Erstellt am: 26. 2. 2012 - 11:55 Uhr
Möpse, Friefhöfe, Slow Economy (Fragment)
marc carnal
Marc Carnal, der schönste Mann von Wien, sammelt seit geraumer Zeit Einkaufslisten.
Unterstützt wird er dabei von einem stetig wachsenden Kreis an redlichen Helfern, die ihn regelmäßig mit am Wegesrand oder in Supermärkten aufgelesenen Zettelchen beliefern, auf denen Fremde seltsame, amüsante, wirre, ungesunde oder fragwürdige Gedankenstützen notiert haben.
Zu diesen teils zauberhaften Stichwortsammlungen verfasst Herr Carnal dann Texte und trägt diese zwischendurch auch öffentlich vor.
Termine findet man hier
marc carnal
In meiner umfangreichen Listen-Sammlung birgt ungefähr jedes zehnte Exemplar komisches Potenzial. Diese gehört nicht dazu. So könnten die hier notierten Produkte sowohl einzeln als auch in Kombination kaum durchschnittlicher und öder sein. Freilich mag es auch ein XXL-Vergnügen darstellen, eine Groteske über Brot, einen Sojamilch-Limerick oder eine bitterböse Essig-Satire zu verfassen oder zu rätseln, ob mit Diana das "Diana mit Menthol", ein deutscher Hersteller von Luftdruckwaffen oder gar die SZD-56 Diana, ein polnisches Segelflugzeugmodell, gemeint ist. Natürlich wären auch biographische Leckerbissen über eine der vielen berühmten Dianas oder Dianes bekömmlich, von denen uns als erstes die guyanesische Fußballschiedsrichterin Dianne Ferreira-James und die Geliebte des Königs Jérôme Bonaparte von Westphalen einfallen, nämlich Diana Rabe von Pappenheim.
Cool ist aber was anderes!
Ja, ich habe mir wieder ins Bewusstsein gerufen, dass ich hauptsächlich für ein junges Zielpublikum schreibe und mich deshalb über den zeitgenössischen Wortschatz informiert. Wir haben unsere Begeisterung über das satte Grün der Frühlingswiesen, amerikanische Automobile oder die dreisten Späße der Kameraden ja noch mit Vokabeln wie "erquicklich" und "süperb" zum Ausdruck gebracht, aber die junge Generation mit ihren kurzen Röcken und frechen Frisuren liebt das Angelsächsische! Um bei der Zielgruppe nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren, werde ich hinkünftig in meine Aufsätze gerne ein joviales "Fuck" oder ein heiteres "Yeah!" einflechten.
Mehr Groove als die Einkaufslisten an sich haben zuweilen ihre bedruckten Rückseiten. Wendet man dieses Exemplar, findet man darauf ein Textfragment. Die Schriftart und der meines bescheidenen Erachtens nicht eindeutig wissenschaftliche Duktus legen die Vermutung nahe, dass es sich dabei um ein sogenanntes Pflückgedicht des Wiener Dichters Helmut Seethaler handelt. Yeah!
marc carnal
Leider ist das mutmaßliche Pflückgedicht zu zerpflückt, um durch das Einfügen einiger Wörter noch Sinnzusammenhänge zu finden. Ich habe mich zwar darin versucht, es zu vervollständigen, richtig logisch oder gar komisch wurde das Ergebnis allerdings nicht.
Fuck!
Hat da einer bei Schopenhauer gelernt, dass er seinen Mops zuerst immer in der Früh mit Brötchen füttern und dem Hund dann in die Lunge schießen möge, um das zähe Hundefleisch anschließend an die Armen zu verteilen, das den verwöhnten Herrn Millionären natürlich zu zäh wäre, worauf sie sicher verhungern würden?
Dass Betuchte sich selten an erschossenen Möpsen laben, mag ja noch einleuchtend sein. Die betreffende Passage bei Schopenhauer muss aber wohl eine unbekannte B-Seite oder ein nie gefundener Hidden Track im Oeuvre des Philosophen sein.
Nein, wir wollen nicht weiter rätseln und dieses Fragment ein solches sein lassen.
Ohnehin geht vom Unvollständigen und Nebulösen ein großer Zauber aus. Manchmal ist es einfach schöner, nicht alles zu wissen und sich einem kleinen Phantasie-Workout hinzugeben.
marc carnal
Ich weiß zum Beispiel nicht, was ein Knopfel ist und möchte es auch gar nicht wissen. Ich möchte auch nicht wissen, was das für Leute sind, die sich vor einem Einkauf für jedes Produkt ein Einzelbudget erstellen.
marc carnal
Es scheint laut der Rückseite der Liste jedenfalls eine Schnittmenge mit jenen zu geben, die gerne den Kundenservice der Friedhöfe Wien in Anspruch nehmen. Was der wohl genau macht?
"Guten Tag, mein Name ist Schnalzenböck und ich möchte gerne eine Grabschändung melden."
"Bin ich da richtig beim Kundenservice der Friedhöfe Wien? Ich wollte wegen einer Nachmeldung anrufen… Mein Vater liegt bei Ihnen und ich wollte fragen, ob Sie das Kreuz auf seinem Grabstein vielleicht umdrehen könnten, er war nämlich Satanist."
"Hallo, eine kurze Frage: Ich bin nekrophil, haben Sie da was im Angebot?" - "Sie sind hier beim Kundenservice, da müsste ich Sie zum Stundenservice weiterverbinden!"
Am Ende hat der sparsame Einkäufer gar einen Brief vom Stundenservice der Friedhöfe Wien bekommen, um den Nekrophilen-Stundensatz gleich auf das unten angegebene Konto zu überweisen! Natürlich dürfen die Leichen-Lover nichts umgraben - ein stilles Stündchen vor einem schmucken Grab mag für Verehrer des Leblosen aber womöglich einer Peepshow gleichkommen.
Die vollständige Nachricht des Kundenservice ist mit großer Wahrscheinlichkeit aber viel banaler. Freuen wir uns also über ihren fragmentarischen Zustand, der unseren Einfallsreichtum beflügelt hat!
marc carnal
Beflügelt mag auch jener Einkaufslisten-Autor sein, der sich Pflanzentöpfchen und Schuhbänder leistet, obwohl er Michi noch 50 Euro schuldet. Doch Recht hat er! Raus mit der Kohle, damit sie schön im Umlauf bleibt! Im Sparstrumpf sorgt der Zaster nicht für den ersehnten Wirtschaftsaufschwung!
marc carnal
Die Rückseite der Liste verrät uns, dass Michis Freund nicht zuletzt bei einem "Slow Economy"-Seminar dazu beflügelt wurde, das in Form eines Dialogs auf lockere Art und Weise und auf über 22 Seiten den armen Teilnehmern die Vor- und Nachteile einer ökonomischen Trägheit näher gebracht hat.
In diesem Fall wollen wir uns den Rest des lehrreichen Zwiegesprächs gar nicht vorstellen und sind heilfroh, nur dieses Fragment lesen zu müssen.
Um ein Fragment handelte es sich streng genommen auch bei Schopenhauers "Eristischer Dialektik". Vielleicht wäre in seiner als "Kunst, Recht zu behalten" untertitelten Abhandlung auch noch ein Mops vorgekommen, hätte er sie jemals vervollständigt.
Nur von den wirklich großen Autoren werden postum auch Fragmente publiziert.
Durch einen gewieften Trick katapultiere ich nun auch mich in die Riege der ganz Großen. Dieser Text ist hiermit nämlich erstens öffentlich und soll zweitens ein Fragment bleiben.
Yeah!
Cool!
Ich verrate Ihnen nämlich nun mein größtes Geheimnis: