Erstellt am: 22. 1. 2012 - 15:08 Uhr
Die dunkle Seite der Macht
Am eindringlichsten habe ich den Mann aus den Büchern von James Ellroy in Erinnerung. In seiner sogenannten "Underworld USA"-Trilogie nähert sich der knochenharte Krimiautor einigen besonders sinistren Kapiteln der amerikanischen Geschichte, in denen FBI-Chef J. Edgar Hoover zu den entscheidenden diabolischen Fadenziehern gehörte.
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Nun sind Ellroys Romane, in denen er die späten Sechziger und frühen Siebziger eiskalt seziert, nicht bloß pure Fiktion. Erfundene Handlungsstränge vermischen sich mit schmutzigen Gerüchten, aber vor allem auch jeder Menge minutiöser Recherche. Man darf dem Schriftsteller, der Jahrzehnte lang Hintergrundinformationen sammelte, ruhig ein gewisses Vertrauen schenken, wenn er reale Personen, von John F. Kennedy und dessen Familienclan bis zum zwielichtigen Milliardär Howard Hughes, brutal demaskiert.
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J. Edgar Hoover sticht allerdings als die beklemmendste Figur aus dem historischen Gruselkabinett heraus. Als erzreaktionären Paranoiker porträtiert ihn James Ellroy, als eingefleischten Rassisten und begnadeten Verschwörer, der von seinem Schreibtisch aus angeblich auch mörderische Komplotte steuerte.
Das bemerkenswerte am Blickwinkel dieser Bücher: Ellroy selbst ist bekennender Konservativer, zählt also keineswegs zur linksliberalen Fraktion, die den FBI-Obersten ohnehin als Monster in Menschengestalt verdammt. Für jene republikanischen Kräfte, die Hoover als mythische Gestalt verehren, als unerbittlichen Kämpfer für die Gerechtigkeit, dürfte der zynische Autor aber nur Spott und Hohn übrig haben.
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Clint Eastwood ist politisch wahrscheinlich nicht ganz weit weg von James Ellroy. Der mittlerweile 81-jährige Schauspieler und Regisseur, der die Wahlkampagnen von Ronald Reagan und zuletzt John McCain unterstützte, zählt ebenfalls zu den selbstkritischen Stimmen innerhalb des konservativen Spektrums. Immer wieder wendet die Hollywood-Ikone der republikanischen Partei ganz den Rücken zu, votiert gegen Kriegseinsätze und tritt für die Homosexuellenehe und mehr Frauenrechte ein.
Die schonungslose, rabenschwarze Sichtweise Ellroys sucht man in Clint Eastwoods filmischer Aufarbeitung der Person John Edgar Hoover aber vergeblich. Erheblich zurückhaltender nähert sich der Regie-Altmeister dem sagenumwobenen Begründer des Federal Bureau Of Investigation.
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"J. Edgar" begleitet den legendären FBI-Chef (Leonardo DiCaprio) von den Anfängen seiner furiosen Karriere Mitte der dreißiger Jahre bis zu seinem Tod 1972. Wir verfolgen, wie Hoover die Kriminalistik modernisierte und die berüchtigten Verbrecher der Depressionsära jagte, erfahren die Gründe hinter dem fanatischen Kommunistenhass des Mannes, bekommen einen Einblick, wie Hoover geschickt die Amtsperioden von acht Präsidenten überlebte. Vor allem taucht Eastwood aber ins abgeschirmte Privatleben des rücksichtslosen J. Edgar ein.
Großartige Überraschungen fördert der Film dabei allerdings keine zu Tage. Natürlich steht eine überdominante Mutter (Judie Dench) als Einflüsterin hinter dem reaktionären Politverschwörer. Und wie bei vielen rechten Machtmenschen, die sich gerne mit Buberlpartien umgeben, staut sich unterdrückte Homosexualität im stillen Kämmerlein auf, während es nach außen Hetzparolen gegen sämtliche Minderheiten hagelt.
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Dass Clint Eastwood bei der Beziehung zwischen Hoover und seinem engsten Vertrauten Clyde Tolson (Armie Hammer) auf jegliche schlüpfrige Dialoge oder gar Szenen verzichtet, mag pietätvoll sein. Aber dann sitzt man gleichzeitig im Kino, denkt an die erwähnten Bücher James Ellroys oder an die bitterböse Satire "The Private Files of J. Edgar Hoover" von Larry Cohen und fragt sich: Warum eigentlich diese Samthandschuhe, Mr. Eastwood?
Dann ist da noch die Sache mit dem Make Up. Leonardo DiCaprio, der unter den Fittichen von Martin Scorsese seine Vorliebe für gebrochene Leinwand-Antihelden bereits zeigen konnte, tut als J. Edgar sein Bestes, hinter den vielen Schichten von Latex zu verschwinden. Trotzdem haftet den Szenen mit dem alten Hoover und seinem inneren Kreis etwas Irritierendes an, so viele offensichtliche Schichten von Schminken sind dabei im Spiel.
Während viele Journalistenkollegen begeistert aus dem Kino eilten, hinterließ mich "J. Edgar" eher schulterzuckend. Wie würde die Kritik reagieren, wenn es einen ähnlichen braven, an Küchenpsychologie geschulten Film über beispielsweise Silvio Berlusconi geben würde?
Auch seriöse Beobachter sehen J. Edgar Hoover als Stichwortgeber für den amerikanischen Faschismus, als Vater und Vorläufer der dunkelsten Seiten der Bush-Regierung, als Prototyp des verklemmten Puritaners, der in der Öffentlichkeit gegen Randgruppen hetzt und privat in Frauenkleidern herumläuft. Clint Eastwood macht aus diesem faszinierend abseitigen Stoff einfach ein solides Biopic. Kein schlechter Film, aber auch eine vergebene Chance.
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