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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

26. 1. 2012 - 19:17

Wie es mit ACTA weitergeht

EU-Parlamentarier aus Österreich äußerten sich in einer Umfrage von ORF.at ablehnend bis skeptisch. ACTA kann frühestens im Juni im Plenum angestimmt werden, wahrscheinlich wird es aber Herbst.

Während hochrangige europäische Diplomaten, auch aus Österreich, in Japan die Unterzeichnungszeremonien abolvierten, wurden in Polen neue Proteste angekündigt. Am Mittwoch waren Zehntausende in mehreren Städten Polens zum Protest gegen das umstrittene A ntipiraterieabkommen ACTA auf den Straßen.

Der Sozialdemokratische MEP Kader Arif (Frankreich), Berichterstatter des Europäischen Parlaments zum Thema ACTA ist heute von dieser Funktion unter Protest zurückgetreten, berichtet das französische Magazin Numerama. Der erboste Arif bezeichnete den gesamten ACTA-Prozess als von Anfang an geschoben, "eine Maskerade", bei der er nicht weiter mitmachen wolle.

Die fand ihre Fortsetzung bei einem Großauftrieb höchstrangiger Diplomaten in Tokio zur Unterzeichnung als Ausdruck einer politische Willensbekundung, nicht mehr. Sowohl das europäische Parlament wie auch die nationalen Parlamente müssen ACTA noch zustimmen, vor allem in Brüssel ist das keineswegs ausgemacht.

Das sagen MEPs aus Österreich

Das Ergebnis einer Blitzrundfrage unter österreichischen MEPs (Abgeordneten) im EU-Parlament auf den Punkt gebracht: Ablehnung bis Skepsis.

Im österreichischen Ministerrat war am Dienstag formal beschlossen worden, das Abkommen zu unterzeichnen. Das erst jetzt damit befasste EU-Parlament kann das Abkommen noch kippen, ebenso der Nationalrat, theoretisch.

Der Delegationsleiter der österreichischen Sozialdemokraten, Jörg Leichtfried, äußerte gegenüber ORF.at erhebliche Zweifel, ob die Entscheidung des österreichischen Bundesregierung, ACTA zu unterschreiben, denn auch "weise" sei. Leichtfried äußerte auch die konkrete Befürchtung, dass die Interessen und Eigentumsrechte von Konsumenten und mittelständischen Betrieben den Interessen der Inhaber von Markenrechten, Copyrights usw. hintan gestellt werden.

Grüne, EVP

Geradlinige Ablehnung kommt von den Grünen durch Eva Lichtenberger, der fraktionslose Abgeordnete Martin Ehrenhauser hat ebensolches ausgedrückt. Doch auch seitens der EVP ist man sehr vorsichtig.

Bei den österreichischen EVP-Abgeordneten ist Elisabeth Köstinger für ACTA zuständig. Bezüglich der aufgekommenen Bedenken sagte Köstinger zu ORF.at: "Es ist notwendig, diese Punkte genauestens zu überprüfen. Deshalb haben wir im Handelsausschuss des EU-Parlaments eine unabhängige Studie in Auftrag gegeben und den Rechtsdienst des Parlaments beauftragt, ein Gutachten vorzulegen." Das gelte es nun in aller Ruhe zu analysieren."

Die im Binnenmarktausschuss gerade federführend erstellte Verordnung zur "Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte am Zoll" enthält bereits einzelne Elemente des ACTA-Abkommens. Bei strittigen Fragen am Zoll, werrden die die Eigentumsrechte von Einzelhändlern, Importeuren, Spediteuren wie Konsumenten gegenüber "geistigen Eigentümern" hintangestellt.

Potenzieller Klärungsbedarf

Falls die Studie entweder ergebe, dass ACTA nicht mit geltendem EU-Recht in Einklang stehe, oder Rechtslücken zu Ungunsten europäischer Bürger öffne, bestehe seitens der Kommission Klärungsbedarf, so Köstinger weiter. Und wörtlich: Das Europäische Parlament, als einzig direkt gewählte Institution auf EU-Ebene, wird hier klar auf Seite der BürgerInnen stehen, wie es dies bereits in seiner Entschließung im November 2010 klar gemacht hat."

Die ACTA-Timeline

Köstinger sitzt auch im internationalen Handelsausschuss (INTA) des Parlaments, der in Sachen ACTA federführend ist. Dort wird das umstrittene Abkommen am Schalttag 29. Februar oder Tags darauf behandelt.

Mit einer Abstimmung im INTA ist April oder Mai zu rechnen, wie üblich werden auch andere Ausschüsse Meinungen dazu abgeben. Ab 12. Juni kommt ACTA dann ins Plenum des Parlaments.

Wie das genaue Abstimmunsergebnis zeigt, verlief die Abstimmung 2010 zu 90 Prozent entlang der Fraktionslinien Liberale, Grüne und Sozialdemokraten gegen EPP und die Rechte. Den Ausschlag dafür, dass der noch wesentlich schärfer formulierte Beschluss zum Tragen kam, gaben vor allem Gegenstimmen britischer und spanischer Sozialdemokraten den Ausschlag.

Das Parlament und ACTA

Dort hatte es erst laufend Kritik an den jahrelangen Geheimverhandlungen unter Führung von Japan und den USA gegeben, unterstützt von Großbritannien, Frankreich und Italien. Immerhin hatte die Kritik der Parlamentarier dazu geführt, dass die Sarkozys und Berlusconis ihre Internetsperrpläne nicht via ACTA durchsetzen konnten.

Neben der letztendlich verabschiedeten, vielfach als zu moderat bis zahnlos kritisierten Resolution des EU-Parlaments zu ACTA gab es noch eine wesentlich kritischere, alternative Resolution. Die unterlag mit einer denkbar knappen Mehrheit von 16 Stimmen, bei einer (damaligen) Gesamtzahl von 736 Abgeordneten.

Der österreichische Nationalrat

Der Herbst 2012 ist der ehestmögliche Zeitpunkt, an dem sich der österreichische Nationalrat mit ACTA befassen könnte, doch realistisch ist das nicht. Vergleicht man ACTA mit den Abläufen ähnlich strittiger Verträge oder Richtlinien der Vergangenheit, dann wird es wohl zumindest Herbst bis eine Entscheidung fällt.

Wie immer das Abkommen dann aussieht: Bei vergleichbaren Entscheidungsfindungen des Parlaments hatte es hunderte Änderungsanträge gegeben und bei ACTA ist es dezidiert so, dass der Vertrag noch Textänderungen möglich macht.

Stoßrichtung Ostasien

Warum ACTA bereits im Herbst 2011 quasi vorunterschrieben wurde und jetzt noch einmal und wieso das immer in Tokio geschieht, ist recht einfach erklärbar. Das ACTA-Abkommen richtet sich - von China und Russland angefangen - gegen Schwellenländer vor allem in der Region Ostasien.

Die japanische Regierung gab am Mittwoch die erste negative Handelsbilanz seit 31 Jahren bekannt, Barack Obama hatte erst kürzlich die Asien/Pazifik zur strategisch wichtigsten Weltregion für die USA erklärt.

Eine "Anti-Counterfeiting Trade Agreement Signing Ceremony", also eine Art Vorunterzeichnung durch Diplomaten sämtlicher an ACTA beteiligten Staaten war am 1. Oktober 2011 in Japan über die politischee Bühne gegangen.

Auswirkung auf Firmen aus Österreich

Die Einbeziehung bzw. Zwangsverpflichtung Europas durch die Regierungen dreier großer Mitgliedsstaaten sollte einerseits den Druck auf diese Länder erhöhen, in denen von Elektronik bis Kleidung mittlerweile ein Großteil der Gebrauchsgüter für Europa gefertigt wird.

Gegen bekannte Tatbestände, die gerade Unternehmen exportorientierter Länder wie Österreich schädigen, hilft ACTA überhaupt nichts. Wenn etwa die Produkte eines hochspezialisierten Maschinenbauunternehmens aus Österreich in China nachgebaut werden, dann lässt sich auch weiterhin nur in China dagegen vorgehen. Ebenso wird sich durch ACTA nicht verhindern lassen, dass die chinesische Firma diese von österreichischen Ingenieuren entwickelten Spezialmaschinen nach Russland exportiert.