Erstellt am: 23. 1. 2012 - 09:54 Uhr
The Muppets Redux
Es waren durchaus eigentümlich Szenen, die sich vergangene Woche in der Redaktion abgespielt haben. Ein Kollege unterzog die Mitarbeiter dem vermutlich wichtigsten Test der Welt, einer täuschend einfachen Untersuchung, an deren Resultat man erkennen kann, ob das Gegenüber ein Mensch oder ein Muppet ist. Singt man "Mah Nà Mah Nà" und kommt "Dü Dü Düdüdü" zurück, kann man sich entspannen. Kommt nichts zurück, hat man es mit einem gänzlich un-Muppetösen Zeitgenossen zu tun. Und das ist Grund genug für Sorgenfalten.
Wie wir alle wissen sollten, sind Muppets die besseren Menschen. Wie viele andere Marionetten und Bauchrednerpuppen auch funktionieren sie als humoriges, sarkastisches Korrektiv für eine angepasste Gesellschaft. Die Plüschviecher sprechen aus, was andere sich nur denken. Etwa, dass Liberaces Klaviersolos gar nicht so unter die Haut gehen. Oder dass Alice Cooper ziemlich scheiße aussieht. Heute nennt man das wieder retrocool. Aber wir sprechen ja von den Siebziger-Jahren.
Muppets-Familie
Irgendwie sind Jim Hensons "Muppets", deren Kerngeschöpfe er angeblich bereits in den Mittfünfzigern erfunden und geschneidert hat, auch ein Stück Gegenkultur, ein Quäntchen Unangepasstheit und sanfte Systemrevolte, die ab 1976 in die Wohnzimmer der Welt geliefert wird. Für gewöhnlich versammeln sich gleich mehrere Generationen vor dem Fernsehapparat: denn während die Oma sich an der scheinbaren Harmlosigkeit und Anständigkeit erfreut, kichern Mum & Dad über die sophisticated jokes von Statler & Waldorf (den Alten am Balkon) oder sehen ihre eigenen Beziehungskisten im ewigen Hin und Her zwischen Kermit und Miss Piggy recht wirklichkeitsnah gespielt. Die Kinder wiederum vergöttern das Drumsticks schwingende und fressende "Tier" oder den himmlisch einfachen Humor von Fozzie Bear.
Disney
"Middle of the Road" oder "Middle-brow", also zwischen allen Stühlen sitzend und in der Konsenshölle gefangen, waren die "Muppets" dennoch nie. Zumindest nicht, wenn man von den gar nicht so guten Fernsehfilmen in den überhaupt ziemlich gottlosen Nuller-Jahren mal absieht. In allen anderen Fällen hat sich aber fast so etwas wie eine Autorenhandschrift herauslesen lassen, eine Art von konzeptueller Reinheit. Man wusste schließlich immer, wofür die "Muppets" stehen. Für Gemeinschaft, Freundschaft und Selbstironie. Sie kämpfen für die Schwachen, ohne in Sentimentalitäten zu verfallen. Sie kämpfen gegen die gierigen Unternehmer und für die sozialen Härtefälle, ohne die harte ideologische Peitsche auspacken zu müssen. Im Kern wird einem von diesem liebenswürdigen und sehr talentierten Chaoshaufen der amerikanische Traum vorexerziert, bevor er sich verselbstständigt hat. "The Muppets" sind wie ein Lubitsch-Film auf LSD.
Fanboys an der Macht
Das Drehbuch zu The Muppets, das stammt von den Herren Jason Segel (der auch die Hauptrolle übernommen hat) und Nicholas Stoller (den man am besten als Regisseur der RomCom Forgetting Sarah Marshall in Erinnerung hat): beide kommen aus dem Produktionsstadl von Judd Apatow, dem Mann also, der die tieferen Gefühlslagen ins Schenkelklopfer-Bubenkino eingeschleppt hat, der Typ, der seinen Kerlen sentimentale Beziehungen mit Action-Figuren zugesteht. Wenig verwunderlich also, dass die Geschichte mit zwei Brüdern beginnt, die lebenslange "Muppets"-Fans sind. Walter (selbst ein Muppet, obwohl das nicht wirklich eine Rolle spielt) und Gary (Jason Segel) sind - wie viele der Zuschauer auch - aufgewachsen mit der "Muppet Show", die von 1976 bis 1981 wöchentlich ein hinterfotziges Varieté aus Sketches, Musical-Einlagen und Parodien serviert hat.
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Jetzt will Gary seine Mary (Amy Adams) nach Los Angeles einladen, um dort ihren Jahrestag zu feiern. Walter nehmen sie mit: gemeinsam wollen sie das "Muppet Theater" besuchen, den Ort also, wo ihre Kinder- und Jugendträume aufgezeichnet worden sind. Dort angekommen wehen ihnen aber nicht nur Spinnweben und Wollmäuse um die Ohren, der grantige Tour-Guide (fantastisch: Alan Arkin) macht auch keinen Hehl daraus, dass der traditionsreiche Ort kurz vor der Verrottung steht. Aber es kommt noch schlimmer, als Walter zufällig ein Gespräch zwischen den Öl-Unternehmer Tex Richman (wunderbar: Chris Cooper) und seinen Schergen mitanhört: um an eine Öl-Quelle unter dem Theater zu kommen, will er die "Muppets" durch Anwendung einer versteckten Vertragsklausel enteignen und den Schuppen nieder reißen.
Ein Neuanfang
Walter ist verständlicherweise außer sich und plant gemeinsam mit Gary und Mary, die quer über die Welt verstreuten Muppets zu einer letzten großen Show zu überreden: so soll genug Geld zusammen kommen, um Tex Richmans diabolischen Plan doch noch aufhalten zu können. Die Struktur des Drehbuchs spiegelt die Handlung des ersten "Muppet"-Films aus dem Jahr 1979, der erzählt, wie die "Muppets" überhaupt zusammen gekommen sind. Damals ist Kermit ein Frosch, der in seinem Sumpf auf dem Banjo spielt, bis zufällig ein Hollywood-Agent vorbei rudert und ihn von einem Vorsprechen für Frösche informiert. Heute lebt er in einer Villa und hat mit seinem alten Leben abgeschlossen. Miss Piggy gewinnt anno 1979 eine Miss-Wahl, 2012 leitet sie die französische Vogue. Nur Fozzie Bear treibt sich damals wie heute als Alleinunterhalter in zwielichtigen Spelunken herum.
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Sogar die Antagonisten ähneln einander: Doc Hopper aus dem ersten Film war ein gieriger Kapitalist als Halsabschneider, der alles versucht, um Kermit als Testimonial für seinen neuen Froschschenkel-Fastfood-Tempel zu gewinnen und irgendwann sogar auf die Höllenmaschine eines wahnsinnigen deutschen Wissenschaftlers (genial: Mel Brooks) vertraut, die Kermits Froschhirn in Suppe verwandeln soll. Heute ist der Bösewicht ein abgrundtief scheußlicher Unternehmer, der alle übers Knie legt, nur um wieder dick ins Geschäft einsteigen zu können. Für den konservativen US-Nachrichtensender FOX News allerdings Grund genug, um "The Muppets" in einem grenzwertigen, ideologisch gefärbten Beitrag liberale Gehirnwäsche von unschuldigen Kindern vorzuwerfen.
I'm a muppet of a man!
Sogar die Song-Einlagen geben sich zeitlos, fast möchte man sagen: neoklassisch. Kein Wunder, schließlich durfte der Brite James Bobin, Miterfinder der Kult-Serie "Flight of the Conchords" auf dem Regiestuhl Platz nehmen. Show-Tunes wechseln sich mit Bearbeitungen von Pop- und Rockklassikern ab: man vertraut damit auf jene musikalische Melange, die auch schon die "Muppet Show" ausgezeichnet hat. "Glee", this is not.
Es ist tatsächlich unheimlich wohltuend und angenehm, wie mühelos und unverkrampft die Muppets für eine neue Zeit aufbereitet worden sind. Nämlich gar nicht. Während andere Reihen verzweifelt versuchen, jugendlichen Zeitgeist zu versprühen, geht von diesem Film eine große Selbstsicherheit aus, einfach in dem gut zu sein, was sie damals groß gemacht hat. Und wieso sollte man an dieser Formel auch etwas ändern?
"The Muppets" ist mein erstes Filmwunder des Jahres (über mein zweites, nämlich "J. Edgar" hat Kollege Christian Fuchs geschrieben): altmodisch komisch, ein süßer Song über die eigene Kindheit, von dem man jetzt weiß, dass er auch in dreißig, sechzig und neunzig Jahren noch gut klingen wird. Letztendlich muss sich dann doch einfach jeder der existenziellen Frage stellen: "Are you a man or a muppet?" Und Kinogänger werden antworten: "I’m a muppet of a man!"