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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

30. 1. 2012 - 18:32

Delirium in Schwarz und Pink

Endlich läuft „Drive“ im Kino. Ein filmisches Quartett huldigt dem zentralen Film unserer Tage.

Man kann es nicht oft genug sagen: Wenn etwas überbewertet ist im Kino, dann pingelig ausgetüftelte Handlungsabläufe, betont clevere Dialog-Orgien, Charaktere, die bis ins letzte Detail plausibel wirken.

Drive“ ist ein Streifen, der all diesen Konventionen den ausgestreckten Mittelfinger zeigt, der nur wenig Worte benötigt, keinerlei Psychologie und eine Story, die auf ein archetypisches Grundgerüst reduziert ist. Und der dennoch oder gerade deswegen alles auf den Punkt bringt, was das Medium Film im beginnenden 21. Jahrhundert so essentiell, kostbar, einzigartig macht.

Drive

constantin film

Nicolas Winding Refns Neo(n)-Noir-Ballade lebt zur Gänze von Bildern, Klängen, Stimmungen, von einer hypnotischen Atmosphäre, die vom genialen Vorspann an einen Sog entwickelt, der nicht mehr loslässt. Gleichzeitig ist die simple Geschichte eines wortkargen Stuntdrivers (Ryan Gosling) und einer jungen Mutter (Carey Mulligan), die in die kriminellen Schattenzonen von Los Angeles gezogen werden, so viel mehr als eine retrofuturistische Stilübung, die bloß vom oberflächlichen Kitzel zehrt. Der Ausnahmeregisseur Winding Refn nimmt die glühende Romantik, die den spärlichen Plot vorantreibt, im wahrsten Sinn des Wortes todernst. „Drive“ erweist sich unter der herrlich artifiziellen Oberfläche als Manifest für ein ganz unpostmodernes Kino der wahrhaftigen Leidenschaften.

“You give me a time and a place, I give you a five minute window. Anything happens in that five minutes and I’m yours, no matter what. I don’t sit in while you’re running it down, I don’t carry a gun - I drive.”

Abgefeiert haben wir ihn alle hier schon von der FM4-Filmredaktion. Markus Keuschnigg steigerte sich ebenso wie Pia Reiser anlässlich der Viennale-Aufführung in Euphorie, auch meine Wenigkeit konnte die Begeisterung nicht verbergen. Wie also nochmal einem Film huldigen, der bereits im Vorfeld mit Superlativen geschmückt wurde, jetzt aber endlich eine regulären Kinostart hat?

Am besten den Überfan schlechthin kontaktieren, dachte ich mir. Der deutsche Filmautor Sebastian Selig, mit dem ich an dieser Stelle bereits filmische Kamingespräche über Lars von Trier oder David Cronenberg führen durfte, verfasste im Magazin „Splatting Image“ einen der schönsten Texte bislang über das Phänomen „Drive“. Gemeinsam dachten wir uns Fragen aus und stellten sie einer Gruppe von Kinobesessenen, die sich intensiv mit diesem zentralen Film unserer Tage auseinandergesetzt haben.

Drive

constantin film

Ist „Drive“ ein Film, der einem vor allem Loslassen abverlangt, ein sich ganz reinfallen lassen? Oder lohnt es sich vielmehr den kühlen, analytischen Blick zu bewahren?

Hasko Baumann: Schwer zu beantworten für mich. Da ich beruflich ständig mit filmischen Mitteln arbeite, ist mir das hundertprozentige Eintauchen schon vor Jahren abhandengekommen. Mich begeistert das Formale mittlerweile auf dieselbe Weise, wie die Handlung andere Zuschauer mitreißt. Und da gerade „Drive“ mit dem sehr bewussten und größtenteils auch sehr konzentrierten Einsatz filmischer Mittel zu glänzen versteht, war mein Blick wohl eher kühl. Fürs reine, unschuldige Loslassen ist der Film dann doch mitunter zu kunstgewerblich.

Hasko Baumann ist Regisseur und Autor, reist regelmäßig mit prominenten Menschen für Arte „Durch die Nacht“ und macht sich mit seinem Filmmagazin „Das Manifest“ ständig neue Feinde. Seit er als Kind Truffauts Hitchcock-Buch las, ist Film sein ein und alles.

Elena Meilicke lebt in Berlin, promoviert zu Paranoia und schreibt seit 2007 Filmkritiken, unter anderem für den Schnitt und den Perlentaucher.

Sebastian Selig lebt im Kino. Das beim Autofahren der Blick durch die Frontscheibe, dem auf die Leinwand geworfenen verdammt nahe kommt, kann er spätestens nach „Drive“ wohl nie mehr ganz abschütteln.

Pia Reiser könnte ganze Wälzer über die richtige Stirnfransenlänge verfassen, geht dann aber doch lieber dem besten Beruf der Welt nach und somit ins Kino, um für FM4 über Gesehenes zu schreiben. Wer sich weigert, Schwarz-Weiß-Filme anzuschauen kriegt früher oder später von ihr „The Night of the Hunter“ auf DVD geschenkt.

Elena Meilicke: Ich würde sagen, dass „Drive“ selber ein sehr kontrollierter, kalkulierter Film ist. Loslassen, sich ganz reinfallen lassen, so funktioniert der gar nicht unbedingt: Gerade weil „Drive“ so eine Art Zitatmaschine ist, „Referenz-Raserei” hat die Spex geschrieben. Das erfordert ja Zuschauer, die da mitgehen, Filmzitate wiedererkennen und am Wiedererkennen Freude haben – ein quasi intellektuelles Vergnügen. Andererseits ist „Drive“ natürlich gleichzeitig auch ein Film, der die Sinne anspricht und befriedigt: Lichter und Bässe für Augen und Ohren.

Sebastian Selig: Den analytischen Blick zu verlieren, sich ganz hinzugeben ist natürlich immer das Ziel. Bei „Drive“ gelang das auch ganz gut. Alleine schon die Sogkraft der Titel-Sequenz ist enorm. Dieses schwarz-pinke Eintauchen in die Stadt, dazu das Pulsieren des Scores, die erste kurze Begegnung zwischen den beiden in der Tiefgarage, die sanft golden leuchtende Fahrstuhlkabine. Fuck. Hin und weg. Sofort.

Pia Reiser: Mir wurde keine Chance gelassen, mein Notizzettel bei der „Drive“ Vorstellung blieb leer, weil ich auf meine Existenz im Kinosaal vergessen hab. Dem Kopf wird keine Chance gelassen für Analysen.

Ab welchem Moment war es da um Dich geschehen?

Drive

constantin film

Hasko: Die Eingangssequenz. Der Job. Eine Actionszene im Stealth-Modus. Ich meine, da begreift man sofort, dass Refn weiß, was er da tut. Und als dann Los Angeles bei Nacht erscheint, der Neon-Schriftzug und die Synthie-Flächen ... Ich musste schmunzeln. Das ist schon sehr ehrlich.

Pia: Ab dem Schriftzug „Drive“. Der Font „Mistral“ in schönstem Teenagermädchen-Pink. Als hätte John Hughes die Grafikentscheidungen überwacht. Das erste Anzeichen, dass dies keine reine Stilübung in Retrocoolness und Brutalität ist, sondern, dass in dem Film ein pochendes Herz aus Kaugummi und Gold steckt. Und dann fällt mir auch wieder ein, dass Nicolas Winding Refn seinen Film als „‘Pretty in Pink‘ with smashed heads“ beschrieben hat, schöner kann man es nicht beschreiben.

Elena: Definitiv gleich zu Beginn. „Drive“ beginnt mit einer Exposition, die so gut und in sich geschlossen ist, dass ich den anschließenden Vorspann im ersten Moment für einen Abspann hielt und bereit war, das Kino in diesem Moment selig und zufrieden zu verlassen. Mir hat gefallen, dass „Drive“ wie ein Spiel aufgezogen wird: Am Anfang werden die Regeln erklärt – die vor allem besagen, dass der Driver mit nichts was zu tun hat und nicht involviert werden möchte – und der Film handelt dann davon, wie diese Regeln mit lautem Getöse in sich zusammenkrachen. Im Prolog aber läuft alles noch schnurgerade nach Plan, das ist die zackig montierte, vom konstanten Ticken der Uhr begleitete Chronik eines Überfalls.

Sebastian: Nach gefühlten 30 Sekunden hatte mich der Film. Der Blick Carey Mulligan hinterher. Wie sie ins Türkisgrün der Tiefgarage verschwindet und sich langsam dazu die innen golden verkleidete Fahrstuhltür ins Bild schiebt. Spätestens ab diesem Moment war es um mich geschehen.

Drive

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Haben wir es mit großer Meisterschaft oder gekonntem Schwelgen im Retro zu tun?

Pia: Große Meisterschaft. Weil - wie bei „The Artist“ alles funktioniert, auch wenn man die Einflüsse nicht kennt. Weil die Eigenständigkeit über das Zitat triumphiert.

Hasko: Die Inszenierung ist meisterhaft. Manchmal allerdings allzu selbstgefällig oder vielmehr selbstbesoffen, da mogelt sich zu viel Kitsch rein. Rückblickend habe ich aber schon gedacht, dass sich zum Beispiel die Montage des gemeinsamen Tages von Gosling, Mulligan und Sohn in Goslings Kopf so abspielt. Da fehlt ja nur noch ein süßes Rehkitz im Bild! Bald danach erleben wir ja auch, was für ein Soziopath der Driver eigentlich ist. So gesehen ist das auch wieder interessant. Mich hat auf jeden Fall begeistert, wie Refn uns so manchen erwartbaren Money Shot vorenthält, uns dafür aber auf der anderen Seite mit diesen viehischen Gewaltspitzen überfällt. Refn schwelgt im Retro, aber gottlob weniger parasitär als so manche seiner Kollegen, die neuerdings Mimikry als den geilsten Scheiß missverstehen.

Elena: Meisterschaft oder Retroschwelgen, das schließt sich ja nicht aus. Ehrlich gesagt ist mir das ganzer 80er-Ding beim ersten Sehen gar nicht sooo stark aufgefallen, da bin ich vielleicht selber schon zu retromanisch verseucht, um die Retrohaftigkeit überhaupt noch zu sehen – und ich könnte mir vorstellen, dass das vielen so geht, die in den späten 1990er und frühen Nuller-Jahren popsozialisiert sind.

Sebastian: Mehr noch als der Blick zurück, ist es einer nach vorn. Ein sich davontreiben lassen. Eighties-Pink knallt in Nuller-Schwarz, strudelt sich neu zusammen, spuckt Superhelden, genauso wie autistisch stumme Krieger nach (Michael) Mannschem Vorbild aus. Gerade das sich Verkleiden fand ich ungemein schön. Maske tragen wird ja bald sowieso das nächste große Ding. Siehe auch Tom Hardys stählernen Maulkorb in „The Dark Knight Rises“ oder die aktuelle Alexis Mabille-Show in Paris.

Drive

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Ein kurzer Blick zurück - An welchen filmgeschichtlichen Bezügen lässt sich das alles festklammern?

Sebastian: Refns eigener „Valhalla Rising“, wenn auch ungleich archaischer und reduzierter, ist sicher ein wichtiger Bezugspunkt. Manns „Thief“ erkenne ich natürlich auch, mehr noch als Hills „Driver“, der dafür einfach noch viel zu stark in den 70ern verortet wirkt.

Hasko: Die ständig gezogenen Vergleiche zu Walter Hills „Driver“ kann ich ebenfalls nicht nachvollziehen. Ich sehe da nur das Neon-Kino der frühen 80er, hauptsächlich natürlich Michael Mann, mit dem hat „Drive“ auch den leichten Hang zum Männerkitsch gemeinsam. Insbesondere „Thief“ habe ich auch vor Augen. Aber natürlich auch „Risky Business“. Irgendwie alles ziemlich Tangerine Dream, das Ganze.

”How about this - shut your mouth or I'll kick your teeth down your throat and I'll shut it for you.”

Elena: Ich musste an Kenneth Angers “Scorpio Rising” von 1964 denken; ein Experimentalfilm voll viriler Biker in schwarzem Leder, die hingebungsvoll an Motorrädern herumschrauben, dazwischen sekundenkurze flash frames nackter Genitalien und Bilder von Jesus und Hitler, eine ziemlich queere Mischung. Der goldene Skorpion auf der Jacke des Drivers ist ein direktes Zitat aus “Scorpio Rising” und seinen Kameramann Newton Thomas Sigel hat Regisseur Refn nicht zuletzt deshalb gewählt, weil dessen erster Filmjob die Mitarbeit an Kenneth Angers „Lucifer Rising“ war. Man kann also sagen, dass „Drive“ Gosling, der ja einst gemeinsam mit Britney Spears, Justin Timberlake und Christina Aguilera Jungschauspieler im Mickey-Mouse-Club war, die Camp-Ästhetik eines Kenneth Anger unterjubelt und das hat mir schon ziemlich gut gefallen

Drive

constantin film

Ein anderer schöner Film über das (Auto-)Fahren?

Elena: Autofahr-Filme sind ja meistens Roadmovies, in denen es um das Weiter- und Wegkommen, die große Freiheit geht. Das alles spielt in „Drive“ überhaupt keine Rolle: Die Strecken, die hier gefahren werden, sind kurz und enden meist im Überschlag. „Drive“ erinnert an Filme wie „Two-Lane Blacktop“ von Monte Hellman oder auch „Duel“ von Steven Spielberg, in denen der Roadmovie-Kitsch systematisch unterlaufen wird. Und genau wie in diesen beiden Filmen sind auch in „Drive“ die Autos nicht nur bloße Props, sondern veritable Protagonisten, mit exotischen Namen wie Chevy Impala oder Ford Mustang und eigenen Physiognomien. Wenn in der Mitte des Films ein klobiger, animalisch aussehender Chrysler 300 Sedan die Verfolgung aufnimmt, dann ist das ziemlich unheimlich.

Pia: “Duel”, “Kalifornia”, aber auch “Little Miss Sunshine” und “It Happened One Night”. Liebste Szenen, die in einem Auto spielen: Janeane Garofalo und Winona Ryder singen in „Reality Bites“. Und Adam Goldberg, Anthony Rabb und Marisa Ribisi sind am Weg zur Party und auf die Frage, was er eigentlich mit seinem Leben anstellen will, platzt es von dem am Rücksitz knotzenden Goldberg raus: „I wanna dance“.

Hasko: „Two-Lane Blacktop“ natürlich und „Vanishing Point“, „Duel“. Filme aus einer Zeit, als Autos noch sexy waren. Als sie noch was galten. Mein Herz schlägt für „Christine“. Und ganz besonders für „Ronin“, der so viel über seine Figuren übers Autofahren erzählt. Wenn sich De Niro und Reno den alten Mercedes greifen. Größere Momente kann man sich mit Autos im Film kaum vorstellen.

Sebastian: Natürlich mag ich dieses „das-Auto-als-Sexspielzeug“-Ding, wie es die Gang in Cronenbergs „Crash“, wie auch die Jungs und Mädchen in der „The Fast & The Furious“-Serie so ungezwungen ausleben (hier besonders in den durchwegs schönen Teilen 1, 3 und 5), aber auch das Fahren als Floating, so wie es mitunter auch der Driver in „Drive“ vorlebt, zieht mich mit. Da fallen mir als Referenzpunkte vor allem „Brown Bunny“ und mit Abstrichen vielleicht noch „Clean, Shaven“ ein.

Mann mit Lederhandschuhen in einem Auto sitzend, Szenenbild aus "Drive"

viennale

Wäre „Drive“ ein Song, dann klänge er wie?

Hasko: Mit „A Real Hero“ hat Refn den Song schon gefunden. Genau so ist der Film. Ein wenig süßlich, sehr retro, irgendwo zwischen naiv und psycho und beim dritten Mal spätestens unwiderstehlich.

Elena: Finde ich schwer zu beantworten, eben weil die Musik eine so große Rolle spielt in „Drive“, das kann man nicht trennen; allerdings ist mir der Titelsong “A real Hero” auf die Nerven gegangen.

Sebastian: Ein Synthie-Nummer, die sich mit treibender Energie bis zu den Knochen spüren lässt. Genauso wie es hier durch den überhaupt verdammt zauberhaft vertonten Film wabert.

Pia: Wie eine B-Seite der Supergroup bestehend aus The XX, LCD Soundsystem und The Human League. Mit Giorgio Moroder an der Triangel.

Der Goslinger – das ganz große Sexding, wie überall gehypt oder nochmal ganz was anderes?

Sebastian: Wie sich hier ständig zauberhaft unschuldigste Romantik in leidenschaftlichster Gewalt Bahn bricht, ist natürlich schon toll. Ganz klar ein noch viel zu wenig gehypter Idealzustand von Verliebtsein, der hier in vollen Zügen ausgelebt wird und sich entsprechend tief einbrennt. „Drive“ ist da ganz wie eines dieser unschuldigen Seemanns-Tattoos, das man einfach nicht mehr loswird.

Drive

constantin film

Pia: Nachdem wir letztes Jahr alle ganz verknallt in James Franco waren, behaupte ich, diese Goslinger-Schwärmphase geht auch wieder vorbei. Diese hysterischen Mini-Pubertäten, die ja ein herrlicher Zeitvertreib sind halten nicht lange an und dann können wir wieder ernsthaft über das große Können des Goslingers reden.

"Hey kid, you want a toothpick?"

Hasko: Gosling hat mir ja unheimlich gut gefallen in „Fracture“. Gutaussehend, schräge Stimme und generell immer leicht neben der Kappe, also nie ölig. Fiel einfach auf, besonders neben Rosamund Pike. „Half Nelson“ natürlich. Aber mittlerweile wirkt er ferngesteuert, seine Blässe ragt in sein Spiel rein. „Crazy Stupid Love“ - er sieht zwar super aus als Womanizer, wirkt aber auch irgendwie creepy. Bei „Drive“ bin ich unentschlossen. Fast schon zu glasig ist er da. Wenn Brooks und Perlman auftauchen, vergisst man ihn fast. Dennoch, Gosling bleibt spannend.

Elena: Mir hat Gosling in „Drive“ schon sehr gut gefallen – oder eher: mir hat gefallen, was „Drive“ mit Gosling gemacht hat. Zwar tut der Film ganz keusch, andererseits lebt „Drive“ von Goslings Sexappeal, der so sorgfältig und pausenlos in Szene gesetzt wird, dass viele Einstellungen wie Werbeaufnahmen für Unterwäsche oder Diesel Jeans wirken. Aber gerade diese absolut exzessive Zurschaustellung von Gosling als Posterboy macht Spaß, weil sie das, was im amerikanischen Mainstream-Kino normalerweise an heterosexueller Männlichkeit zu sehen ist, entschieden übersteigt: da ist alles ein kleines bisschen „too much“ und „over the top“, die Hose zu eng, die Jacke zu weiß, die Schuhe zu extravagant: Ryan Goslings Driver ist Camp und Disco, pures Poppertum. Man muss sich nur mal diese super-akkurat geschnittene Haarlinie im Nacken anschauen.

Drive

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Nicholas Winding Refn, war der schon vorher wichtig? Oder war er das gar nicht?

Elena: Ich hatte vorher keinen Film von Refn gesehen; er gilt als Regie-Wunderkind, das schon mit 26 Jahren seinen ersten Film gedreht hat und es eben mittlerweile von Dänemark nach Hollywood geschafft hat.

Sebastian: Mit „Bronson“ und „Valhalla Rising“ - letzterer ist ja einer meiner drei All-Time-Lieblingsfilme - gab es nochmal einen gewaltigen kreativen Schub. Aber natürlich sind auch die „Pusher“-Filme ganz, ganz toll, insbesondere der Dritte, der nicht umsonst den Untertitel „I'm the Angel Of Death“ trägt.

Hasko: Mir war er vorher nicht wichtig. Jetzt verspreche ich mir natürlich was von ihm. Jetzt sitzt er in Bangkok mit Gosling. Und Christina Hendricks. Ja, könnte schon wichtig sein.

Wird sich der Hype um „Drive“ schon bald als flüchtig erweisen oder setzt sich da mehr fest als so ein kurz aufbrandendes Begeisterungsgefühl?

Hasko: Dass da keine große Oscar-Nominierung drin war, spricht schon für Vergänglichkeit. Nicht, dass das wirklich von Bedeutung wäre, aber die zahllosen ersten Plätze auf Jahresbestenlisten hätte man eigentlich schwerlich ignorieren können, dachte ich. Ich glaube schon, dass da noch einiges bleibt, der Soundtrack, die Bilder, wahrscheinlich sieht man Sequenzen in Bars oder hört die Tracks in Hipster-Joints. Ich weiß noch nicht, ob der Film bei mir mit der zweiten Sichtung wächst oder ob mir die Erinnerung genügt, und ich mich wieder von ihm verabschiede. Aber ich freue mich darauf, ihn wiederzusehen. Und das ist nicht wenig.

Drive

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Elena: Schwer zu sagen; natürlich stellt sich nach dem Sehen fast unweigerlich ein klitzekleines Enttäuschungsgefühl ein, einfach, weil man so viel über den Film gehört hatte und die Erwartungen groß waren. Abwarten. Kurz aufbrandendes Begeisterungsgefühl wär’ ja nicht wenig.

Sebastian: Nach einem halben Jahr unentwegt begeistertem Branden an allen Ecken und Enden müsste sich ja eigentlich langsam mal so was wie Ernüchterung breit machen. Bisher spüre ich davon aber noch wenig. Im Gegenteil, zittrige Vorfreude auch jetzt noch bei jedem Kinobesuch.

Pia: Die Skorpionjacke wird wie das weiße Brando-T-Shirt und dir rote James Dean Jacke in den Gewandkanon der Filmgeschichte eingehen. „Drive“ wabert noch wochenlang in einem nach - schon alleine wegen der Liftszene, weil Refn Zärtlichkeit und Brutalität einen Wimpernschlag voneinander getrennt inszenieren kann, und noch viel mehr. Wer glaubt, er kriegt hier einen Action-Fast-Food-Film serviert, wird staunen, weil es ist ein nachhaltiges, reichhaltiges 7-Gänge-Menü.