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Pinguin

Hinweise zur geistigen Selbstverteidigung in Wirtschaftsfragen. Hauptwohnsitz: Zeitschrift Malmoe

2. 2. 2012 - 11:26

Sind Zinsen böse?

Zinskritik bewegt die Gemüter.

Prozente im Angebotsformat

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Das Thema Zins bewegt viele Menschen, und seit der Krise verkaufen sich Bücher zum Thema offenbar enorm gut. Wer Schulden hat, zahlt nicht gern Zinsen, das ist klar. Aber manche machen daraus mehr: eine Welterklärung, auf die alle wirtschaftlichen Probleme von Ungerechtigkeit bis Wirtschaftskrise zurückgeführt werden. Welche Rolle spielen Zinsen in der Wirtschaft?

In grauer Vorzeit...

Eine Kritik am Zins findet sich schon bei Aristoteles. Und im Christentum und manch anderen Religionen galt der Zins als unmoralisch. Denn verzinste Kredite sind ein Geschäft mit der Zeit (wer sich verschuldet, kann dadurch heute schon sein künftiges Einkommen ausgeben). Doch die Zeit gehöre Gott – wer mit Zeit handle, vergreife sich somit an einer Sphäre, die für Menschen Tabu sei, so die christliche Lehre des Mittelalters.

Der wirtschaftliche Hintergrund dieser Zins-Skepsis war, dass in einer Feudalwirtschaft verzinste Kredite destabilisierende Eigenschaften haben. Sie bringen die Herrschaftsverhältnisse durcheinander, weil Kredite und Geldgeschäfte es erlauben, sich von den Abhängigkeitsverhältnissen loszumachen. Und in einer Wirtschaft, in der die Menschen vom Acker leben und keine regelmäßigen Geldeinkünfte haben, aus denen sie Zinsen und Tilgung bedienen können, sind Kredite sehr riskant. Wer sich verschuldet, tut das meist nur aus Not (etwa zur Überbrückung eines Ernteausfalls) und verliert oft Haus und Hof, weil das Geld für die Rückzahlung fehlt.

Weil die zunehmend expandierende Wirtschaft des Mittelalters aber trotzdem Kredite brauchte, wurde das Geschäft glaubensmäßigen Außenseitern umgehängt: den Juden. Und alle gemischten Gefühle, die damit verbunden sind (wir brauchen es /wir hassen es), gleich mit dazu. Im NS-Staat wurde die „Brechung der jüdischen Zinsknechtschaft“ schließlich zur Staatsdoktrin.

Eine neue Rolle

Mit der Wende zum Kapitalismus verändern verzinste Kredite ihre Rolle. Waren sie einst ein Rettungsanker in der Not, der sich leicht zum Mühlstein verwandelte, werden sie nun zum Hilfsmittel für das zentrale Ziel der kapitalistischen Wirtschaft: Akkumulation, Gewinne, Profite. Die Konkurrenz schwingt nun im Takt der Fabrikmaschinen die Peitsche, die sich früher in der Hand des Feudalherrn befand und bringt das System auf Expansionskurs. Unternehmen nehmen nun begierig Kredite auf, um sie gewinnbringend zu investieren. Im entwickelten Kapitalismus finanzieren Staaten Konjunkturstützungsausgaben und Investitionen mit Krediten, und KonsumentInnen ziehen mittels Krediten Einkommen aus der Zukunft für heutige Ausgaben vor.

Zinsen sind der Preis für Kredite, ein Preis wie jeder andere im Kapitalismus, wo alles seinen Preis hat (außer es findet sich ein anderes Herrschaftsverhältnis, mit dem sich etwas gratis abstauben lässt: unbezahlte Hausarbeit, natürliche Ressourcen etc.). Solange sich die Ertragshoffnungen der KreditnehmerInnen erfüllen, können Zinsen und Rückzahlung geleistet werden. Aber Geschäfte mit der Zukunft sind definitionsgemäß unsicher und können folglich auch schief gehen, wenn etwas passiert, mit dem die Vertragsparteien nicht gerechnet haben.

Unausweichlicher Zusammenbruch?

Der Kapitalismus ist eine Maschine, die gigantische Reichtümer und Neuerungen mit sich bringt, aber das zu einem Preis: Arbeitsdruck, Verteilungsungleichheiten, Krisen, soziale und ökologische Zerstörung. Die Suche nach Schuldigen für diese Folgen ist so alt wie der Kapitalismus selbst. Immer wieder wird dabei die Zinskritik ausgegraben. ZinskritikerInnen glauben, der Zins sei ein Fremdkörper im System, auf den sich Krisen und Verteilungsungleichheiten zurückführen lassen.

In der Zinskritik-Version der Bestsellerautoren Hörmann/Pregetter wird das so begründet: Banken schöpfen Kredite und bringen dadurch Geld in Umlauf. Bei der Rückzahlung der Kredite werden aber die Kreditsumme plus Zinsen fällig. Weil aber nur Geld in Höhe der Kreditsumme in Umlauf ist, fehlt das Geld für die Bezahlung der Zinsen, und das System muss zusammenbrechen, wenn am Ende alle ihre Schulden plus Zinsen zahlen wollen. GläubigerInnen kassieren dann die Sicherheiten der SchuldnerInnen und türmen auf diese Weise wachsende Reichtümer auf, bis sie alles haben.

Das ist so, als würde man behaupten, die Beförderung von (Hausnummer) wöchentlich 10.000 Fahrgästen mit der Bahn von Wien nach Innsbruck könne eigentlich gar nicht funktionieren, weil die ÖBB nur über 5 Zuggarnituren zu je 1.000 Plätzen für diese Strecke verfügt.

Aber Züge fahren eben mehrmals hin und zurück (genauso wie Zinsen, die die Bank bekommt, im Normalfall wieder in die Wirtschaft zurück fließen und anderen SchuldnerInnen die Bezahlung ihrer Zinsen ermöglichen), und der Fahrplan ist auf die Erfahrungstatsache abgestimmt, dass nicht alle auf einmal fahren wollen (genauso wie in der Wirtschaft nicht alle Kredite zum gleichen Zeitpunkt aus- und rückgezahlt werden), deshalb klappt dieses "Kunststück".

Natürlich ist in einer außergewöhnlichen Massenpanik denkbar, dass überraschend alle auf einmal fahren wollen, und dann bricht das Bahnnetz zusammen (so wie Banken zusammenbrechen, wenn plötzlich alle auf einmal ihre Konten plündern). Aber das ist dann kein Hinweis auf einen fundamentalen Planungsfehler, der unausweichlich zum Zusammenbruch führen musste, sondern das grundsätzliche Risiko bei Masseninfrastrukturen, so wie auch Geld in gewissem Sinne eine ist: Absolute Krisensicherheit gibt es nicht.

Ob Schulden zurückgezahlt werden können oder nicht, kommt vorwiegend auf den Verwendungszweck und seinen Erfolg an. Zwei Extremfälle als Beispiel: Immobilienkredite für arme subprime KreditnehmerInnen - schlechte Erfolgschancen. Kredite für expandierende Unternehmen - gute Erfolgschancen.

Zu glauben, dass Zinsen unausweichlich in den Zusammenbruch führen, unterschätzt die Unterschiede zwischen dem Kapitalismus und einer Feudalwirtschaft.