Erstellt am: 27. 1. 2012 - 18:55 Uhr
Die Sprache der Politik
Elisabeth Wehling
Die Hamburgerin Elisabeth Wehling hat Soziologie, Journalistik, Linguistik und Kommunikationspsychologie studiert. Sie arbeitet an der University of California in Berkeley zusammen mit dem bekannten Neurolinguisten George Lakoff. Mit ihm hat sie das Buch "Auf leisen Sohlen ins Gehirn - Politische Sprache und ihre heimliche Macht." geschrieben.
Elisabeth Wehling hat sich vor allem mit der Frage beschäftigt, warum und wie sozialdemokratische Werte wie Solidarität, soziale Gerechtigkeit oder demokratische Mitbestimmung, die bis in die Achtziger Jahre hinein noch die öffentliche und politische Debatte bestimmt haben, inzwischen in den Hintergrund gedrängt wurden, und wie konservative Themen die Diskurshegemonie erobern konnten.
Frau Wehling, der slowenische Philosoph Slavoj Žižek sagt, dass man dem kapitalismuskritischen Protest die Sprache entzogen hat und dass es keine Sprache gibt, in der man "die Wahrheit" sagen kann oder darf. Sehen Sie das ähnlich?
Elisabeth Wehling: Es gibt Sprache, durch die man Wahrheiten begreifbar machen kann. Die Fakten, die wir alle in der Gesellschaft und in der Politik sehen, werden von verschiedenen Gruppen und verschiedenen Parteien unterschiedlich bewertet - entsprechend gibt es eine ganze Reihe von Wahrheiten, keine ist mehr oder weniger wahr. Sie hängen von den Werten ab, die eine Gruppe hat und Teil der Identität dieser Menschen sind. Das bedeutet aber auch, dass man die Sprache finden muss, die diese Werte und Wahrheiten begreifbar macht. Und da liegt oft der Fehler – zum Beispiel in der amerikanischen Debatte, weil Sie Occupy Wallstreet angesprochen haben – nämlich dass sich progressive Bewegungen oftmals einer Sprache bedienen, die aus einer konservativen Denke heraus Dinge begreifbar machen.
Diese aktivieren sogenannte „Frames“ in den Köpfen der Menschen, die ganz stark mit konservativen Glaubenssystemen darüber korrelieren, was gut und richtig ist, wie man als Mensch zu leben hat und wie man als Gemeinschaft miteinander umgeht. Das bedeutet: In dem Moment, in dem eine progressive Bewegung diese konservativen Frames nutzt, kann sie ihre Wahrheit nicht kommunizieren. Das passiert ständig, das sehen wir überall, das ist zum Beispiel in der Steuerdebatte so, das ist in der Sozialpolitik so. Diese konservativen Frames ziehen sich durch den Sprachgebrauch und zwar nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und das stellt ein Problem dar.
Sicherlich gab und gibt es eine progressive Sprache, die aber viel zu wenig stattfindet.
Der Begriff Frames bezeichnet die Bilder im Kopf, die wir mit einzelnen Wörtern verbinden, über die wir Sprache wahrnehmen und die unser Denken strukturieren. In Elisabeth Wehlings Worten: "Frames bezeichnen neuronale Strukturen in unseren Gehirnen, die immer dann aktiviert werden, wenn wir ein Wort hören. Und jeder Frame beinhaltet eine Reihe von Konzepten und unbewussten Schlussfolgerungen, die nicht im Wort selbst vorhanden sind. Jedes Wort, das wir hören, erweckt einen Frame."
Woran liegt es, dass im Moment die Sprache eher konservativ dominiert ist?
Elisabeth Wehling:Ein großer Motor sind sicherlich die konservativen Bewegungen in den USA. Diese investieren ganz intensiv in Sprache und holen die Denke der Menschen wieder in die konservative Werteheimat hinein. In den USA ist über fast vierzig Jahre lang intensiv daran gearbeitet worden, diese Frames zu etablieren. Wenn man sich das anschaut, wie es in Europa aussieht, ist es gar nicht so anders. In Europa gehen Konservative vielleicht weniger strategisch mit der Sprache um, aber Vieles kommt aus den USA und wird von uns übernommen – Beispiel der „Krieg gegen den Terror“, ein Beispiel auch „Steuerentlastung“, „Steuererleichterung“. Also ganz konservative Verständnisse davon, was Steuern sind, nämlich eine Last für den Einzelnen. Insofern hat es zu einer Zeit sicherlich mehr progressive Frames gegeben, aber so lange progressive Bewegungen diese Frames nicht entweder für sich wiederentdecken oder den Zeiten angemessen neue Frames schaffen, überlassen sie dem rechten Flügel das Feld der Sprache.
Sie sagen, dass selbst Barack Obama inzwischen solch konservative Rhetorik verwendet. Dann bleibt ja eigentlich den Republikanern gar kein Spielraum mehr. Müssen die dann noch radikaler werden?
Elisabeth Wehling: Die müssen nicht noch radikaler werden, die sind ja schon recht radikal in ihrer Sprache. Das ist der große Unterschied, dass sich die Konservativen – nennen wir es jetzt einmal radikal – an ihre Ideen und Werte halten - auch in unterschiedlichen Gruppen, die konservativ ausgelegt sind und sich dann auf dem kleinsten Nenner ihrer gemeinsamen Werte und Ideale für die Gesellschaft zusammenfinden.
Wenn die progressive Bewegung die Frames der Konservativen aufgreift, dann müssen die Konservativen nicht weiter nach rechts, sondern sie können sich herzlich bedanken und Barack Obama die Hand schütteln und sagen: „Super, du propagierst unsere Weltsicht. Wir tun das auch. Und so gewinnen wir immer mehr Zustimmung innerhalb der amerikanischen Gesellschaft und bringen die amerikanische Denke, den common sense der Menschen, immer mehr dahin, dass konservative Werte die richtigen Werte sind.“ Wettbewerb, Belohnung, Bestrafung, Sozialdarwinismus - die ganzen Ideen, die da impliziert sind, werden dann eben im schlimmsten Falle von den Republikanern und den Demokraten kommuniziert.
Können Sie vielleicht ein Beispiel geben, wie so etwas funktioniert? Wie man solche Werte, die Sie gerade genannt haben, den Menschen einimpft?
Elisabeth Wehling: Vielleicht darf ich vorher ganz kurz sagen, dass es nicht um das Einimpfen geht. Die Idee hinter dem Framing ist, die Werte, die die Politik bestimmt, transparent zu machen. Und wer nicht richtig „framed“, der schafft diese Brücke zwischen dem eigenen Gedankengut, den politischen Maßnahmen, die sich daraus ergeben und für die man Mehrheiten haben will, und dem Wähler oder dem Mitbürger nicht. Das passiert dann, wenn man nicht die richtige Sprache findet oder seine Ideen in die richtigen Worte fassen kann.
Ein konkretes Beispiel dafür, wie man seine Werte verdeutlicht, ist das Beispiel der Steuerentlastung. Steuern sind keine Last, Steuern sind ein solidarischer Beitrag zu einer Gemeinschaft, auf der jeder von uns sein Leben mit aufbaut. Über Steuern gibt man etwas an die Solidargemeinschaft zurück und über Steuern setzt man sich dafür ein, dass diese freiheitsfördernden Grundstrukturen weiterhin bestehen. Nun sprechen wir aber nicht so über Steuern, sondern wir sagen Steuerlast. Steuerlast bedeutet, dass Steuern eine Belastung sind, von der man erleichtert werden kann – also sagen wir Steuererleichterung.
Steuern sind im konservativen Wertesystem auch etwas Negatives, weil sie den Wettbewerb dämpfen. Weil sie den Menschen, die sich aus konservativer Idee heraus im Wettbewerb behaupten und dadurch stark werden, bestraft – zu Unrecht. Deswegen sind hohe Steuern für Menschen, die viel verdienen, der gedachte Untergang für die Gesellschaft, weil dann ja keiner mehr versucht, etwas Gutes zu leisten.
Ganz ähnlich sind auch die Worte Steuerflüchtling und Steueroasen. Da werden Steuern nicht nur zur Last, sondern zu einer existenziellen Bedrohung, vor der man sich schützen kann und muss. Solange die Sozialdemokraten in Europa und die Demokraten in Amerika diese Sprache im tagespolitischen Geschäft verwenden, so lange wird diese eine Interpretation von Steuern in den Köpfen der Menschen aufrechterhalten werden.
Beobachten Sie im Zuge der aktuellen Diskussionen um Finanztransaktionssteuern, um die Verantwortung der Banken für die aktuelle Wirtschaftskrise, eine Renaissance von linken Begriffen?
Elisabeth Wehling: Ich habe dort bisher keine Begriffe in dem Feld gesehen, die aus progressiver Sicht heraus überzeugend Werte transportieren. Nehmen Sie den Begriff Schuldenbremse. Diese politischen Begriffe sind immer geankert in dem, was wir aus dem Alltag kennen. Anders denkt ein Mensch nicht: Wir kennen Dinge aus dem Alltag, wir denken über abstrakte Dinge nach wie die Politik und nutzen dazu die Konzepte, die Bilder, die Emotionen, all die Dinge, die wir aus dem Alltag kennen. Anderes steht uns nicht zur Verfügung.
Jetzt überlegen Sie mal im Alltag: Wo bremsen Sie denn? Sie bremsen, wenn Sie mit vollem Karacho auf einen Abgrund zufahren - das letzte Mittel ist das Bremsen. Es geht sozusagen ein Stück weit um Leben und Tod, und bremsen ist die einzige Alternative. Das Wort Schulden erweckt auch einen Frame. Wann sind Sie verschuldet? Sie sind verschuldet, wenn Sie über Ihre Verhältnisse gelebt haben. Wir sprechen aber nicht davon, dass man sich verschuldet, wenn man einen Kredit aufnimmt, um sich eine Wohnung zu kaufen. Auch das alles sind schon Frames, die der Situation ein ganz bestimmtes Verständnis geben, das eben nicht immer im Sinne der Sozialdemokraten sein muss.
Die Tea Party und auch die rechtspopulistischen Organisationen in Europa gerieren sich ja als eine Basisbewegung, auch wenn sie das, wie wir wissen, nicht sind, weil sie meist von reichen Menschen finanziert werden. Aber über die, die vorne stehen, sagt man immer: „Die sprechen die Sprache des Volkes“. Wie viel anders sprechen die denn und warum?
Elisabeth Wehling: Da zeigen Sie mit dem Finger schon auf einen ganz wichtigen Punkt und zwar, dass unter den Menschen, die in Politik und Gesellschaft eine Führungsposition einnehmen, ein bestimmter Sprachkodex herrscht, der eben nicht nahe am Menschen ist. Die Idee der Sprache nah am Menschen ist, dass die Sprache vereinfacht ist, damit auch jeder etwas versteht. Damit geht eine gewisse Geisteshaltung einher.
Was die meisten nicht wissen und bestimmte eher abgehobene Gruppen in ihrer Kommunikation nicht beachten, ist, dass nur die Sprache, die nah am Menschen und unserem Alltag ist, im Gehirn wirklich semantisch komplex ist. Alles, was wir sehen können, was wir anfassen und fühlen können, was wir selber tun können, ist in unserem Gehirn mit Bedeutung vernetzt.
Wenn ich Umweltschutz sage, ist Umwelt ein relativ abstrakter Begriff. Anders ist das bei Luft, Wasser und Boden. Wir haben alle schon Luft geatmet, wir haben uns alle schon mit Wasser gewaschen und wir stehen auf dem Boden und beziehen unsere Nahrung zum großen Teil aus dem Boden. Das ist eine einfache Sprache in dem Sinne, dass sie wirkliche Bedeutung hat, wirkliche Bilder aufrufen kann und für die Menschen tatsächlich relevant ist.
Insofern ist der Unterschied zwischen der einfachen Sprache des Tea Party und Occupy Movements und dem abstrakteren Sprechen in bestimmten politischen Kreisen sicherlich immer zugunsten der sogenannten populistischen Bewegung und zu Ungunsten der Politiker und Führungskräfte in der Wirtschaft. Diese drücken sich abstrakt aus, weil sie meinen, Sachverhalte so besonders gut zusammenfassen zu können. Aber umso abstrakter sie sind, desto weniger Bedeutung haben sie.
Man wirft populistischen Bewegungen auch vor, komplexe Zusammenhänge über die einfache Sprache zu simpel darzustellen. Kann man die Komplexität der Gesellschaft aus einer linken, progressiven Sicht überhaupt einfach kommunizieren?
Elisabeth Wehling: Man kann progressive und sozialdemokratische Ideen definitiv einfach kommunizieren. Einfache Sprache, die sozialdemokratische Werte verdeutlicht, wie etwa, dass wir uns im anderen erkennen, zusammenhalten, Hand in Hand gehen, uns aufeinander verlassen, gegenseitig stützen – da gibt es eine Reihe von Bildern. Das ist natürlich immer im Zusammenhang mit politischen Fakten und abstrakten Begriffen, weil wir diese abstrakten Begriffe manchmal brauchen, um Dinge zusammenzufassen - Beispiel: Solidargemeinschaft, solidarische Gemeinschaft. Aber die einfache Sprache für Links gibt es genauso wie die einfache Sprache für Rechts, denn auch die linke Bewegung gründet sich ja in ihrem Denken und in ihrem Fühlen, auch diese Menschen leiten ihre Werte aus ihrer direkten Umwelt, ihren Gefühlen und ihrer täglichen Erfahrung ab. Natürlich kann man diese Werte entsprechend sprachlich darstellen. Man muss es nur wollen.
Glauben Sie, dass den nicht-populistischen Politikern der Wille abgeht, oder glauben Sie, dass da einfach die Sensibilität nicht da ist?
Elisabeth Wehling: Erst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass das Wort „populistisch“ in diesem Zusammenhang nicht immer so trifft. Populistisch hat ja eine ganze Reihe von stereotypischen Assoziationen und ist mit dem, was wir mit einer einfachen Sprache, einem Framing und einem lebensnahen Kommunizieren meinen, nicht immer gemeint.
Am 27.1.2012 um 19 Uhr spricht und diskutiert Elisabeth Wehling im Bruno Kreisky Forum in Wien zur Frage "Brauchen die Linken eine neue Sprache".
Es herrscht unglaublich viel Unwissen darüber, wie wichtig es ist, die richtigen Worte und die richtige Sprache zu finden. Das sieht man ja schon daran, dass politische Bewegungen, wenn sie die finanziellen Mittel haben, oft ihre Arbeit an Werbeagenturen abgeben und damit treten sie auch jegliche Verantwortung für die eigene Sprache ein Stück weit ab.
Das zeigt eben, dass sie sich nicht darüber bewusst sind, wie wichtig die Sprache ist und dass die Sprache authentisch, ehrlich, transparent und von einem Menschen kommuniziert wird, der nach den Werten, die sozialdemokratische Politik bestimmen, lebt, Tag für Tag agiert und dann entsprechend die richtige Sprache findet.
Diese Sprache ergibt sich nicht immer von allein und fällt nicht vom Himmel. Da muss man dran arbeiten. Wieso muss man dran arbeiten? Weil oftmals gar keine Klarheit darüber herrscht, was genau eigentlich die Werte sind. Schauen Sie sich die SPÖ an. Deren Werte sind Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichheit. Das Wort „Freiheit“ wird von den sogenannten Freiheitlichen der FPÖ natürlich 100 Mal mehr am Tag genutzt und sie meinen etwas vollständig anderes damit. Das heißt, es muss eine echte Auseinandersetzung mit den politischen Werten stattfinden und ein Prozess, sich hinzusetzen und zu sagen, was wir denn mit Freiheit meinen, wie sich diese Freiheit gegen andere Freiheitsideale unterscheidet und wie man das am besten kommunizieren kann. Dann findet man die richtige Sprache.
Das ganze Interview mit Elisabeth Wehling als Audio
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