Erstellt am: 24. 1. 2012 - 20:26 Uhr
Bundesregierung beschließt ACTA
Am Dienstag Nachmittag war von einem Sprecher des österreichischen Außenministeriums auf Anfrage von ORF.at zu erfahren, dass Österreich das umstrittene Abkommen am Donnerstag unterzeichnen würde. Das setzt natürlich einen Ministerratsbeschluss voraus.
"ACTA behandelt nur den Umgang mit großangelegten illegalen Aktivitäten, oft auch von Kriminellen Organisationen. ACTA soll weder Bürgerrechte einschränken, noch Konsumenten drangsalieren. ACTA ist mit der gegenwärtigen EU-Regelung zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte in einer Linie. Dabei werden fundamentale Rechte und Freiheiten wie der Schutz persönlicher Daten berücksichtigt."
So heißt es in einer dreiteiligen Erklärung, die von der EU-Kommission am Dienstag Nachmittag eilig veröffentlicht wurde. Wie durch Geisterhand sind parallel dazu die Aufzeichnungen aus den insgesamt acht Verhandlungsrunden seit 2008 auf der Website der EU-Kommission erschienen.
Aktuell dazu
Als am Wochenende in Polen publik wurde, Premierminister Donald Tusk werde am 26. Jänner ACTA unterzeichnen, begann sich umgehend eine Protestbewegung zu formieren. Binnen kürzester Zeit haben die Proteste ein nicht erwartetes Ausmaß erreicht, dazu stehen die Regierungsserver unter Dauerbeschuss wütender Aktivisten.
Zeitliche Koinzidenzen
Das passiert genau einen Tag, bevor dieses umstrittene, "plurilaterale" Abkommen (siehe unten) in Japan unterzeichnet werden soll. Der Text des Abkommens wie auch die Ergebnisse der jeweiligen Verhandlungsrunden wurden dabei jahrelang strikt geheim gehalten, auch die Abgeordneten zum Europaparlament erhielten trotz heftiger Proteste keine Einsicht in den Text.
Bis jetzt wurde das Abkommen noch nicht einmal offiziell im Plenum des EU-Parlaments vorgestellt, am Dienstag Nachmittag wurde ACTA vom Entwicklungsausschuss (DEVE) des EU-Parlaments erstmals diskutiert.
Dienstags im DEVE
Berichterstatter eines erstaunlich dürftigen Entwurfs für eine Stellungnahme des Entwicklungsausschusses ist der tschechische Abgeordnete Jan Zahradil, Mitglied der kleinen rechtskonservativen Fraktion ECR.
Im Ausschuss entspann sich dann eine Folge von Wortmeldungen vor allem über mögliche, negative Folgen für den Vertrieb preisgünstiger Generika in Entwicklungsländer. Auch die Massenproteste in Polen wurden thematisiert.
Die im Binnenmarktausschuss federführend erstellte Verordnung zur "Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte am Zoll" ist vollständig in der Handschrift der Inhaber von Produkt- Markenrechten und Copyrights gehalten. Die Eigentumsrechte von Einzelhändlern, Importeuren, Spediteuren wie Konsumentenwerden hintangestellt. Vor allem die in den Text bereits eingeflossenen Änderungsvorschläge der Abgeordneten Marielle Gallo (EPP - EVP) haben es in sich.
Ausnahmebestimmungen
Ein Vertreter der EU-Kommission bestritt jede Auswirkung auf Generika, seine Kernaussage war: Geistiges Eigentum sei nun einmal eine wichtige Sache und es gebe ja ohnehin Ausnahmebestimmungen.
Kritisiert wurde vor allem auch, dass der Abkommenstext die Möglichkeit zur nachträglichen Änderung des Wortlauts ohne öffentlichge Beteiligung biete. Zahradil musste schlussendlich einräumen, dass ACTA "viele heikle Punkte" enthalte, zeigte sich aber bezüglich möglicher Kompromisse optimistisch.
Das sagen MEPs aus Österreich
Ob die Unterschriftszeremonie am Donnerstag in Tokio "auch weise" sei, das hält der Delegationsleiter der österreichischen Sozialdemokraten im EU-Parlament, Jörg Leichtfried, für fraglich. Zahlreiche "rechtliche und inhaltliche Bedenken seien noch nicht ausgeräumt, sagte Leichtfried zu ORF.at.
Die Grüne Abgeordnete Eva Lichtenberger hält die geplante Unterzeichnungszeremonie in Japan "für völlig überflüssig". Ratifiziert - und damit gültig- wird das Abkommen nämlich erst durch das EU-Parlament, dann könnte es - angesichts des Regierungsbeschlusses theoretisch - noch im österreichischen Nationalrat abgelehnt werden.
Auch der österreichische Abgeordnete Martin Ehrenhauser hielt nicht mit Kritik zurück. Eine Anfrage von ORF.at an die EVP-Fraktion blieb bis Redaktionsschluss dieses Artikels unbeantwortet.
Die Lizenz zum Kippen
Die Unterschriftenzeremonie in Tokio hat also den Charakter eines demonstrativ zur Schau getragenen Formalakts.
Da das Abkommen sowohl Gemeinschaftsrecht wie nationales Recht betreffe, muss es erst im EU-Parlament und dann in den nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Erst dann tritt es in Geltung, das war aus dem Außenministerium zum Thema zu erfahren. Die "Lizenz zum Kippen" liegt also beim EU-Parlament, aber auch der Nationalrat könnte verhindern, dass Österreich den ACTA-Unterzeichnern beitritt.
Koinzidenz, die zweite
Wie es die zeitliche Koinzidenz haben will, wurde am Dienstag das ebenso umstrittene Abkommen des Europarats über Computerkriminalität, kurz "Cybercrime"-Abkommen, dem Justizausschuss des Nationalrats zugewiesen.
Damit soll die Ratifikation dieses Vertragswerks durch das österreichische Parlament eingeleitet werden. Österreich hat das Cybercrime-Abkommen zwar schon vor Jahren unterzeichnet, zu großen Teilen auch rechtlich umgesetzt, aber bis jetzt nicht ratifiziert. Der folgende juristische Einwand steht einer Ratifikation seitens der Republik Österreich bis jetzt im Wege:
„Die Republik Österreich wird in Übereinstimmung mit Art. 29 Absatz 4 des Übereinkommens Ersuchen um Rechtshilfe durch Sicherung von Computerdaten im Sinn von Art. 16 des Übereinkommens ablehnen, wenn die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit nicht erfüllt ist; dies gilt nicht für die nach den Artikeln 2 bis 11 umschriebenen Straftaten." (Links siehe Infobox rechts)
Das zu ratifizierende Abkommen gegen Cybercrime im Volltext, samt Vorbehalt und ergänzenden Anmerkungen auf der Website des österreichischen Parlaments.
Österreichisches Strafrecht
Das heißt, nach österreichischem Recht können nur dann auf Anfragen zu "Computerdaten" wie IP-Adressen usw. an ausländische Strafverfolger weitergegeben werden, wenn es sich dabei um ein Delikt handelt, das vom österreichischen Strafrecht erfasst ist.
MEP Leichtfried stört es ganz besonders, dass laufend "privatrechtliche Auseinandersetzungen in den strafrechtlichen Bereich verschoben werden." Das aber ist das Um und Auf dieser konzertierten ACTA-Aktion, denn nur dann lassen sich auch alle Instrumente des Strafrechts mit sofortiger Wirkung (Beschlagnahme) bis hin zum Auslieferungsbegehren wegen Verstößen gegen alle möglichen Markenrechte, Coyrights usw. nutzen.
Die Kommission
Die Beteuerungen der Kommission, dass man ja nur gegen organisierte Produktfälschungen vorgehen wolle, sind wenig glaubwürdig.
Seit Jahren wird seitens der Unterhaltungsindustrie über alle nur denkbaren, internationalen Gremien versucht, Tauschbörsenbenutzer rechtlich in eine Reihe mit Produktfälschern zu stellen. Beziehungsweise wird angestrebt, den Download eines Copyright-geschützten Inhalts als "Erlangung eines geldwerten Vorteils" auszulegen. Damit wird dieser Download als "kommerziell" angesehen, ein strafrechtlich relevanter Tatbestand ist dann gegeben.
Im Rahmen der "What's Wrong with ACTA Week" hat der Dachverband European Digital Rights alle "heiklen Passagen" modular zerlegt.
Die Absperrfraktion
Eine der prominentesten Vertreterinnen dieser Internetabsperr- und Strafverfolgungsfraktion ist die Abgeordente Marielle Gallo (EPP - EVP), eine Parteigängerin von Nicolas Sarkozy. Gallo hatte letztlich erfolglos versucht, die gestoppte Richtlinie zur strafrechtlichen Verfolgung von Verletzungen geistigen Eigentums (IPRED 2) zu reanimieren.
Mit ihren Änderungsanträgen zu einer neuen Zollverordnung der EU im Rechtsausschuss hat Gallo einzelne Bestimmungen von ACTA nun bereits umgesetzt, ohne dieses Abkommen dabei besonders zu erwähnen.
Redaktionelle Anmerkung
Credits an Günter Hack und Nadja Igler für informationelle Steilpässe zu diesem Thema.