Erstellt am: 8. 2. 2012 - 16:35 Uhr
"Gentlemen, wir leben am Abgrund"
Irgendwann verliert man seine Jugendträume aus den Augen und sieht ein, dass man weder Rockstar noch Schauspielgröße werden wird oder jemals in die Nationalmannschaft berufen wird. Auch Thomas Pletzinger hat einsehen müssen, dass sein Talent nicht zum Basketballprofi reicht. Er hat das Metier gewechselt und ist Autor und Übersetzer geworden. Mit Mitte dreißig hat er sich aber einen Teil seines Traums doch noch erfüllen können, zwar nicht als Sportler, sondern wie er es ausdrückt, als "teilnehmender Beobachter". Für ein Buchprojekt wird Pletzinger zum embedded journalist bei Alba Berlin, einem der populärsten Basketballvereine in Deutschland.
EPA
Achtmal ist Alba deutscher Meister im Basketball geworden, sechsmal Pokalsieger, doch der letzte Titel ist schon drei Jahre her und 2010 ist Alba schon im Viertelfinale der Playoffs ausgeschieden, zu wenig für die Ansprüche des Clubs - Zeit für einen Neuanfang. Für Pletzinger ist das der perfekte Zeitpunkt, um ein Buch über Basketball zu schreiben. Er begleitet die Mannschaft über die ganze Saison, als Beobachter und Geschichtenerzähler, ein bisschen auch als Ethnologe und versucht dabei seine Begeisterung für den Sport zu vermitteln.
Das Spiel lesen lernen
Pletzinger bekommt von den Trainern und Profis Nachhilfe im Basketball. Er lernt das Spiel zu lesen und nicht nur auf die billig-bunten Dinge auf dem Spielfeld zu achten, die spektakulären Dunks oder die scheinbar unmöglichen Würfe. Basketball ist ein "Coaches game", enorm geprägt von Taktik und einstudierten Spielzügen. Die Trainer öffnen sich gegenüber Pletzinger und lassen ihn an ihrer Philosophie des Spiels teilhaben.
Doch neben dem Spiel erzählt der Autor auch von den Spielern und ihren persönlichen Schicksalen, vom Preis des Profisports, von geschundenen Körpern, Verletzungen und Rehas.
Der "embedded journalist"
Kiepenheuer & Witsch Verlag
Je besser Pletzinger die Spieler kennenlernt, je mehr Zeit er mit den Trainern verbringt, desto mehr beginnt er seine Objektivität aufzugeben. Hat er am Anfang seines Projekts noch von journalistischer Distanz geschwärmt, sitzt er am Ende der Saison mitten in der Kabine oder hinter der Wechselbank und feuert "seine" Mannschaft euphorisch an. Er kann sich der Stimmung nicht mehr erwehren.
Vielleicht kommen deshalb auch die JournalistInnen in Pletzingers Buch so schlecht weg. Sie verstehen das Spiel nicht, sind oberflächlich, provozierend und stets auf der Suche nach einer Geschichte, die sich verkaufen lässt. Dabei will er selber eine gute Geschichte erzählen und hofft auf Höhen, Tiefen und Kehrtwendungen während der Saison. Von denen soll er schließlich genug bekommen.
Das Dilemma des europäischen Basketballs
Während Basketball in den USA zu den populärsten Sportarten zählt, ist es in Europa, besonders in Deutschland und Österreich nur Randsportart. Im Kampf um Sponsoren, ZuschauerInnen und Aktive ist Basketball Fußball weit unterlegen. Die höchsten Ligen bestehen zu einem großen Teil aus Vereinen in kleinen Städten, in Österreich etwa Gmunden, Traiskirchen oder Oberwart, in Deutschland Bamberg, Quakenbrück oder Hagen. Solche Ligen lassen sich schwer vermarkten.
Geld im Basketball ist Mangelware, weshalb die Clubs lieber auf günstige, aber gut ausgebildete Legionäre aus den USA und Ex-Jugoslawien zurückgreifen. Heimische Talente haben ihnen gegenüber oft das Nachsehen. Pletzinger weiß solche Hintergründe elegant in seine Geschichte einzuflechten, zwischen rasanten und spannenden Schilderungen des Spielgeschehens auf dem Parkett.
Feel the game
Pletzinger schafft es, die Faszination des Sports in sein Buch zu übertragen. Es ist voll von Emotionen, schnellen Wechseln und Wendungen auf dem Spielfeld und im Aufbau der Geschichte. Die Kapitel sind achronologisch angeordnet, eingebettet in den Rahmen des letzten Finalspiels Alba gegen Bamberg. Abgesehen vom Rahmen erzeugt diese Achronologie aber mehr Verwirrung als Interesse. Wer die Saison nicht verfolgt hat, muss ständig vor und zurückblättern, um sich zurechtzufinden.
Die Sprache des Buches ist manchmal blumig, manchmal martialisch, für ein Basketballbuch stimmig. Das nötige Vokabular sollte man beherrschen, wenn man das Buch beginnt, denn der Autor ist nicht gerade einsteigerfreundlich, fehlende Bildunterschriften sind da auch keine Hilfe. Und dennoch ist das Buch gute Unterhaltung, wie ein Hollywood-Sportschinken am Sonntagnachmittag.