Erstellt am: 26. 1. 2012 - 18:58 Uhr
Lost in the Bio-Supermarket
von Andreas Schindler
Der junge Agrarökologe und Autor Clemens Arvay hat ein Buch mit dem Titel "Der große Bioschmäh" veröffentlicht. Ich habe es (noch) nicht gelesen, nur die Diskussionen verfolgt, die im Zuge einer Besprechung seiner Kritik am BIO-Business die Runde machen.
Man darf davon ausgehen, dass die allermeisten Poster das Buch auch nicht kennen, in dessen Vorwort es über den Autor heißt: "…seine Motivation entspringt der Verantwortung zur Bewahrung und Weiterentwicklung biokultureller Vielfalt als tragfähige Basis zukunftsfähiger Landwirtschaft und Ernährung."
Wenn Arvay sich nun die Wortmeldungen in den diversen Foren durchliest, wird er das sicher mit gemischten Gefühlen tun. Einerseits ist offenbar viel Interesse für das Thema "Wie bio ist bio?" da, andererseits scheinen nicht wenige die sicher berechtigte Kritik am Bio-Gütesiegel umzuinterpretieren in: "Eh schon immer g'wusst: der gleiche Schas, nur teurer."
flickr.com/maret1983
"Ich bin doch nicht blöd, Mann!"
Das versichern sich jene, die hinter dem Bio-Gütesiegel zuallererst die Möglichkeit höherer Wertschöpfung bei der Nahrungsmittelproduktion vermuten und fragen: "Wer verdient dabei?"
Großkonzerne natürlich, also die Bösen. Und weil man sich von denen nicht an der Nase herumführen lässt, greift man fatalistisch zum billigeren, konventionellen Produkt. Nur, wer verdient an diesem?
Höchstprofitable Firmen mit Patenten und immensen Einfluss auf allen Ebenen. Auf ihren Visitenkarten lesen wir Monsanto, Syngenta, Bayer, Nufarm oder DowAgro Science. Sie leben, füttern und reproduzieren eine Geschäftspraxis, die unvereinbar ist mit der Idee eines zukunftsträchtigen und verantwortungsvollen Umgangs mit der belebten Welt.
Ihre chemischen und/oder gentechnisch veränderten Produkte und ihre Bewirtschaftungsrichtlinien richten Schäden in nicht beziffer- oder überschaubaren Ausmaßen an.
Unsere wertvollsten Ressourcen (Wasser, Luft, Boden, Biodiversität…) werden von dieser Industrie ausgebeutet, vergiftet, vernichtet. Raubbau nennt man das.
flickr.com/juniorvelo
Wie sieht es nun mit der Bio-Produktion aus?
Heute ist das Bio-Gütesiegel so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Konsumentenschutzbeauftragten und Vertretern der Agrarlobby. Bio-Produktion hat nachvollziehbare Auflagen hinsichtlich der Behandlung des Bodens, der Nutztiere, des Saatguts etc. zu erfüllen. Diese Auflagen gehen vielen nicht weit genug. Aber soll ich deshalb ein Produkt kaufen, dessen Produktionsgeschichte unzweifelhaft noch schlimmere Kosten verursacht?
Bio ist eine Nische in einem Markt mit fragwürdiger Logik. Die Idylle, die die Bio-PR verkauft, also der Bauernhof mit Henderl, Schweinderl und Muhkuhli hat es natürlich nie gegeben. Ohne fossile Brennstoffe war man darauf angewiesen, die Stoffkreisläufe zu optimieren, was angesichts der nicht vorhandenen Maschinen ein Knochenjob war. Lohn der harten Arbeit war ein Energiegewinn in Form von Lebensmitteln.
Die Nettoenergiebilanz in der konventionellen Nahrungsmittelproduktion sieht dagegen verheerend aus. Dort setzt die Agrarindustrie 10-20 Kalorien ein um 1 zu ernten. Das Energiepreisniveau wird mit Hilfe von Subventionen künstlich niedrig gehalten. Die Hälfte des EU-Budgets fließt direkt in die Agrarindustrie. Das Argument für diese Großzügigkeit lautet Ernährungssicherheit. Aber wie ist es um diese bestellt? Wir wissen um die Endlichkeit des Erdöls und auch, dass es ohne nicht einfacher werden wird auf den ausgelaugten, degradierten Böden, die die moderne Landwirtschaft hinterlässt.
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Bio-Produktion als Zeichen des Wandels
Bio-Produktion ist ein Zeichen eines sich anbahnenden Wandels hin zu einer energieextensiveren Nahrungsmittelproduktion und kein ethisches Konzept.
In diesem Sinne kann man Bio auch als Versuchsanordnung begreifen: Wie kann man mit weniger Energieaufwand produzieren. Im ökologischen Sinn nachhaltig sind Bio-Monokulturen, lange Transportwege oder der Einsatz schwerer Maschinen natürlich nicht. Der Raubbau ist ein verlangsamter, die Belastungen für das Ökosystem bei Weitem nicht so hoch wie in der konventionellen Landwirtschaft.
Eine nachhaltige, zukunftstaugliche Nahrungsmittelproduktion sieht anders aus und wird durchaus praktiziert. Überall auf dem Planeten suchen Menschen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen verantwortungsvoll hauszuhalten und ernten dabei weit mehr Energie als sie einsetzen.
Dafür ist es nötig, sich mit den lokalen Gegebenheiten intensiv auseinanderzusetzen, die Kreisläufe in der Natur genau zu beobachten, um auf veränderte Bedingungen rechtzeitig reagieren zu können. Klimatische Veränderungen und schwindende Ressourcen sind große Herausforderungen an die Gegenwart und Zukunft der Nahrungsmittelproduktion.
Bio-Produkte sind das bei weitem kleinere Übel
Noch immer fragen wir "Was kann ich aus diesem Land herausholen?" statt "Was kann mir das System bieten, wenn ich mit ihm kooperiere?". Die Politik hat über die Agrarsubventionen alle Lenkungsmittel in der Hand, wie und womit produziert wird. Die Verbraucher wiederum entscheiden darüber "wie weit bio gehen muss".
Der Konsum von Bio-Produkten ist das bei weitem kleinere Übel, aber natürlich entbindet uns der etwas höhere Preis nicht vor Verantwortlichkeit. Wo gewinnorientiertes Preisdumping herrscht, kann es keine glücklichen Schweinderl geben. Paprika aus dem wasserarmen Israel im österreichischen Supermarkt kann unmöglich auf ökologisch sinnvollen Wegen dorthin gelangt sein.
Diese Befunde eigenen sich ob ihrer Banalität nicht zum Skandal. Bio ist kein "Schmäh", aber auch keine befriedigende Lösung für das Problem einer vertretbaren Nahrungsmittelproduktion.
Nachtrag:
Mittlerweile habe ich das sehr empfehlenswerte Buch gelesen. Der Autor, Clemens Arvay, ist heute, 30. Jänner, im FM4 Connected Studio zu Gast.