Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Megarazzia"

Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

20. 1. 2012 - 15:58

Megarazzia

Eine großangelegte, internationale Polizeiaktion wie gegen ein Drogenkartell. Das Ziel: Megaupload, eine Website zum Hochladen großer Dateien.

Megaupload war eine der beliebtesten Websites fürs Hochladen und Weitergeben von großen Dateien. Geschlossen wurde sie gestern auf Wunsch der großen Film- und Musik-Konzerne, denen die Plattform schon lange ein Dorn im Auge war.

Regelrecht provoziert fühlte sich die Industrie spätestens seit dem Megaupload-Song samt Videoclip, entstanden unter Mithilfe zahlreicher Künstler, die selbst bei Major-Plattenfirmen unter Vertrag stehen – darunter P Diddy, Kanye West, Chris Brown, Jamie Foxx, Kim Kardashian, Lil Jon, oder The Game. Der gestrige Schlag gegen Megaupload ist ein Signal der Verzweiflung einer Industrie, die nicht nur zunehmend ihre eigenen Kunden, sondern sogar die eigenen Künstler missversteht. Er ist aber auch eine global akkordierte Polizeiaktion von der Größenordnung einer internationalen Drogenrazzia.

Sechs mutmaßliche Betreiber der Megaupload-Plattform wurden verhaftet und Serverabschaltungen fanden nicht nur in Virginia, USA, sondern weltweit statt - etwa auch in Neuseeland, wo ein Hauptquartier von Megaupload steht. Insgesamt fanden gleichzeitig 20 Hausdurchsuchungen weltweit statt.

User, die unter dem Namen „Anonymous“ agieren, kündigten reflexartig „Rachefeldzüge“ an und führten umgehend DDoS-Attacken durch. Dabei wird mit einem einfachen Tool – zum Beispiel der Low Orbit Ion Cannon (LOIC) - eine Website im Sekundentakt aufgerufen. Wenn das genug User machen, ist die jeweilige Website nicht mehr zu erreichen.

Auf diese Weise wurden also über Nacht die Websites des US Department of Justice, des FBI und diverser Filmkonzerne angegriffen. Eine DDoS-Attacke ist kein Hack, und der Spuk ist üblicherweise nach ein paar Stunden vorbei - zumindest aber demonstrierte sie den Ärger von Usern über die Schließung von Megaupload.

Das Geschäftsmodell von Megaupload

Auf einer recht simplen Website konnten User kostenlos eine Datei hochladen und erhielten dann einen Link. Diesen Link konnte man weitergeben. Megaupload war keine Suchmaschine und kein Torrent-Tracker wie Piratebay und auch nicht - wie oft falsch behauptet - ein Filesharing-System oder eine „Tauschbörse“. Zum Verhängnis wurden Megaupload zwei Umstände: Die zwielichtige Vergangenheit des Firmenchefs und ein Bonus-System für jene User, die besonders beliebte Dateien hochgeladen haben.

Letzteres funktionierte in der Praxis so: Jemand lädt eine beliebte Datei, etwa einen Kinofilm, auf Megaupload hoch. Der User erhält einen Link und gibt diesen nicht nur an Freunde, sondern auch an Websites wie kinox.to weiter. Zahlreiche User klicken nun auf den Link und werden zur Datei auf Megaupload umgeleitet.

Megaupload erhält viele Zugriffe, verdient Geld durch Werbung und schüttet einen Teil des Geldes an den User aus, der den Film hochgeladen hat. Der Vorwurf von Musik- und Filmindustrie lautet deshalb: Bildung einer kriminellen Vereinigung zur Verletzung von Urheberrechten. Die Betreiber von Megaupload sollen 175 Millionen US-Dollar Gewinn gemacht haben.

Chef der Firma ist Kim Schmitz, deutsch-finnischer Programmierer, der in den neunziger Jahren unter Hackern in Ungnade gefallen war. Zu oft hatte er sich am Rande des gewerbsmäßigen Betrugs und der kommerziellen Verwertung von Hacks bewegt – ein Verstoß gegen die von vielen Hacker-Zirkeln hochgehaltene Hackerethik.

So verkaufte Schmitz in den neunziger Jahren geknackte Codes von Telefonwertkarten. Später wurde er wegen Insiderhandels und Veruntreuung verurteilt. Trotz der kriminellen Vergangenheit des Megaupload-Gründers ist die Frage legitim: Wie sehr sind Anbieter von Speicherplatz im Netz verantwortlich für die Dateien, die ihre User hochladen?

Cloud Computing?

Nicht nur Websites, deren Geschäftsmodell mit Megaupload vergleichbar ist, könnten ähnliche Schließungen und Verhaftungswellen drohen. Cloud-Computing war eines der Buzzwords des Jahres 2011, und auf vielen Cloud-Computing- und Sharehosting-Plattformen können öffentliche Dateien hochgeladen und per öffentlichem Link weitergegeben werden.

Yousendit, Dropbox, Google Cloud, Microsoft Skydrive,... welche Plattform gerät ins Visier der Fahnder, welche nicht? Natürlich suchen sich die Musik- und Filmkonzerne genau aus, wen sie verfolgen lassen. Google etwa kooperiert zunehmend mit der Unterhaltungsindustrie und löscht auf deren Wunsch Inhalte. So ist eine stetig wachsende Zahl von Google-Mitarbeitern ausschließlich damit beschäftigt, Selbstzensur auf Youtube zu üben.

Megaupload-Chef Kim Schmitz war den Konzernen wohl nicht hörig genug. In einem Interview für Torrentfreak sagte er noch vor wenigen Tagen selbstbewusst, dass bei seiner Firma alles rechtens wäre und urheberrechtlich geschütztes Material sofort gelöscht werde.

Mit den Prämien für die Zugriffe auf besonders beliebte Dateien überschritt er offenbar trotzdem eine rote Linie. Die Ermittlungen gegen Megaupload liefen laut Department of Justice seit zwei Jahren. Und neben der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ spricht die Behörde auch vom Vorwurf der „Geldwäsche“ und von 20 Jahren Haft die Kim Schmitz drohen.

Megaupload ist also Geschichte, SOPA/PIPA oder ACTA waren dafür offenbar gar nicht notwendig. Wir werden sehen, welche Webserver als nächstes vom FBI geschlossen werden.