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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

27. 1. 2012 - 23:55

Afrika-Cup-Journal '12. Eintrag 7.

Die Welt ist manchmal ungerecht, und der Fußball bereitet uns drauf vor. Ein turbulenter Tag 7 beim CAN.

Der letztes Wochenende gestartete 28. Afrika-Cup wird im Afrika-Cup-Journal '12 mit einem täglichen Eintrag begleitet.

Das tägliche Journal des Vorjahres wird 2012 spezialisierter. Es kommt ein Fußball-Journal '12, es wird ein Journal zur Europameisterschaft, ein London-Olympics-Journal und anderes mehr geben. Und auch ein Journal 2012, ein unregelmäßiges, mit anlassbezogenen Beiträgen zu Themen wie Jugend- und Popkultur, Demokratie- und Medienpolitik.

Fußball ist auch deshalb ein so guter Lebensbegleiter, weil er nicht gerecht ist; und damit die Tücken des Lebens so brachial widerspiegelt.

Das Team von Niger wird von einem Militärputsch durchgerüttelt.
Das Team von Gabun muss aus reiner Staatsraison mit aller Macht ins Viertelfinale.

Das Team von Marokko etwa ist in zwei Spielen zweimal die bessere Mannschaft und schafft es trotzdem nicht.
Das Team von Tunesien ist in zwei Spielen zweimal (wenn auch nur leicht) unterlegen und geht zweimal als Sieger vom Platz.

Gut, dass beide nordafrikanischen Teams die Klischee-Zuschreibungen ("brotlose Schönspielerei", wenn es nicht klappt; "europäische Cleverness", wenn es klappt) der Medien-Öffentlichkeit teilen. So können sie nicht zum Einsatz kommen, ohne sich lächerlich zu machen.

Tunesiens Sieg gegen den eigentlich schon abgeschriebenen Außenseiter Niger brauchte eine gehörige Portion Glück und letztlich ein paar Solo-Vorstöße der Turnier-Entdeckung Youssef Msakni von Esperance Tunis. Denn eigentlich war es der Turnier-Neuling, der seine Offensive mit unglaublichen Tempo-Gegenstößen so in Szene setzte, dass Trabelsis Truppe Hören und Sehen verging.

Im ersten Spiel gegen den Gastgeber Gabun hatten sie sich, nach vergebener Ausgleichchance und postwendendem 2:0 noch verfrüht aufgegeben. Diesmal gelang der schnelle Ausgleich der tunesischen Führung und dann rollte Welle auf Welle auf das Tor von Mathlouthi, dessen Abwehr (diesmal auch inklusive Haggui) erneut schlechte Figur machte.
Vor allem der furchterregend schnelle und körperlich starke Ouwo Maazou (spielt bei Waregem in Belgien) verbreitete Angst und Schrecken und vergab mehrmals um Haaresbreite.

Tunesien wirkte wie zerrupft, war auch deutlich unpräziser auf- und eingestellt und unterschätzte den Gegner und dessen Wirkung. Da auch noch die zentrale Offensive, die beiden Gast-Schweizer Chermiti und Chikhaoui keinen glücklichen Tag hatten, taumelte das Team an Rand des Abgrunds entlang. Just der eigentlich noch rekonvaleszente Issam Jemaa (Auxerre), Top-Torschütze in der Qualifikation, schaffte bei seinem Comeback den entscheidenden Haken und anschließenden Torschuss.

Hinter den Kulissen spielte sich bei Niger allerdings ein absurdes und armseliges Drama ab: Harouna Doula, der Coach, der historisch erstmals die Quali geschafft hatte und von der CAF auch zum Traines des Jahres 2011 gewählt war, wurde vom nigrischen "Team Manager", einem Colonel Hima, nach der Auftakt-Niederlage gegen Gabun entmachtet. Doula saß nur noch als "zwiter Trainer" auf der Bank, das aufgeregte Reinschreien ins Spielfeld erledigte ein dicker Weißer, der frisch aus Frankreich eingeflogene Rolland Courbis.

Diese Episode zeigt deutlich, wie festgefahren die kolonialen Denkstrukturen auch und vor allem bei den tief drin verstrickten lokalen Machthabern sind; vor allem, wenn es sich um eine Militär-Diktatur handelt.

Von dieser Denke hat auch Co-Gastgeber Gabun ganze Wagenladungen aufgefahren. Sportlich stand man nach dem ersten Match der Gruppe C ordentlich unter Druck: Nur ein Sieg über Marokko würde die sichere und dringend nötige Qualifikation fürs Viertelfinale bringen. Die ist deswegen quasi gesetzlich verordnet, weil sie am Mittwoch vom kleinen, gern spöttisch betrachteten Nachbarn Äquatorial-Guineas auch geschafft wurde. Hinter dem ebenso verrotteten Co-Veranstaler zurückzubleiben war schier unmöglich: bei einem Versagen würden Köpfe rollen; womöglich sogar wörtlich.

Es sah dann auch nicht gut aus für Gabon. Wie schon in ihrem ersten Match präsentierte sich das marokkanische Team als die intelligenter sortierte und kompaktere Mannschaft.
Kapitän Kharja, der Lenker im defensiven Mittelfeld, besorgte mit einem schlauen Drehschuss eine verdiente Halbzeitführung, und ist damit der einzige Torschütze seines Teams (auch weil Chamakh nicht fit und außer Form und Hadji ein Vernebler ist).

In der Halbzeit dann ein fataler Wechselfehler bei Marokko: Eric Gerets nahm Stoßstürmer Al-Arabi vom Platz und schickte Youssouf Hadji in die vorderste Sturm-Position. Da sich die 2. Hälfte logischerweise zu einenm einzigen gaboneischen Sturmlauf entwickeln würde, hätte man aber eine schnelle Konterspitze gebraucht um mitzuhalten. So fand Marokko dann aber nicht mehr statt - man hatte technisch gute Jungs auf dem Platz, aber bis auf den ebenso eingewechselten Flügel Taarabt keine Sprinter.

Und nach dem unvermeidlichen Ausgleich eine Viertelstunde vor Schluss durch den neuen jungen Superstar Pierre-Emerick Aubameyang (der nicht nur die deutlich schickste Frisur aller Teilnehmer hat, sondern bereits im ersten Match durch seine Force, Wucht und Eleganz überzeugte) brach dann alles in sich zusammen. Zwei Minuten später erzielte die gabonesische Legende, Daniel Cousin (der in Frankreich, Schottland und England spielte, ehe er in die Heimat zurückkehrte), in einer exakten Kopie des Tores von Kharja die Führung.
Und dann gab es gegen die euporisierte Heimmannschaft kein Zurückkommen mehr.

Könnte man meinen.
Dann gab der gambische Schiri einen Elfer, der keiner war (klar aus kurzer Distanz angeschossene Hand), und Kharja glich aus, hielt Marokko noch im Spiel.

Bis zur 97. Minute. Da gab es noch einen letzten Freistoß (und auch wenn es nach zu langer Überspielzeit klingt; da war alles korrekt) und Einwechselspieler Mbanangoye nagelt ihn von halblinks unhaltbar ins kurze Kreuzeck.
Und ja, letztlich war das dann wieder okay, wenn man die "gerecht oder nicht"-Leitlinie bemühen will.

Und weg war Marokko.
Und damit der zweite Co-Favorit und Ex-Titelträger.
Und auch der zweite Gastgeber steht bereits vorzeitig im Viertelfinale.

Die Welt ist manchmal gerecht, manchmal nicht. Der Fußball bereitet uns spielerisch drauf vor.