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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

31. 1. 2012 - 22:09

Afrika-Cup-Journal '12. Eintrag 11.

Taktische Lehrstunde an Tag 11 des CAN. Über die Variationsbreite des 4-3-3.

Der 28. Afrika-Cup wird im Afrika-Cup-Journal '12 mit einem täglichen Eintrag begleitet.

Den täglichen Output des Vorjahres wird es 2012, wie immer in geraden Jahren, nicht geben. Was ansteht: ein Fußball-Journal '12, ein Journal zur Europameisterschaft, ein London-Olympics-Journal und auch ein Journal 2012, eines mit anlass-bezogenen Beiträgen zu Themen wie Jugend- und Popkultur, Demokratie- und Medienpolitik.

Es bietet sich an. Die heutige Quasi-Exhibition zwischen den bereits qualifizierten Teams von Gabun und Tunesien brachte einen nicht unverdienten Sieg des Co-Gastgebers aber auch die beste Vorstellung der Nordafrikaner - vor allem aber bot die Partie extensiven Anschauungs-Unterricht in einer Disziplin, die die heimische Liga oder der ÖFB total geschwänzt haben: das variantenreiche 4-3-3.

Sowohl die von Gernot Rohr sehr französisch eingestellten Gabuner als auch die von Sami Trabelsi nach klassisch maghrebinischen Gepflogenheiten organisierten Tunesier griffen auf ein 4-3-3 zurück. Und zwar kein einfältig-starres, sondern ein jeweils hochflexibles. Tunesien zeigte zudem zwei grundverschiedene Variationen davon.

Der Vorteil, den beide Teams daraus schlagen: Abwehrsicherheit bei gleichzeitiger Möglichkeit die Flügel offensiv kurzfristig dreifach zu besetzen; für schnelles Umschalten und druckvolle Tempo-Gegenstöße (also mit anderen Worten: modernen Fußball) ideal.

Ein paar praktische Beispiele zum modernen 4-3-3

Derlei kommt in Österreich nicht vor. Die einzige heimische Innovation, Gludovatz' 3-3-3-1 hat andere Ursachen und Vorteile, der von Karl Daxbacher vor zwei Saisonen einmal ausprobierte Tannenbaum, ein verkapptes 4-3-3, war deutlich zu vorsichtig angelegt; und auch nicht weiter langlebig.
Alle anderen Coaches sind für ein derartiges System und daraus folgernde Spiel zu fantasiearm, weil sie international deutlich zu wenig unterwegs sind.

Das 4-3-3 von Gabun etwa zeichnet sich dadurch aus, dass einer der beiden defensiven Mittelfeldspieler die Skills besitzt auch in jeder offensiven Mittelfeld-Position zu spielen. So können er und der zentral offensive Midfielder die Dreier-Offensive jederzeit verstärken. In diesem Fall zieht der zuvor auf dem Flügel rochierende neue Star Pierre Aubameyang neben den Center und bekommt dann von zwei neuen Kurzzeit-Wingern Unterstützung. Diese überfallsartigen Angriffs-Formation entwickelt eine erstaunliche Wucht, mit der Gabun bislang auch seine drei Siege eingefahren hat.

Wie man Versionen variiert und was man damit erreicht

Noch weiter entwickelt ist das 4-3-3 bei den schon lange auf gutem Niveau zusammenspielenden Tunesiern. Beim aktuellen Turnier bieten sie das in zwei Versionen an.

Version 1: ein Dreier-Mittelfeld nach altitalienischer Tradition, mit einem echten Sechser und zwei davor im Halbfeld positionierten Achtern. Zentral offensiv davor spielt ein echter Ballverteiler (bislang war das Chikhaoui, der sich zum dritten Spiel netterweise seinen Betbruder-Bart abgenommen hatte, bzw. zum Ausprobieren, der Jungstar Msakni) und davor zwei Spitzen. In dieser Variante orientieren sich die beiden Stürmer nicht zentral, sondern etwa auf Höhe der beiden Strafraumecken, lassen so sowohl im Zentrum als auch auf den Flanken Platz für Co-Vorstöße aus dem Mittefeld oder von den Außenverteidigern.

Version 2: ein 4-3-3 mit zwei Sechsern auf einer Linie, davor ein einzelner, dezenter Ballverteiler. Dazu zwei echte Flügel und ein echter Center. Dieses System bietet die Chance massiv in der Mitte nachzurücken bzw. auf den Flügeln zu doppeln.

Warum können Gabun/Tunesien das und Österreich nicht?

Im heutigen Spiel begann Tunesien mit Variante 1 und konnte so im 1. Teil der ersten Halbzeit totale Dominanz ausüben. Danach stellte sich Gabun darauf ein. Rohr änderte für die 2. Hälfte das Konzept seiner Mannschaft und schickte sie mit einem 4-2-4 raus: Aubameyang und Kapitän Cousin als Doppelspitze und dazu zwei echte Flügel. Das nahm dem tunesischen Spiel viel von seinen offensiven Möglichkeiten und resultierte in der durchaus verdienten Führung.

Danach stellte Trabelsi mit einem Doppeltausch von Version 1 auf Version 2 um: er fing die neue Breite der gegnerischen Offensive mit eigener Breite auf und drehte das Match.
Der Ausgleich gelang nicht (einmal hatte es sich Tunesien schon mit einem späten Tor gerichtet), was aber auch egal war: selbst bei einem Remis wäre sein Team nur Gruppen-Zweiter gewesen. Gegen wen man da im Viertelfinale drankommt, steht eh erst morgen, wenn die vertrackt-knappe Gruppe D ihre letzte Runde absolviert, fest - insofern sind Spekulationen obsolet.

Interessanter ist allemal die Beobachtung dieses modernen Spiels

Und ich habe bewusst nicht den FC Barcelona, Liverpool, Arsenal oder die Niederlande hergenommen, weil so ein Vergleichswert für heimische Verhältnisse nicht greift, sondern zwei Teams, denen sich ganz Fußball-Österreich klar überlegen fühlt.

Wenn ich mir aber im direkten Vergleich ansehe, wie die heimischen Liga-Vereine oder die ÖFB-Team taktisch und systemisch auftreten, dann kann ich aber nur sagen: die dritte Welt sind in diesem Fall eindeutig wir.