente, bunte Geistererscheinung: Die Joshua Light Show, eine kalifornische Künstlergruppe, hatte sich in den Sechziger Jahren gegründet, um Konzerten eine visuelle Form zu geben und sie zum multimedialen Erlebnis zu machen. Sie bebilderten die Konzerte von Jimmy Hendrix, Grateful Dead und den Doors und sorgten schon beim Woodstock Festival für verstärkte psychedelische Momente. Dazu setzen die bis zu zehn Mitglieder des Ensembles ein ganzes Arsenal von Projektionsgeräten, von Film-, Dia- und Overheadprojektoren, Farbrädern, Prismen und Spiegeln ein.
Christiane Rösinger
Zum ersten Mal seit den Sechziger Jahren kam die Show mit ihren analogen Lichtprojektionen nach Europa. Tausende Kilo Equipment wurden in Kisten verpackt, nach Berlin verschifft und auf der Bühne des Auditoriums im Haus der Kulturen der Welt installiert.?Dort wurden dann die magisch-psychedelischen Apparate angeworfen, malten mit auslaufenden öligen Flüssigkeiten und Farben bunte Schlieren, Blumen, Muster, Lavaströme, Kleckse in den schönsten Farben und Ausformungen auf die Leinwand. Das alles wurde mit technischen Mitteln erzeugt die bewusst auf dem Stand der Sechziger Jahre geblieben sind.
Dazu spielte das norwegische Improv-Quartett Supersilent mit wüstem Schlagzeug, schreiendem Laptop, melancholischer Trompete und bis an die Schmerzgrenze gniedelnder Gitarre. Noch bis am Sonntag bevölkern lauter Hippie- und Technogeister die Berliner Clubs mit Drag, Witch House, Hypnagogic Pop, Hauntology, analoger Synthesizermusik, Neo-Industrial, Gothic Revival oder Drone Musik.