Erstellt am: 1. 2. 2012 - 17:39 Uhr
Feindliche Übernahme?
Occupy Österreich wird unterwandert. So sehen es zumindest einige, die sich mittlerweile aus allen Aktivitäten zurückgezogen haben. Unterwandert von Esoterikern, Verschwörungstheoretikern, rechten Ideen. Die NGO Attac distanziert sich in einer Presseaussendung , Admins und UserInnen diverser Occupy-Seiten auf Facebook geben entnervt auf, weil sie persönlich angegriffen werden, weil ihre Anschrift und Telefonnummer gepostet wird, weil sie die rechten Strömungen nicht mehr mittragen können. Es sind vor allem Anhänger von "Zeitgeist" und "HuMan Weg", die polarisieren.
Zeitgeist
Der Schöpfer der "Zeitgeist"-Filme benutzt seine beiden Vornamen als Pseudonym und heißt mit vollem Namen vermutlich Peter Joseph Merola.
"Zeitgeist" hat ihren Ursprung in drei Filmen von Peter Joseph. Während der erste Teil ein wildes Aneinanderhängen von Religionskritik, Kapitalismuskritik und 9/11-Verschwörungstheorien ist, wird in Zeitgeist: Addendum ausgehend von Kritik am bestehenden kapitalistischen System die sogenannte "ressourcenbasierte Wirtschaft" gefordert und in Zeitgeist: Moving Forward diese Vision vertieft.
"Zeitgeist" propagiert die Utopie einer Gesellschaft, in der nicht mehr Wirtschaftlichkeit oberste Prämisse ist. Basierend auf den vorhandenen Ressourcen, den technischen Möglichkeiten und Grundsätzen wie Umweltschutz würde eine globalísierte Wirtschaft ausschließlich von Vernunft bestimmt. Politik würde obsolet. Entscheidungen würden nicht mehr von Personen oder Personengruppen getroffen, sie würden sich nach den Gesichtspunkten von Bedarf und Nachhaltigkeit quasi selbst ergeben. Maschinen würden die Hauptarbeit erledigen. Diese Idee basiert auf dem Venus-Projekt des US-Amerikaners Jaques Fresco, auch wenn das Venus-Projekt mittlerweile nicht mehr mit "Zeitgeist" verbunden werden will.
"Zeitgeist" geht davon aus, dass sich die Menschheit innerhalb der nächsten Jahrzehnte völlig wandelt, dass sämtliche Ideologien, Religionen, persönliche Animositäten, Gier, Machthunger, Neid oder Eifersucht, kurz alles, was auf diesem Planeten für Ärger sorgt, von spockgleicher Logik und reinem Wissenshunger abgelöst würde, unterstützt von automatisierter Technik.
Unterwanderung?
"Zeitgeist"-Anhänger engagieren sich in großem Maß bei Occupy in Österreich, manche KritikerInnen sprechen von Unterwanderung und Übernahme. Thomas Stadlauer, der auf Facebook als Thomas A. Anderson aktiv ist, sagt dazu: "Die Zeitgeist-Bewegung beschäftigt sich, seit es sie gibt, mit der Kritik an dem bestehenden Wirtschafts- und Geldsystem, und zu einem großen Teil tut das ja die Occupy-Bewegung auch. Für mich ist das total logisch, dass viele Leute aus der Zeitgeist-Bewegung dann zur Occupy-Bewegung hingehen. Das Wort Unterwanderung macht für mich in dem Zusammenhang einfach keinen Sinn." Doch KritikerInnen werden in endlosen Diskussionen auf Occupy-Seiten auf Facebook beleidigt, manche auch verdeckt bedroht, viele Nicht-Zeitgeistler geben enerviert auf.
Der Salzburger Kommunikationsberater und Blogger Bernhard Jenny, bis vergangenen Oktober Administrator der Facebook-Seite von Occupy Salzburg, meint zu "Zeitgeist": "Mein Eindruck ist, dass das "Zeitgeist"-Movement eine von vielen fertigen Antworten ist, für jene Menschen, die beinahe ratlos und verzweifelt sind ob der heutigen Situation in der Welt, in der Gesellschaft. Es ist ein fertiges Instant-Produkt, natürlich viel leichter zu akzeptieren und zu verbreiten als ein differenziertes Gesellschaftsbild."
Bernhard Jenny
Anhänger von "Zeitgeist" tauchen immer wieder in Zusammenhang mit Antisemitismus und rechtsextremen Positionen auf. Einmal postet auf einer Facebook-Seite ein Administrator aus dem Zeitgeist-Umkreis ein Hitler-Video, an anderer Stelle ist es jemand anderem lieber, dass die Nazis bei Occupy mitarbeiten, als dass sie Köpfe einschlagen. Und Thomas Stadlauer ist 2009 bereits in einer StudiVZ-Gruppe aufgefallen. Er antwortet dort auf ein Posting, das den Holocaust in Frage stellt: "das mit dem holocaust mag sein wie es will, es ist einfach nur so, dass wir momentan in einem system leben, wo du mit derartigen aussagen große negative wellen schlagen kannst..." Sein Posting endet mit: "es ist einfach schlauer, sich an gewisse regeln zu halten, und die informationen SUBTIL zu verbreiten." Aufgedeckt ist das von svzwatch worden.
svzwatch
StudiVZ und svzwatch und sehen das anders. Über obenstehendes Foto und dem svzwatch-Artikel sind die Aussagen allgemein nachvollziehbar.
Thomas Stadlauer hat das Interview mit FM4 heimlich mitgeschnitten und auf Youtube gestellt.
Kurz darauf hat StudiVZ sämtliche Zeitgeist-Gruppen auf der Plattform gelöscht. Stadlauer fühlt sich aber missverstanden: "Das Zitat besteht aus einer Reihe von Sätzen. Und das, was ich am Schluss sage, bezieht sich nicht auf das, was ich am Anfang gesagt habe."
Auf die Frage, ob man auch mit Antisemiten reden soll und muss, weicht Stadlauer aus: "Ich weiß nicht, was ein Antisemit ist, in dem Sinn. Für mich sind das Schubladen. Ich stecke einen Menschen jetzt nicht in eine Schublade und sage: Dieser Mensch ist ein Antisemit. Wenn sich jemand insgesamt positiv für positive Veränderung für alle Menschen einsetzen will, dann kann er gleichzeitig kein Antisemit sein. Also für mich gibt es diesen Fall nicht."
Bernhard Jenny kann das für sich nicht stehen lassen: "Wenn ich auch sehr stark die Meinung vertrete, dass eine Gesellschaft nur dann eine ganze Gesellschaft ist, wenn man alle einschließt, kann das nicht heißen, dass es eine Option ist, die mitgestalten zu lassen, die genau diese Offenheit eigentlich in ihrem Programm bekämpfen."
HuMan Weg
Personell und ideologisch mit "Zeitgeist" verknüpft ist HuMan Weg, wie Franz Hörmann, Professor am Institut für Unternehmensrechnung und Autor des Buches Das Ende des Geldes, seine neue Partei nennt. Hörmann übernimmt den Namen und die Idee vom Schweizer Hans-Jürgen Klaussner, der zeitweilig in Österreich lebt. Klaussner ist auch Autor folgender Zeilen, die einige Zeit lang auf der österreichischen Seite der HuMan-Weg-Bewegung zu lesen waren:
„Die US-Regierung weiß ebenso wie ihre geistig-jüdischen Führer, dass nur das neue Europa die Welt zu regieren berufen ist. Sie hatten berechtigt die nackte Angst im Nacken gespürt, als das neue Wirtschaftssystem des Deutschen Reiches ab 1933 die Arbeitslosigkeit mit fast zinslosem Geld ohne Golddeckung beseitigte und damit ein überragendes Beispiel für alle freiheitsliebenden Völker in Europa erschuf, das nur mit dem zweiten Weltkrieg wieder zum Verschwinden gebracht werden konnte.“ Die Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem wegen dieses Zitates.
kreditie.at, Screenshot: Bernhard Jenny
Mit dieser Aussage ist die schmale Grenzlinie zwischen Systemkritik und Antisemitismus bzw. Nationalsozialismus definitiv überschritten. Und zwar sehr weit.
Hörmann, selbst "Zeitgeist" bzw. "Venus-Projekt"-Anhänger, wird im Standard mit quasi holocaustleugnenden Aussagen zitiert und wiederholt in der Zeit im Bild seine Zweifel. Die Wirtschaftsuni Wien hat Franz Hörmann mittlerweile suspendiert.
Siehe auch: Sind Zinsen böse? (Pinguin)
Die Diskussion ist verfahren: Viele "Zeitgeist"-Anhänger wollen vom Standpunkt, alle in die Mitarbeit für die neue Welt einzubinden, nicht abrücken. Und die antifaschistischen AktivistInnen können gerade damit nicht leben. Sie wollen auch nichts von den Verschwörungen rund um 9/11 hören. Können mit esoterischen Theorien nichts anfangen. Und sie halten nichts von der Utopie einer paradisischen Welt mit wenig Arbeit und freier Entfaltung für jedeN. Die Geschichte hat oft genug gezeigt, dass sich Utopien in ihr Gegenteil verkehren. Für "Zeitgeist" gilt aber die alte Regel aller Verschwörungstheoretiker: Jede Form von Widerspruch ist nur wieder Teil der Verschwörung.