Erstellt am: 21. 1. 2012 - 14:41 Uhr
Schafft es ab
Die Fashionweek tobt in Berlin, schwarze Model-Transport-Busse rollen durch die Stadt, am Brandenburger Tor steht ein riesiges Zelt, aber diskutiert wird zur Zeit eine Kunstaktion, die eigentlich erst im Rahmen der Berlin Biennale im April statt findet: Die Sammelaktion "Deutschland schafft es ab".
Berlin Biennale
Thilo Sarrazin, wir mussten an dieser Stelle schon von ihm berichten, hat mit dem Bestseller "Deutschland schafft sich ab" mit mehr als 1,3 Millionen verkauften Exemplaren das erfolgreichste Sachbuch eines deutschen Autors der Nachkriegszeit geschrieben. Im Rahmen der 7. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst ruft der tschechische Künstler Martin Zet nun dazu auf, möglichst viele Exemplare des Buches zu sammeln und sich seiner zu entledigen. "Das Buch weckte und förderte anti-migrantische und hauptsächlich anti-türkische Tendenzen in diesem Land. Ich schlage vor, das Buch als aktives Werkzeug zu benutzen, welches den Menschen ermöglicht, ihre eigene Position zu bekunden"
, erklärt Martin Zet. Mindestens 60.000 Exemplare, das entspricht weniger als fünf Prozent der kompletten Auflage, sollen in einer raumgreifenden Installation auf der Biennale gezeigt werden; nach Ende der Ausstellung werden sie für einen guten Zweck recycelt.
Diese Sammelaktion ist nun aber auf heftigen Widerspruch gestoßen und wird als Ausdruck eines aktionistischen Missverständnisses von politischer Kunst kritisiert. Die Idee von dem "Buch als aktivem Werkzeug, das es den Menschen ermöglicht, ihre eigene Position zu bekunden", gehe an der Aufgabe vorbei, Sarrazin mit Argumenten zu bekämpfen. "Verschwindet der Alltagsrassismus aus den Köpfen der Deutschen, wenn es 60.000 Sarrazin-Bücher weniger gibt?", wird da zu Recht gefragt.
Thilo Sarrazin
Hinzu kommt die heikle Symbolik der Aktion. Zwar ruft der Künstler nicht zur Bücherverbrennung auf. Aber das Wort "Sammelstelle", mit dem die Orte bezeichnet werden, an denen Teilnahmewillige ihr Sarrazin-Buch loswerden können, ist zumindest doppeldeutig. Zusammen mit der Vokabel "Entgiftungsaktion" weckt das ungute Assoziationen an Volkshygiene und Deportation. Viele renommierte Berliner Kunst und Kulturinstitutionen hatten zunächst ihre Teilnahme an der Aktion zugesagt, sind wegen der vehementen Kritik an der "unterkomplexen" Aktion aber wieder abgesprungen. Andere, wie der Kunstraum Kreuzberg, geben Erklärungen ab: In kritischer Solidarität mit der Berlin Biennale werde man dazu beitragen, dass die angestoßenen Debatten weiter geführt werden können.
Wie dem auch sei, ein wenig sinnlos scheint die Aktion allemal. Das kunstaffine Biennale-Publikum besitzt das Buch doch gar nicht, kann sich ihm also auch nicht entledigen. Schließlich wurde ermittelt, dass vor allem der ältere Mann um die 60, der in Weltgegenden wohnt, in denen er sehr wenig Kontakt zu MigrantInnen hat, der typische Sarrazin-Leser ist.