Erstellt am: 27. 1. 2012 - 02:54 Uhr
Shit People Say
Stop looking at things! Diesen Satz möchte man der trauernden Internetgemeinde ins Ohr schreien. Kim Schmitz als Kim Jong Il Nachfolger? R u kitting me? Eher wird noch eine Katze zum obersten Machthaber Nordkoreas ernannt!
Now this is a Talk Show
Doch Rettung ist nah. Es gibt Nachschub an der Prokrastinationsfront. Mitte Dezember vergangenen Jahres tauchte im Netz ein Video mit dem Titel "Shit Girls Say" auf. Es handelte sich um ein DIY-Clip einiger LA Film-Professionals, die sich entweder einen Freizeitspaß erlaubten, oder einfach schamlos Autopromotion betrieben. Sogar das zuletzt etwas außer Form geratene Plastilingesicht von Juliettte Lewis tauchte in dem knapp eineinhalb Minuten langen Clip auf. Inhaltlich ging es um ein seit Jack Lemmon und Peter Alexander gut etabliertes Schenkelklopf-Thema für zwischendurch: Mann in Frauenaufmachung überzeichnet vermeintlich weibisches Verhalten in Wort und Geste, worauf sich die Welt in amüsiert Ertappte und brüskiert Alarmierte aufteilt.
Oh, ihr Abermillionen Clicks! Die Resonanz auf "Shit Girls Say" war enorm. Schon bald fanden sich Nachahmungstäter, die sich andere Cluster und Themenbereiche krallten. Shit Guys Say , Shit Suburban Moms Say , Shit Vegans Say ... der "Shit people say"-Meme war geboren. In den USA fleht zwar schon so manches Nettie "Time Out!", dennoch will das Netz den Mund nicht halten. Täglich wächst die Zahl der Shit-Clips und noch ist kein Ende in Sicht.
Shit we all say
Tatsächlich funktionieren diese aus dem Alltag gefischten, rasant geschnittenen Sittenporträts besser, als zum Beispiel die trotz guter Typen hoffnungslos unlustige Hipster-TV-Milieustudie Portlandia von Fred Armisen (Saturday Night Live) und der großen Sympathieträgerin Carrie Brownstein of Sleater-Kinney and Wild Flag fame.
Denn die Shit People Say Clips sind keine überkanditelten Annäherungen an Lebenswelten, die den Protagonisten offensichtlich längst fremd geworden sind wie in "Portlandia".
Sie vermitteln vielmehr einen authentischen Einblick in die Untiefen aktueller Umgangsformen und Redewendungen made in the USA. Die Clips tasten die Ami-Lingo auf ihre Untiefen und Normen ab (der Titel, der Titel!) und offenbaren, welche Stereotypen, Einstellungen und Werte unter der Decke zeitgenössischer Konversationskultur lauern. Didaktisch hilfreich ist das Format der Clips, die in der rasanten Aneinanderreihung knapper Wortfolgen wie ein Twitter-Feed anmuten und somit dem Rhythmus der Jetztzeitkommunikation entschsprechen.
Ein weiterer Reiz liegt in der virtuellen Gesprächssituation, die uns zu evaluierenden Komplizen macht. Die "Shit" erzählenden Typcasts wenden sich in der Regel an im Clip präsente Personen. Jene sind jedoch bloß Platzhalter für uns Menschlein vor den Computern. Der Bildschirm wird zum Spiegel und wir wundern uns, lachen, oder überlegen, wo wir denn dies schon mal gehört haben und wer im Freundeskreis genau das immer zu sagen pflegt oder was so gar nicht geht.
Klarerweise funktionieren die Oral-Filmchen in erster Linie bei native speakers oder Menschen, die ein Naheverhältnis zur USA und ihrer lebendigen Sprachkultur haben. Doch interessierte Zaungäste bekommen zumindest ein comical Update in Sachen angewandter Stereotypismus im Amiland. Und an Studienobjekten herrscht kein Mangel.
In den Fokus dieser Zwerchfell-Snacks geraten Lifestyle-Typen, Ethnien, Geschlechter, Szenen aber auch lokale Verhaltensnormen ("Shit New Yorkers Say"). Den kurzen Reaktionszeiten des Netzes entsprechend werden problematische oder allzu einfältige Clips von dem Machern, die sich überwiegend aus der Creative Industries zu rekrutieren scheinen, umgehend mit Gegenattacken, relativierenden oder ergänzenden Filmchen beantwortet. Auf "Shit Black Girls Say" folgte "Shit White Girls Say To Black Girls" usw.
Die ersten Meta-Clips deuten in den USA bereits auf Übersättigung und kreative Verdauung des Phänomens hin ("Shit Nobody Says" oder Shit Monks Say). Doch da ist noch eine ganze Welt zu erobern. Wachse du Meme! And what about "Shit Austrians Say"?