Erstellt am: 27. 1. 2012 - 12:07 Uhr
Home is where The Artist
Das strahlende Lächeln Jean Dujardins, als er den Golden Globe als "bester Darsteller in einer Komödie/Musical" entgegen nimmt, straft endgültig alljene Lügen, die "The Artist"-Regisseur Michel Hazanavicius weismachen wollten, dass es Unsinn sei, einen Stummfilm zu drehen. In schwarz-weiß noch dazu, mon dieu! Hazanavicius aber war überzeugt von seiner Idee und traf mit Thomas Langmann einen Produzenten für seine Geschichte um einen Stummfilmstar, den der Tonfilm aufs Abstellgleis Hollywoods schiebt. In Jean Dujardin, mit dem Hazanavicius bereits mehrmals zusammengearbeitet hat, fand er auch den exzellentesten Mann für die Hauptrolle. Ein Feschak im Frack, der so aussieht, als hätte er nie was anderes gemacht, als Schurken mit dem Degen zu jagen und mit schwarzer Zorro-Maske Flugzeuge zu steuern. Dujardin zieht grandios alle Mimik-Register, inklusive "Douglas Fairbanks"-artiger Augenbrauen-Artisterie, ohne jemals in Clownerie abzudriften.
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Filme über Filme
Noch vor der Aufführung bei den Filmfestspielen in Cannes 2011 kauft Harvey Weinstein die Verleihrechte für die USA. Und dieser Mann wird nicht umsonst als master of the movie award gamebezeichnet. Weinstein selbst meint zwar there is no other marketing than praying, aber das glaubt er ja wohl selbst nicht. Unter seiner Anleitung tanzt der Film ohne Farbe und ohne hörbare Dialoge mit Darstellern, die außerhalb Frankreichs kaum jemand kennt, beispiellos und elegant durch einen Preisregen. Die Kritikerherzen fliegen dem Film zu, die Publikumsherzen folgen nach und pochend liegen sie dem Film zu Füßen.
Als nach drei Golden Globes auch noch die Producers Guild of America "The Artist" auszeichnet, der von den Nominierten das schwächste Einspielergebnis aufweist, waren die Oscar-Nominierungen eigentlich nur mehr eine Formalität. In zehn Kategorien wurde "The Artist" nominiert, nur geschlagen von Martin Scorseses "Hugo Cabret" mit elf Nominierungen. Ein Franzose verneigt sich also vor dem amerikanischen Kino und ein Amerikaner nähert sich Georges Melies, dem französischen Filmpionier an.
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Es grient so grien
Dass keiner der beiden Oscar-Favoriten sich an der Gegenwart abarbeitet, führte zu Vorwürfen, dass sich Hollywood jetzt endgültig nur noch selbst abfeiert und den Elfenbeinturm, in dem es sitzt, quasi mit Spiegeln ausgekleidet hat. Nun, wer in den Oscars - und vor allem den Gewinnern in der "Best Picture" Kategorie - sowas wie ein Zeitgeist-Barometer sucht, sollte sich auf eine Enttäuschung einstellen.
Zwar gibt es Ausnahmen, aber im Zweifelsfall lieben die Oscars Erzählkino, das von großen Träumen, Taten und Triumphen erzählt. Sonst hätte 1965 wohl kaum "My Fair Lady" über "Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb" gesiegt und ebensowenig 2011 "The King's Speech" über "The Social Network". Die Geschichten vom stotternden König und dem Blumenmädchen mit der derben Sprache haben einiges gemeinsam. Beide verhandeln Klassenunterschiede und einen Lernprozess, an dessen Ende ein strahlender Erfolg steht. Ein Manko wird überwunden, alles ist möglich, das ist ein Versprechen, das der amerikanische Film gerne gibt. Beide Figuren bekommen außerdem zum Sprechunterricht Murmeln in den Mund gestopft, das interessiert vielleicht die Statistiker. "The Artist" verbindet mit dem Vorjahres-Oscar-Sieger nicht viel, aber für beide hat Harvey Weinstein den Weg zu den Oscars geebnet. Und auch, wenn man das jetzt im grellen Licht der hysterischen Jubelberichterstattung übersieht, aber im Grunde ist "The Artist" Ausnahme, Überraschung und Underdog der diesjährigen Oscars. Nicht die Nominierungen und die letztendlich sehr guten Chancen, abzuräumen, sondern, dass er es überhaupt bis dahin geschafft hat.
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Auf zu den Oscars
Weinsteins Strategie bei "The Artist" war, die Leute vergessen lassen, dass es kein amerikanischer Film sei, so Olivier Bonnard im "Le Nouvel Observateur" und so ein stummes trojanisches, französisches Pferd zum Oscartriumph zu führen. Selbst Regisseur Hazanavicius wird ja nicht müde zu betonen, dass "The Artist" zwar eine französische Produktion sei, aber ein amerikanischer Film, was Geschichte und Inszenierung betrifft.
Woohoo! - Die diesjährigen Oscar-Nominierungen
weitere Filmrezensionen: fm4.orf.at/film
Und tatsächlich halten sich Berenice Bejo und Jean Dujardin im Tanz um mediale Aufmerksamkeiten eher im Hintergrund, beide sprechen nicht wirklich fließend Englisch. Dujardin greift zu Gast bei Jimmy Fallon auf Imitationen zurück und führt seine Robert de Niro-, Kamel- und Robert de Niro als Kamel-Nachahmungen vor. Dujardin beibt also eher stumm, nur konsequent, spricht er doch in "The Artist" auch nicht (hörbar).
Uggie hingegen, der Jack Russell Terrier aus dem Film, ist voll im Einsatz. Am roten Teppich mit Mascherl, zu Besuch beim "Guardian". Schauspielerin Emmy Rossum twittert aufgeregt vom Treffen mit Uggie. Zwei Tage nach Bekanntgabe der Oscarnominierungen dann der Schlag für die Uggie-Fans, er zieht sich aus dem Showbusiness zurück. (Uns bleibt immer noch Cosmo, der Jack Russel Terrier aus "Beginners".)
Uggie!
Auch der Terrier ist natürlich ein Zitat, vor allem in den Screwball-Komödien der 1930er Jahre wuselten entzückende und sture Terrier um die Beine von William Powell, Myrna Loy, Cary Grant und Irene Dunne. "The Artist" ist meisterlich und schlau in seiner Verwendung von Zitaten. es blickt zurück auf die US-Filmgeschichte und verbeugt sich. Trotzdem darf man "The Artist" nicht unter der zeitgeistigen Retrobesessenheit ablegen, die kommt dem Film zwar sicherlich zugute, dennoch war eine Stummfilmproduktion, die auf ein großes Publikum abzielt, im Jahr 2011 erstmal ein Wagnis, das darf man jetzt, wo ihm Welt und Academy zu Füßen liegen, nicht vergessen. Schon alleine "schwarz/weiß" ist für viele Leute ein Grund, einen Film nicht anzuschauen, von "Stummfilm" ganz zu schweigen.
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Zitate-Melange
Und was "The Artist" so raffiniert und erfolgreich macht, ist die gekonnte Melange seiner Vorbilder - und, dass er natürlich nur bedingt aussieht wie ein Stummfilm aus der Zeit, in der er spielt. Zwar gibt es hier tatsächlich nur 22 Frames per Seconds statt den üblichen 24 Bildern pro Sekunde, den Effekt des leichten Fast Forward, den man gemeinhin mit Stummfilmen verbindet, die 16 Bilder pro Sekunde zeigten, gibt es aber nicht. Und auch Jean Dujardin und Berenice Bejo greifen nur selten zur ganz theatralischen Gestik. Zwar wird reichlich gezwinkert und schon mal die Hand in die Hüfte gestemmt beim Lachen, doch genau so viele Szenen spiegeln eher Komödien oder Melodramen der 1950er Jahre. Eine Frühstücksszene ist aus "Cititzen Kane" übernommen, in der Geschichte um das Aufkommen des Tonfilms schimmern natürlich auch ein wenig "Sunset Boulevard" und "Singing in the Rain" durch. Und zweimal lässt "The Artist" ja das Stummfilmsein hinter sich, beides sind gewitzte, exzellent getimte und hervorragende Pointen.
Stumme Witze
Denn das unterscheidet den Film natürlich von den Stummfilmvorbildern, er ist sich seines Formats und dessen Beschränkungen bewusst. Der Metafilm geizt nicht mit Anspielungen, die den Status "Stummfilm" kommentieren und thematisieren. "We will make you talk" schreit der erste Zwischentitel aus einem Film im Film, in dem Valentin einen Abenteuer spielt, der von bösen Buben gefoltert wird. Mit einer fiesen Apparatur, die auch aus Fritz Langs "Metropolis" stammen könnte, wird er gefoltert. Blitze zucken um seine Ohren und wir sehen ihn schreien. Es folgt später ein "Please be silent" Schild hinter der Leinwand eines Kinos und führt bis zu Vorwürfen von George Valentins Frau, dass er nunmal endlich mit ihr reden solle.
Aber "The Artist" ist weit mehr als ein Sammelsurium an Zitaten und einer Handvoll postmoderner Witzchen. Es ist nämlich egal, ob man Einflüsse erkennt oder die Anmerkungen auf den Stummfilm-Status mitbekommt, der Film funktioniert auch, wenn das Referenz-Radar gerade auf Standby ist und das, weil die narative und visuelle Ebene einen perfekten Tanz aufs Parkett legen, eng umschlungen und im Takt. "The Artist" ist nicht nur eine Liebeserklärung ans amerikanische Kino und ein enthusiastisches Stück Kino und Herzblut, sondern auch eine Wertschätzung des Film-Handwerks.
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Dass früher oder später dennoch ein Backlash in Sachen "The Artist" einsetzen wird, ist Teil des Oscar- und Medienberichterstattungsspiels. Die, die ihn bereits letztes Jahr auf Festivals gesehen haben, werden bald genervt sein, die, die ihn jetzt sehen, sind genervt von nicht enden wollenden Jubelmeldungen. Erwartungshaltungen, aufgeblasen wie ein Kindergeburtstagsluftballon, müssen platzen und Enttäuschung Platz machen.
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Hinzu kommt immer auch sehr viel trottelige Berichterstattung, also die Vorankündigungs-Jubelmühle, die stets auf die gleichen Vokabeln zurückgreift. Die Nicht-Auseinandersetzungs-Berichterstattung, die, die bloß die immergleichen Worte wiederholt ankündigt, die durch ihre stetige Verwendung zu Marketing-Zwecken bereits ihrer Bedeutung beraubt sind. Worte wie zum Beispiel "warmherzig", "bezaubernd", "magisch", "Feel Good" oder "spritzig". Mit einigen dieser Worte wurde auch "The Help" beworben, den ich mir dann tatsächlich nicht anschaute, weil mich die Werbestrategie für blöd verkaufte. Der Film, der sich zwar auch das Schlagwort "Rassismus-Drama" auf die Fahnen heftet, wurde als klassischer Frauenfilm vermarktet, was bedeutet, dass Magazine dankbar die Möglichkeit - angeregt durch einen ausgeschickten Pressetext der PR-Agentur - aufgriffen und zeigten, wie man sich á la "The Help" anziehen und schminken kann. Ja, es geht um Unterdrückung und Segregation, aber hey, kuck mal, ein pastellfarbener Bleistiftrock!
Die Hölle sind die Anderen, wiedermal
Im Dauerfeuer dieser blumigen Vorberichterstattung, wo zwischen "Magie des Kinos" und "Macht der Bilder" noch ein "Must See" gequetscht wird, kann es leicht passieren, dass man die Lust auf "The Artist" verliert. Wenn etwas dauerpräsent in den Medien ist, kann das nicht nur dazu führen, dass man sich auch damit beschäftigen will, sondern ins genaue Gegenteil umschlagen. Man will Dinge schließlich selbst entdecken - und sie auch ein bisschen für sich haben. Ich glaub Stuckrad-Barre hat das mal das "gymnasiale Abgrenzungsdilemma" (oder so ähnlich zumindest) genannt, dass man Bands plötzlich nicht mehr gut finden kann, weil die die Blöden aus der Klasse auch mögen. "The Artist" mögen umgelegt grad nicht nur die Blöden aus der Klasse, sondern wirklich jeder. Auch der Schulsprecher und die Direktorin, Aber lasst euch bloß davon nicht abhalten. "The Artist" ist nämlich - ich schwöre - sensationell.
P.S. Apropos sensationell: es gibt ein Video vom "The Artist"-Team, das es champagnertrinkend bei Bekanntgabe der Oscar-Nominierungen zeigt!