Erstellt am: 25. 1. 2012 - 11:27 Uhr
Das Boot
Ich war zwanzig Jahre alt und das Studieren an der Universität Sofia war der reine Horror. "Kollege, Sie bekommen eine vier, weil sie keinen kurzen Rock anhaben", sagte mir einen Professor bei meiner letzten Prüfung für den Sommersemester. Ich habe versucht, dem Typen meine Beine zu zeigen, aber das hat mir auch nicht viel weiter geholfen.
Was sollte ich jetzt machen? Noch ein Jahr an dieser verflixten Uni, nur um ein Diplom in der Tasche zu haben? Die zweite Wahl war mir einen Job zu suchen. Der am meisten verbreitete Job für Leute in meinem Alter, die Fremdsprachen können, war im Callcenter, übrigens eine immer noch boomende Branche in Bulgarien. Aber nein, das Leben mit Zwanzig ist viel zu schön, um es in einem Büro zu verbringen. Ich suchte nach weiteren Jobmöglichkeiten. Und da stieß ich plötzlich auf eine Webseite: Agentur sucht Personal für Kreuzfahrtschiffe in Europa und Amerika.
Das hörte sich aber verlockend an! Wer will nicht fremde Länder bereisen? Und wenn man dabei Geld verdienen würde, erschien das ganze Vorhaben noch sinnvoller. Mein Freund Mischo aus Varna arbeitete schon seit Jahren auf so einem Schiff. "Der Job ist scheiße, aber das Geld ist gut", erzählte Mischo. "So viel kannst du in Bulgarien mit nichts verdienen. Eigentlich bekommt man nicht sehr viel, aber da man keine Möglichkeit hat, das Verdiente auszugeben, scheint das Ersparte viel zu sein."
Mit den Euros, die Mischo durch das Richten der Bettwäsche in den Nobelsuiten auf dem Kreuzschiff verdiente, ernährte er seine Eltern, beide schon Pensionisten, und seine kleine Schwester, die noch in der Schule war. So hat er mit der Zeit gelernt, die Misere in Glück zu verwandeln.
EPA
Diese Geschichte ist in meine Erinnerung zurückgekommen, als ich in der österreichischen und in der bulgarischen Presse über das verunglückte italienische Schiff gelesen habe. Die Österreicher, darunter auch der Bürgermeister von Salzburg, die sich auf dem Schiff befanden, sind alle Touristen, die auf dem Kreuzfahrtschiff den Winter in Mitteleuropa vergessen wollten. Fast alle erzählen den heimischen Zeitungen vom Chaos, das auf dem Schiff ausgebrochen ist, nachdem es gegen einen Felsen prallte. Die Rettung der Passagiere erfolgte in voller Panik, erzählen sie, die Besatzung war nicht bereit, nach dem Unglück die Rettungsaktion ordnungsgemäß zu leiten.
Die sechs Bulgaren, die an Bord der "Costa Concordia" waren, gehören alle entweder zur Besatzung oder zum Hilfspersonal auf dem Schiff. Alle erzählen den bulgarischen Medien, wie gut organisiert die Rettungsaktion war und wie viel alle gegeben haben, um die Passagiere so schnell wie möglich aufs Land zu transportieren.
Was hat das zu bedeuten?
"Du darfst nichts Schlechtes über deinen Vorgesetzten erzählen", sagte mir mein Freund Mischo, damals als ich mich für einen Job auf einem Schiff bewerben wollte. "Sonst fliegst du sofort raus. Manchmal will ich sie umbringen, diese Idioten, aber ich habe mit der Zeit gelernt, meine Wut zu halten. Du wirst es auch lernen."
Ich verstehe die bulgarischen Besatzungsmitglieder. Wenn sie etwas Schlechtes über die Reederei erzählen, dann kommen sie nie wieder zu so einem tollen Job, der ihnen erlauben wird, ihre Kinder zu ernähren. Leute aus armen Ländern sind zu allen möglichen tapferen Taten bereit.
Ich habe mich damals entschieden, nicht auf einem Kreuzfahrtschiff zu arbeiten. Ich kann nicht schwimmen und dachte, das wäre eine schlechte Idee. Stattdessen kam ich nach Wien. Und Wien kann keine "Titanic" sein. Hoffe ich zumindest.