Erstellt am: 29. 1. 2012 - 16:51 Uhr
Song Zum Sonntag: Lana Del Rey
Geld ist die Hymne des Erfolgs. Geld ist der Grund, warum wir existieren, jeder weiß das. Ich bin deine Nationalhymne. Du kannst deine Finger nicht bei dir und deine Hosen nicht anbehalten. Das ist eine Geschichte für das neue Zeitalter: Essen, trinken, betrunken fahren, exzessiv kaufen, an der Überdosis sterben von den Drogen der Liebe und dem Zorn. Wo die Grenzen zwischen echt und Fake verwischen, brauche ich jemanden zum Festhalten. Ich bin deine Nationalhymne.
Lana Del Rey
Hier ist wohl schon alles gesagt. Kein Medium, das der selbstinszenierten Ikone der Morbidität und des "faded Glamour" letztes Jahr nicht nachgelaufen wäre. Wälzer von interpretatorischen Exegesen wurden verfasst, die sich dran machten, anhand von zwei Intimitätsnummern samt - allerdings großartigen - Videos eine neue amerikanische Heldin auszurufen und dabei nur staunend berichten konnten, dass diese sich schon längst selbst ausgerufen hatte.
Konsequenterweise lebt Lana Del Rey auf dieser zentralen Nummer ihres Debuts ihre Liebe zum Hip Hop aus und in der Mischung aus Gesellschaftskritik, Anklage, provokativer Sexiness, Zynismus und Feiern von Konsum weiß man schon wieder nicht in welche Referenz wir hineingeworfen wurden. Auf die Gefahr hin, dass das nicht auch schon gesagt ist: Das ist die große Stärke dieser Frau und ihrer vielschichtigen Erscheinung.
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über Lana Del Rey macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
Perfekt gemacht ist Lana Del Rey, die Kunstfigur der New Yorker Musikerin Lizzy Grant, vor allem in ikonografischen Details. Der Name evoziert "Hollywood" (Lana Turner), der optische Stil orientiert sich an den jeweiligen Phasen der Musik- und Filmindustrie, als diese noch eine Verheißungsindustrie für Provinzjungs und -mädchen waren, wahlweise die "Studiozeit", die Sixties von Nancy & Lee, die 70er der Rockstar-Koksnasen und aus Hotelzimmern fliegenden Fernseher, die 80er von Duran Duran oder die Post Nirvana Signing Goldgräberzeit des Indierock. Die schlechte Lippen-OP evoziert das Mitleid mit den gefallenen Mädchen der 90er, die sich ihre "natürliche" "Reinheit" von Geschäftemachern weg operieren ließen. Das gelangweilte Schnurren in der Stimme erinnert an den "Faded Glamour" rauchender, whiskytrinkender, altersweiser Lebedamen, die alles erlebt haben und nicht mehr an die Liebe glauben ... jedes Detail an Lana Del Rey trägt wissentlich eine große Erzählung aus den letzten 50 Jahren spazieren und spitzt sich unweigerlich zu auf das ikonografisch stärkste Ende all dieser Erzählungen: den jungen Tod des getriebenen Künstlers.
Lana Del Rey ist dabei, erstaunlicherweise, für uns amerikanisch-dekadent und für das US-Publikum europäisch-dekadent (obwohl das Referenzgebiet eindeutig die amerikanische Entertainment-Geschichte ist).
Lana Del Rey / Liberation
Das "Found Footage"-Video im "Wunderbare Jahre"-Stil führt uns in ebendiese "unschuldige" Vergangenheit, als die Super-8-Kameras noch teuer und Frisuren und Silhouetten ausladend geschmacklos waren - von den 50ern bis zu den 90ern eignet sich auch hier fast jede vergangene Epoche zur Verklärung. Kaum hat man "retro" gemurmelt, kommt das zweite Video, das dann gleich vom französischen Regiestar Yoann Lemoine inszeniert wird: Wieder ist Lana Del Rey in allen und in keiner Epoche zuhause. Springsteens "Born in the USA"-Cover und Madonnas "American Pie"-Video werden zitiert, in barocker Dekadenz inklusive Tiger und Thron sitzt sie mit 3-Wetter-Taft-Frisur in einem europäischen Prunksaal und raunzt, ihre Füße mögen sie nicht im Stich lassen; die Zwischenhandlung zeigt die Sängerin beim Teenage-Unschuldssex in und auf dem Auto wie aus einem Teenage-Drama der Eighties, der Lover Partner trägt Hardcore Tatoos aus den Neunzigern, das Auto ist aus den Fifties ... so geht das die ganze Zeit.
- Schönes Sterben, Höreindrücke von Lana Del Reys Debütalbum „Born To Die“ (Christian Fuchs)
Lana Del Reys Kunst, inklusive medialer Inszenierung und Timing, wirbelt uns in dem Referenzdickicht der hundert Mal gesehenen Identitäten ständig herum und schüttelt uns durch, bis aus den ganzen kleinen Teilen ein strahlendes, marmornes Ganzes geworden ist, das so originär strahlt, als hätte es schon eine Karriere hinter sich, bei der wir stumm und staunend froh sind, Zeugen sein zu dürfen. Nach kurzem Blinzeln, einem kalten Waschlappen im Kreuz und einem kurzen Uhrenvergleich merken wir: Das war gar nicht das ganze 20. Jahrhundert, die ganze Postmoderne, der ganze Rock'n'Roll, der ganze "Nowhere Train", das ganze Versprechen von Liebe, Freiheit, Sex, Flucht, Berühmtheit, Raserei, Spaß und Tod ... Die Frau hat zwei Singles auf You Tube und das ganze hat nur drei Monate gedauert. Aber eh' wir es gemerkt haben, ist sie schon weiter gezogen. So funtioniert der Hype im Wald der Fiktionen.