Erstellt am: 20. 1. 2012 - 20:21 Uhr
Journal 2012. Medien & Strategie.
Nach dem täglichen Journal 2011 wird 2012 spezialisierter. Es kommt ein Fußball-Journal '12, es wird ein Journal zum Afrika-Cup, eines zur Europameisterschaft, ein London-Olympics-Journal und anderes mehr geben. Und auch ein Journal 2012, ein unregelmäßiges, mit anlassbezogenen Beiträgen zu Themen wie Jugend- und Popkultur, Demokratie- und Medienpolitik.
Siehe dazu auch:
Journal 2012. Wem nutzt das? Über Medien, die pausenlos reden, um über die eigentlichen Probleme nicht sprechen zu müssen.
Journal 2011. Ist ein potentieller Büroleiter der Journalismus-Beschädiger des Jahres?
Nur einmal angenommen; auch wenn wir wissen, dass es nicht so war...
Angenommen ein Superstrategenhirn und/oder eine einander ergänzende Experten-Runde innerhalb des ORF hat Ende letzten Jahres zu folgendem wichtigen Thema getagt: wie kriegen wir den ORF raus aus der ewigen Miesmacher-Kampagne der interessensgetriebenen Verlage und Konkurrenten, raus aus der Negativ-Spirale des österreichischen Eh-Ollas-Oasch-Fatalismus und rein in eine effektive Präsentation seiner Kompetenz, am besten innerhalb einer aktuellen wutbürgerlichen Occupy-Ästhetik; am allerbesten verbunden mit der Bewusstseinsmachung des Themas "Entpolitisierung der Aufsichtsgremien" oder zumindest einem Dämpfer für die ewigen politischen Besetzungs-Begehrlichkeiten. Und das alles ohne totale Beschädigung der aktuellen Führung.
Das Resultat dieser Diskussion ist bekannt: Generaldirektor Wrabetz muss Niko Pelinka als Büroleiter vorschlagen. Der Rest ergibt sich von selbst.
So wäre es in einem schaurig-verschwörerischen Politthriller, den George Clooney mit Matt Damon (Pelinka), Philip Seymour Hoffman (Wrabetz), Evan Rachel Wood (Rudas), Ryan Gosling (Bornemann), Paul Giamatti (Kopf), Robert Downey jr (Ziegler), Marisa Tomei (Kulovits-Rupp) und sich selber (Medwenitsch) drehen würde.
Widerständige Aufmüpfer, geiler als der Wutdüringer
Ich will hier keinesfalls eine ernste Angelegenheit verblödeln. Aber die tatsächlichen Regieführer hinter der einen Tag vor Weihnachten losgebrochenen Medien- und Polit-Posse, ein oft gebuchtes Duo namens Zufall & Eigendynamik, haben einen fatalen (wohl erzwungenen) Fehlgriff schlussendlich in eine Richtung gedreht, die (abgesehen von den politischen Proponenten) kaum Verlierer hinterlässt.
Die ORF-Redakteure, vor allem die der ZiBs, haben ein Zeichen gesetzt und damit auch internationale Beachtung erzielt. Ein paar der dreistesten politischen Personal-Begehrlichkeiten wurden verhindert, eine Debatte über die Sinnhaftigkeit der streng parteipolitischen Beschickung des ORF-Aufsichtsgremiums wurde in Gang gesetzt und (noch wichtiger) recht tief im öffentlichen Bewusstsein verankert. Dort ist der Vorfall unter "Basis-Rebellion gegen Großkopferte" abgespeichert: ebenso populistisch wie populär, geiler als der Wutdüringer, weil nicht nur geschimpft, sondern auch gehandelt wurde.
Die in ihrer Einfältigkeit allzu berechenbare Stoßrichtung der Medien-Konkurrenz (ORF kaputtschlagen!) wurde, gerade noch rechtzeitig, abgefangen und in eine gegenteilige Stimmung umgedreht. Der Generaldirektor hat sich durch eine persönliche Niederlage im positiven Sinn angreifbar gemacht und so in einen echten Gesprächs-Prozess mit der Belegschaft gebracht. Die bekommt nicht nur Schulterklopfer im Kollegenkreis, sondern auch dort kollektive Props wie sie bislang nur Einzelkämpfer wie Armin Wolf (Stichwort Wutrede von 2006) abgekriegt haben. Die öffentliche Wahrnehmung der ORF-Journalisten dreht sich von "kontrollierte Wappler" zu "widerständische Aufmüpfer".
Ist die Artikulation des Unbehagens Sache der Journalisten?
Das alles ist, vor allem für uns, intern, eine lässige Sache. Ob die Chefitäten, die sich in den natürlich weiterhin parteipolitisch geprägten Aufsichtgremien durchsetzen müssen, das so locker sehen, ist eine andere Frage - dort würdigt man die Wehrhaftigkeit wie ein schlechter Verlierer mit gelben Karten; aber: genau dafür das auszuhalten, werden sie extragut bezahlt.
Das alles zeigt (auch jenen, die bislang dachten, der ORF würde auch ohne die entsprechende Kompetenz auskommen können und sie als Morgengabe für den VÖZ opferten) die Bedeutung von Social Media.
Das alles hat aber nichts, rein gar nichts mit echtem Wutbürgertum zu tun, und es ist auch kein Anfang von etwas wie mancherorten scheinheilig dekretiert wurde. Dass Journalisten die organisierte Artikulation eines breiten Unbehagens zustandekriegen, wenn es sich um ihren Kernauftrag handelt, darf niemanden, der wirklich politisch zu denken imstande ist, dazu verleiten, gleiches in anderen Bereichen von anderen Berufsgruppen, oder gar einer (eh inexistenten) Zivilgesellschaft zu erwarten.
Das zu postulieren ist nicht nur gefährlich, weil es unerfüllbare Erwartungen schafft, sondern auch deshalb, weil hier die alten Medien sich den Verlust der Meinungsführerschaft mit einem perfiden Schmäh wieder zurückholen wollen. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Die Causa Pelinka macht nämlich auch anschaulich, warum es den ORF-Journalisten möglich war/ist hier tatsächlich die Stimme zu erheben und Gehör zu finden. Das verdanken sie, kein Gag, dem so gern von allen geduzten Alexander Wrabetz; dem exakten Gegen-Modell zum alten Korn-und-Schrot-Peitschenknaller der Marke Bacher.
Die neue Angstfreiheit nach der alten sibirischer Herrschaft
Apropos zentrale Sätze: wie leicht man einem die fremdgewichten kann, wie easy selektives Zitieren die eigentliche Botschaft verfremdet, hat Armin Wolf unlängst im Parlament erfahren, als der Kanzler sein Profil-Interview teilverlas.
Ich nehme für mich in Anspruch, in den vergangenen Jahren einen Kulturwandel im Unternehmen eingeleitet zu haben, der sich neben der uns allgemein attestierten journalistischen Freiheit und Unabhängigkeit auch darin äußert, dass angstfrei und offen Sorgen und Kritik artikuliert werden können. - das ist der zentrale Satz seiner aktuellen Erklärung.
Dieser Grundgedanke war zwar als PS in allen seriösen Berichten und Kommentaren der letzten Wochen dabei, dass diese neue und innerhalb des ORF noch nie gelebte Kultur die Basis für jegliche freie Äußerung darstellt, ist vielen aber noch nicht so ganz klar.
Zu allen anderen Zeiten, unter Bacher und Lindner sowieso, aber auch in der Zeiler-Ära, wäre auch nur ein Hauch der aktuell auftretenden Aufmüpfigkeit mit Kaltstellungen, de-facto-Berufsverboten, Versetzungen nach Sibirien und gesellschaftlicher Verbannung geahndet worden. Ich spreche da von Systemen, die auf der Basis von Angst und Bedrohung agiert haben, in rein machtpolitischer Ausrichtung, im Herrenbauern-Stil. Genau deshalb ist bis 2006 auch noch nie flächendeckend Widerständisches passiert.
Das hängt auch damit zusammen, dass die bisherigen ORF-Usancen ja nicht bei einer politischen Besetzung der wenigen hohen Chef-Positionen haltgemacht hatten - auch jeder Ressortleiter und fast jeder Redakteurs-Posten in den News-Redaktionen wurde nach politischen Farbenspielen besetzt. Sittenbilder wie die, dass mächtige Generalintendanten Journalisten aus politischen Vorfeldorganisationen direkt in den Aktuellen Dienst implementierten, haben sich in den letzten Jahren zunehmend verloren. Die Redaktionen teilen sich nicht wie früher in "Freundeskreise" auf, sondern befreiten sich zunehmend vom politischen Joch, reagierten und reagieren unerwartet und unangepasst.
Das Klima, der Diskurs und das Ernstnehmen der Aufgabe
Dieses Klima strahlt natürlich auch auf die weiter entfernten, dem direkten politischen Zugriff entzogenen Zonen des Unternehmens ab.
Ich habe sechs, FM4 hat vier, fm4.orf.at drei und das Journal hier hat zwei Generalintendanten/-direktoren erlebt - und wer Ohren und Augen hat, konnte und kann auch anhand der tektonischen Schichten deutlich erkennen, ab wo und wann ein deutlich größerer Freiraum für medien- und demokratiepolitische Berichterstattung eingezogen ist. Eine intensive Reflexion, wie sie aktuell durchexerziert wird, wäre früher niemals denkbar gewesen.
Für einen tatsächlichen Dialog zwischen Belegschaft und Geschäftsführung ist dieses Klima aber unabdingbar; und auch Klasse, weil der Journalismus in großen Teilen ein Kreativ-Bereich ist und so ein Diskurs die Fantasie befeuert.
Das jedoch, was sich in den Parteien aber auch den plutokratisch geführten Konzernen, Banken und Verlagen Österreichs an Debattenkultur abspielt, ist das schiere Gegenteil davon: eine reine Top-Down-Kultur in einer gestreamlinten Positionierung, in der dissidente Meinungen so gut wie nicht existieren. Dort herrscht immer noch der alte Korps-Geist, den der aktuelle ORF seit ein paar Jahren abschüttelt. Auch, weil der General nicht aus dem Journalismus, sondern dem Management-Bereich kommt, und deshalb (auch) andere Prioritäten hat. Auch wegen des Regenbogens im letzten Bestellungs-Krimi. Auch wegen der durch die Journalismus-Krise wachsenden Reflexion der Redaktionen.
Durch dieses neu erwachte Gefühl des sich selbst wieder Ernstnehmens ist der Widerstand (der sich natürlich erst, und das ist menschlich, angesichts einer klar als Feindbild erkennbaren Figur, und so auch einer allzu leicht personalisierbaren Empörungs-Debatte entzündet hat) gegen die überkommene und läppische Polit-Infiltration (an der sich im übrigen sämtliche Parlaments-Parteien schuldig gemacht haben, ausnahmslos und unter Umgehung all ihrer Sonntagsreden) überhaupt erst möglich. Und dieses Gefühl ist es, das als unabdingbarer Teil einer erneuerten Unternehmenskultur einen öffentlich-rechtlichen Auftrag tatsächlich so wahrnehmen kann, wie er gemeint ist.