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Sammy Khamis

Are you serious...

7. 2. 2012 - 11:11

Auf eigene Gefahr

Von Afghanistan nach Hollywood und weiter nach Tunesien. Ein Treffen mit Krisenfotograf Paolo Pellegrin.

Es sind die Augen von Paolo Pellegrin. Rot unterlaufen, eingerahmt von tiefschwarzen Ringen. Hinter den dicken Brillengläsern seiner Nickelbrille spiegelt sich sein Leben. Die Brille ist wie eine Skibrille mit einer Schnur hinter seinem Hals verbunden. Würde er sie verlieren, während er ein Foto macht, verliert er nicht nur den Bildausschnitt, sondern vielleicht auch seine Gesundheit. Paolo Pellegrin ist Krisenfotograf. Er hat das Leid der letzten 20 Jahre gesehen und auf Film gebannt: Kosovo, Uganda, Afghanistan, Irak, Palästina, Haiti, zuletzt Fukushima.

Paolo Pellegrin, geboren 1964 in Rom. Seit 2005 ist Pellegrin Vollmitglied bei Magnum und Fotograph der Newsweek

Paolo Pellegrin vor einer Kollage seiner Fotokolumne aus "Die Zeit" in der Ausstellung "Restrospectives" in München

Fotodoks

Lebensaufgabe gleicht Lebensgefahr

Krisengebiete sind Paolo Pellegrins Arbeitsfeld, sein Arbeitsweg oft ungewöhnlich. Wer sitzt 2006 in einem Flugzeug nach Liberia im Jahr? Wer fährt 2003 mit dem Auto auf eigene Gefahr durch den Irak? Paolo Pellegrin tut das. Er ist ein durch und durch politischer Mensch und sieht seine Aufgabe in der Dokumentation weltumspannender Ereignisse.

Ich sitze mit Paolo Pellegrin, dem berühmten Fotografen und Vollmitglied des legendären Fotografenkollektivs Magnum in einer Münchner Kneipe. Der Tisch wackelt, der Stuhl knarzt. Pellegrin, der fast 1,90 Meter große Italiener, erzählt davon, wie er heimlich wochenlang alleine im Irak unterwegs war. Zu einer Zeit, als es den alliierten Mächten ein großes Anliegen war, kritische Berichterstattung zu unterbinden, und einige Teile der irakischen Bevölkerung Journalisten mehr als ablehnend gegenüberstanden. Tough wäre das gewesen. Die Frage, ob er es macht, stellte sich nicht. Pellegrin ist getrieben von der Idee, mit seinen Fotos etwas zu bewirken. Leuten die Möglichkeit zu geben zu sehen, zu verstehen und zu reflektieren.

Weltpolitik zwischen zwei Schluck Bier

Pellegrin nippt an seinem Bier. Er nimmt sich für seine Antworten viel Zeit. Und erklärt dann in perfektem amerikanischen English: "Ich habe das Privileg, so private und intime, ja solch spezielle Momente mitzuerleben." Gerade die Umwälzungen des letzten Jahres im arabischen Raum haben ihn teilhaben lassen an, wie er es nennt, "makroskopischen" Veränderungen, die weltweit wirken. In diesen Momenten sind seine Augen nicht müde vom Flug, von der Arbeit, die tagsüber Fotografieren und abends das Bearbeiten des Materials beinhaltet, oder von seinen Aufgaben als Vater. Sie sind voller Energie.

Pellegrin hatte 2011 eine Fotokolumne in der Wochenzeitung Die Zeit. Darin waren neben den Ereignissen des Jahres in Tunesien und Ägypten auch die Katastrophen in Japan zu sehen.

Die Paolo Pellegrin-Retrospektive ist im Kunstfoyer der Bayerischen Versicherungskammer in der Maximilianstr. 53 in München zu sehen. Eintritt frei. Die Ausstellung läuft bis 20. 2.2012

Von Palästina nach Hollywood

Pellegrin ist bescheiden. Er spricht ruhig, besonnen, ist aber doch so viel Italiener, dass er seine Hände manchmal nicht unter Kontrolle hat. Durch seine Bilder sehe ich, was er gesehen hat. Was er erlebt, kann sich kaum jemand vorstellen. Allein 2011 sind zwei Fotografen in Libyen und ein Filmemacher in Syrien gestorben. Im Taxi auf dem Weg in die Kneipe erzählt Pellegrin davon. Es wäre ein schlechtes Jahr für den Fotojournalismus gewesen. Kollegen zu verlieren, sei nie leicht. Er wäre auch vorsichtiger geworden. Spätestens seit der Geburt seiner Tochter. Was heißt "vorsichtiger werden"? 2006 wäre Pellegrin bei einem Bombenanschlag im Libanon fast ums Leben gekommen. Er erwähnt das nicht. Allzu viele seiner Bilder haben Tote im Blick. Gestorben in Situationen, von denen Pellegrin berichtet.

Stichwort vorsichtiger werden. Fotografiert er deshalb Prominente? Pellegrin winkt ab, nein, und er werde es auch nicht mehr machen. 2010 hat er für die Oscar-Ausgabe der New York Times Prominente abgelichtet - abseits des durchgestylten Hollywood-Schicks. Er wurde gefragt, ob er Lust hätte. Er sagte zu, und verändert ein festgefahrenes Genre mit seinen Bildern.

Paolo Pellegrin (links), Isabel Sieben (Mitte), Sammy Khamis (rechts)

Park15

Dunkler Rahmen, heller Inhalt

Pellegrin trinkt sein zweites Bier. Neben ihm sitzt Isabel Siben, die Kuratorin seiner Ausstellung "Retrospectives" in München. Pellegrin wirkt entspannt. Seine Aufgabe heute Abend ist nicht die Dokumentation von Krisen, sondern das Teilen seiner Geschichten. Nach einem langen Tag und zwei kleinen Bier sind seine Augen noch immer eingerahmt von Müdigkeit. Aber in diesem dunklen Rahmen leuchtet etwas. Wie in jedem seiner Bilder.