Erstellt am: 14. 3. 2012 - 10:22 Uhr
Freeride World Tour Fieberbrunn 2012
Am Abend meiner Ankunft herrscht ein Schneegestöber, der Bahnsteig ist frisch angezuckert, auf den Dächern der Häuser und neben den Straßen türmt sich noch der alte Schnee. In der Hotellobby treffe ich meinen Freeride Freund Volker: "Die ham an Reim die Fieberbrunner!" meint er. "Heut Nacht hauts noch 30cm Pulver runter und genau für den Contest am Samstag ist Sonne angsagt!" Hier oben sind die Schneefreaks unter sich. Hier muß man sich nicht dafür rechtfertigen, dass man den Winter lieber hat als den Frühling. Versteht sich doch von selbst.
fwt/jbernard
reich
A family affair
In der Lounge, an der Bar, überall bekannte Gesichter - die besten FreeriderInnen aus elf Nationen. Im alpinen Skisport wären sie Konkurrenten und würden wohl mit ihrem Betreuerstab in unterschiedlichen Hotels - abgeschirmt von der Öffentlichkeit - untergebracht sein. Aber die lustigen Mützen aus dem Freeridezirkus fallen sich in die Arme, freuen sich übers Wiedersehen, plaudern, blödeln, klopfen sich auf die Schultern, trinken ein Bier miteinander.
In zwei Tagen werden sie "sich einen Berg runterstürzen", wie es die Presse immer formuliert. "Eine halsbrecherische Stuntshow liefern". Alles Bullshit. Natürlich ist das, was die hier machen für normal trainierte Menschen jenseits der Vorstellungskraft. Aber wie sagt Eva Walkner so schön: „Es ist ja nicht so, dass wir auf den Berg stapfen und dann Hurra-die-Gams runterpfeffern“.
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Wohlüberlegt, gut geplant, beherzt ausgeführt: Eva Walkner's Siegesline vom Wildseeloder
The best riders on the best mountains
ist das Motto der Freeride World Tour. Jede und jeder hier ist mental und körperlich durchtrainiert bis in die letzte Gehirnzelle/Muskelfaser. Kraft-, Ausdauer- und Koordinationstraining den ganzen Sommer über. Womöglich auch noch dem Winter auf die jeweilige Erdhalbkugel nachfliegen um auf möglichst viele Schneetage zu kommen. Aber vor allem: Tagelanges Studieren des Geländes. Hochauflösende Fotos werden am Laptop analysiert, das Gelände stundenlang aus verschiedenen Blickwinkeln beobachtet. Und dabei besonders nett zu beobachten: Die Jungs und Mädels aus verschiedenen Ländern und Kontinenten sind zwar beim Wettkampf KonkurrentInnen, stecken aber bei der Vorbereitung die Köpfe zusammen, teilen ihre Ängste, Sorgen und ihr Know-How. Die Lines werden nicht geheimgehalten, sondern besprochen, man gibt sich Tipps, wägt die Risiken gemeinsam ab.
fwt/tim lloyd
fwt/jbernard
fwt/jbernard
fwt/jbernard
Blue Bird Day
Was Kitzbühel für den alpinen Rennzirkus ist, das ist Fieberbrunn für die FWT. Nirgendwo sonst auf der Welt kommen soviele begeisterte Fans. 4000 sind es heuer! Und die Rider spüren, wenn sie oben am Gipfel stehen diese Euphorie und werden zu Höchstleistungen angespornt. Aber "niemand hier will sich zerstören", erklärt Nicolas Hale-Woods, der Initiator der FWT. "Viele von uns haben Kinder und jeder will am Abend gesund nach Hause kommen." Bestes Beispiel dafür und wohl das beste Role Model für diesen Sport ist der Tiroler Godfather der Freerider Flo Orley, der den zweiten Platz (in der Kategorie Snowboard) mit einer dynamischen, aber besonnenen Fahrt erkämpft hat und zur Siegerehrung mit seinem knapp einjährigen Sohn im Arm gekommen ist. Bild des Tages!!!
fwt/tim lloyd
freeride world tour/jbernard
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Check your risk
Dem übertriebenen Bild von den "modernen Gladiatoren, die vor einem staunenden Publikum einen Berg runterrasen" wirkt auch das Reglement der Freeride World Tour entgegen. Hier gibt es keine Zeitnehmung, die Leistung der Läufer wird als nicht von einer Maschine gemessen, sondern von Menschen beurteilt. Die Kriterien der Jury sind: Flüssigkeit, Kreativität der Linienwahl und ganz wichtig: Kontrolle. Übertriebenes Risiko wird strikt bestraft. Der österreichische Newcomer Tobias Tritscher hat dies auf die harte Art lernen müssen: Er hat wohl einen der spektakulärsten Cliffdrops hingelegt, wo dem Publikum und sogar dem verletzungsbedingt als Co-Moderator eingesetzten Mathias Hauni Haunholder die Spucke weggeblieben ist. Zwischengelandet auf einem schmalen Schneeband zwischen den Felsen hat es ihm einen Ski nach hinten gerissen, worauf er haarscharf an den Felsen vorbeigeschrammt und rudernd über die nächste Klippe nach unten gesegelt ist. Er ist nicht gestürzt, aber die Jury hat ihn weit nach hinten gereiht, weil unkontrolliertes Risiko katastrophal enden kann und solche Bilder zwar Spitzenquoten auf Youtube bringen, aber dem Image des Freeridens extrem schaden.
fwt/jbernard
fwt/jbernard
The Artist
Bei jedem Contest gibt es gewisse Juryentscheidungen, die schwer nachvollziehbar sind und für tage- oder wochenlange Diskussionen bei den betroffenen Ridern sorgen, aber selten waren sich alle so einig wie über den Sieger von Fieberbrunn: Drew Tabke aus Seattle hat einen sensationellen Lauf hingelegt! So mutig, so flüssig, so spektakulär und doch so perfekt kontrolliert wie seine Line vom Wildseeloder, und dann auch noch einen 360er und einen Monster-Backflip eingebaut - da hat auch
Stefan Häusl, der Sieger vom letzten Jahr anerkennend gemeint: Sowas habe er selten gesehen:
The Artist known as Drew Tabke
Als ich Drew Tabke dann in der Lobby zum Interview treffe, wird mir klar, warum die FreeriderInnen die alpinen Rennläufer so irre alt aussehen lassen. Wie schon das "Free" vorm Riden sagt, sind das hier keine vom Skiverband von klein auf gehirngewaschene, von Mediencoaches auf besonders einschläfernden Politikersprech trainierte Almöhis, sondern individualistische Freigeister. Drew Tabke trägt nicht mal die obligate Wollmütze sondern sieht, wenn man ihn so mit dem Laptop in der Lounge sitzen sieht, wie ein Künstler aus. Und vergleicht dieses Interview mal mit einem Benni Raich oder einer Kathrin Zettel....
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freeride world tour/jbernard
Results Freeride World Tour Fieberbrunn 2012:
Ski Herren: 1/ Drew Tabke (USA) 2/ Kevin Guri (FRA) 3/ Reine Barkered (SWE)
Snowboard Herren: 1/ Jonathan Charlet (FRA) 2/ Flo Orley (AUT) 3/ Aurélien Routens (FRA)
Ski Frauen: 1/ Eva Walkner (AUT) 2/ Christine Hargin (SWE) 3/ Janina Kuzma (NZL)
Snowboard Frauen: 1/ Liz Kristoferitsch (AUT) 2/ Shannan Yates (USA) 3/ Maria Kuzma (NZL)
fwt/jbernard
In zehn Tagen gibt's das große Finale der FWT am legendären Bec de Rosses in Verbier/Schweiz. Ich werd euch berichten!
Wer bis hierher gelesen hat, darf jetzt die Augen zu und die Ohren auf machen:
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