Erstellt am: 2. 2. 2012 - 11:40 Uhr
Mike Kelley ist tot
Vier riesige Hüpfburgen für Kinder, wie man sie vom Volksfest kennt, standen 2009 im Zentrum des Kunsthaus Graz. Über das ganze Stockwerk hinweg dröhnte der grässliche Lärm von Industriegebläsen, die die Plastikschlösser und Riesenpilze in Form hielten, vermischt mit fragmentarischen Gitarrensounds. Der Raum abgedunkelt, es roch nach PVC. Aus dem Inneren des grotesken Rummelplatzes blitzte grelles Stroboskoplicht, von Außen waren extrem zerhackte Projektionen auf die Burgen geworfen. Menschen als Clowns oder Spielkarten verkleidet wechselten sich mit Porno-Schrott ab. In einer höchst zugespitzten Weise wurden die grotesken Formen und Narrationen, in denen sich Kinder normalerweise austoben, mit absurden Formen des Austobens für Erwachsene kombiniert.
Kunsthaus Graz
Kunst, maßgeblich von Popmusik beeinflusst
Sonic Youth
Mit den Jumpies, wie Mike Kelley seine Hüpfburgen nannte, trat der Detroiter Künstler aber nicht nur gegen den allgegenwärtigen Imperativ an, so viel Spaß wie möglich zu haben, sondern formuliert gleichzeitig eine Totalabsage an jegliche romantische Vorstellung von Rock 'n' Roll als avantgardistische, revolutionäre Bewegung. Dabei zählte gerade er als Ex-Mitglied bei Destroy All Monsters genau zu jenen, die diese revolutionäre Haltung einer Rock 'n' Roll Avantgarde im Punk und Noise-Rock Anfang der 1970er Jahre vorangetrieben hatten. Irgendwo muss aber der Glaube an die Tugenden des Rock 'n' Roll verloren gegangen sein.
Der Detroiter Künstler gehörte zur zweiten Generation, wie Diedrich Diederichsen sie nennen würde - einer zweiten Generation von Künstlerinnen und Künstlern, die in ihrer Entwicklung maßgeblich von Popmusik beeinflusst wurden.
Spätestens seit dem Boom des Sonischen in der Bildenden Kunst mit unzähligen Ausstellungen (Sonic Youth etc. : Sensational Fix, Kunsthalle Düsseldorf; Crossings Kunsthalle Wien; See This Sound Lentos, Linz etc.) gehörte das „Crossing“ zwischen Kunst und Pop zum Alltag künstlerischer Produktion, und die „Subkultur“ war im Zentrum der Gesellschaft angekommen. Bei Mike Kelley war diese Vermischung zwischen Kunst und Pop weniger Konzept als eine logische Entwicklung und Teil seiner Biografie: mit seiner Pre-Punk Band „Destroy All Monsters“ und dem Soundart-Projekt „The Poetics“ (mit Tony Oursler) oder in den 1970ern mit Kollaboration mit Sonic Youth, Raymond Pettibon, Scanner, Paul McCarthy u.a. in den 1980er und 1990er Jahren bis hin zu seinem audio-visuellen opus magnum "Day is done."
Das Unbewusste und das Lachen
Einige monographische Ausstellungen der letzten Jahre:
- „The Uncanny“, Tate Liverpool (2004)
- Mike Kelley: Profondeurs Vertes, Louvre, Paris (2006)
- Mike Kelley: Educational Complex Onwards: 1995-2008, WIELS Centre d’Art Contemporain, Brüssel, Belgien (2008)
Bekannt wurde Kelley allerdings weniger als Musiker. Die bildende Kunst war die richtige Plattform für ihn. Dort verschnitt er US-amerikanische Fernseh- und Comicserien mit Rockmusik, botanischen Phänomenen, Vampiren und Hochschulritualen. Mal philosophisch, mal populärwissenschaftlich, mal kunsttheoretisch, mal vom musikalischen Underground inspiriert, wühlte Mike Kelley im Bewussten und Unbewussten der amerikanischen Gesellschaft. In seinen Ausstellungen spürte man, dass Kelley die dunklen Seiten und Perversionen einer vermeintlich ordentlich-braven Welt – das Unheimliche im Biederen – offenlegte. Mit unzähligen Codebrüchen und Störungen des Verhältnisses von Form und Inhalt verband Kelley sonst Getrenntes, behauptete eine Zusammengehörigkeit von Kindlichem und Aggressivem, von sexueller Gewalt und Religion. Aber mit Humor, und so merkte man, dass Kelley, anders als etwa sein Kollege Paul McCarthy, den Obsessionen, die er zum Thema machte, nicht selbst erlag. Menschen, die ins Museum gehen, weil sie „durch die Fremdartigkeit bildender Kunst in ihrer eigenen Rechtschaffenheit und Normalität bestätigt“ werden wollen, wie der Künstler einmal mutmaßte, sind bei seinen Arbeiten an der falschen Stelle. Sie werden genau damit konfrontiert.
Mike Kelley ist tot
Cameron Wittig / Courtesy Walker Art Center, Minneapolis
Mike Kelley zählte zu den wichtigsten amerikanischen Künstlern der Gegenwart. Er lebt nicht mehr. Gestern, Mittwoch, wurde er in seiner Wohnung in South Pasadena bei Los Angeles tot aufgefunden, so die Los Angeles Times in ihrer Online-Ausgabe. Seine Galeristin Helene Winter von Metro Pictures aus New York sagte gegenüber dem Onlinemagazin Artinfo, Kelley sei depressiv gewesen und habe sich das Leben genommen. Er wurde 57 Jahre alt.