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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

19. 1. 2012 - 14:02

Ein besonders besonderer Abend

Selten ist es den Programmkinos beschissener gegangen als heute. Die zweite „Nacht der Programmkinos“ soll erneut Aufmerksamkeit schaffen für Vielfalt und Vielgestalt in der österreichischen Kinolandschaft.

Ein bisschen muss ich immer schmunzeln, wenn ich in einem Berliner Kulturkaufhaus an dem Regal mit den „besonderen Filmen“ vorbei gehe und frage mich: wer lässt sich so etwas einfallen und was soll es überhaupt bedeuten? Ein besonderer Film für besondere Tage? Ein besonders guter, schlechter, langweiliger lustiger Film? „Besonders“ allein produziert nur Leere, es giert sozusagen nach einem Adjektiv, das ausdrückt, was denn „besonders“ ist. Vielleicht ist aber auch die Leere danach bezeichnender als man zuerst gedacht hätte.

Denn die Labelisierung und Vermarktung des Arthaus-Kinos als Nonplusultra der filmkünstlerischen Glücksvermittlung ist spätestens dann an die Wand gefahren, als selbst den Zugpferden wie Jim Jarmusch oder Emir Kusturica über die Jahre die Luft ausgegangen ist und sie letzthin Filme gemacht haben, die auch besonders waren, aber leider halt besonders scheiße.

Kino

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Robin Hood bleibt zu Hause

Damals, also in den Achtziger-Jahren war die Welt der Programmkinos noch in Ordnung. Vor der flächendeckenden Versorgung mit Großraumschachtelkinos und auch vor der Digitalisierung des Heimkinomarktes mit der DVD, sind sie die sicheren Häfen im Unterhaltungsschaum der Industrie, sind sie Leuchttürme, die eigentümliche Küsten und Klippen erhellen und tatsächlich vieles zeigen, was ein kommerzielles Kino nie gespielt hätte. Insofern kann auch nur ein Idiot diesen traditionsreichen Häusern ihre Wertigkeit absprechen. Ihre Säle und Wände sprechen Bände, haben nicht selten Jahrzehnte lang anspruchsvoll unterhalten und herausgefordert, erleuchtet und verstört.

Jetzt aber ist alles anders: der Arthausmarkt hat sich flexibilisiert und ist von Mainstream-Studios und deren Strukturen vereinnahmt worden. Die großen Autorennamen sind entweder weggebrochen oder haben keine Zugkraft mehr. Und Filmfestivalgewinner locken aufgrund ihrer Auszeichnungen nicht unbedingt mehr Leute ins Kino, wie zuletzt beim iranischen Berlinale-Sieger „Nader und Simin – Eine Trennung“ zu beobachten war. Gleichzeitig haben sich die Filmliebhaber seit der Digitalisierung der Vertriebswege ein kleines Stück Unabhängigkeit von den nicht selten quälend langsamen und irritierend konsumentenunfreundlichen Verleihpolitiken erkämpft; zugegeben vorwiegend mit illegalen Methoden.

Romantisiert werden muss hier auch nix: es geht hier nicht um Robin Hood-Ideologie, sondern nicht selten um reinen Egoismus, um wieder eine Ausgeburt der grotesken Gratis-Gesellschaft, in der wir leben. Es ist erschreckend, aber gerade junge Leute haben sich mittlerweile daran gewöhnt, für Filme – ob neu oder alt – nichts mehr zahlen zu müssen. Eine gar nicht mal so kleine Mitschuld trifft dabei aber auch die Industrie: denn anstatt schnell auf diese Entwicklung zu reagieren, und zwar mit einem schillernden, aufregenden Kinoprogramm, hat man erst mal abgewartet, dann lange geflucht und polemisiert, schließlich geklagt. Während der vielen verstrichenen Jahre hat das Kino mindestens eine Generation an Kinogängern komplett verloren.

gartenbaukino

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They Live!

Nacht der Programmkinos: am 20. 1. 2012. Freier Eintritt in teilnehmenden Kinos in Wien, Salzburg, Kärnten, Steiermark, Tirol. Ober- und Niederösterreich. Die teilnehmenden Kinos findet ihr auf: www.programmkino.or.at

Aber genug der Buhrufe. Morgen Abend begeht die IG Programmkino, ein österreichweiter Zusammenschluss von Programmkinos zwecks politischen Lobbyismus, ihren jährlichen Aktionstag, genannt „Die Nacht der Programmkinos“. Geboten wird viel, und das auch noch bei freiem Eintritt. Man will sich dem Publikum vorstellen, sich von seiner besten Seite zeigen. Es hat auch immer ein bisschen etwas verzweifeltes, einen Hauch von Überlebenskampf.

Nicht umsonst: selten ist es den Programmkinos beschissener gegangen als heute. Das Kepler Kino in Wien-Favoriten ist schon eingegangen, im Feber folgt das Gloriette in Wien-Penzing. Wirtschaftsforscher wissen ja um die Wertschöpfung bei anti-zyklischem Marktgebaren: dennoch erscheint der Ausbau der Beletage des Metro-Kinos in einen zweiten, multifunktional einsetzbaren Kinosaal gewagt. Fast hat man das Gefühl, man schaut diesen traditionsreichen Häusern beim Sterben zu. Aber nein, soweit soll es nicht kommen: der Aktionstag wird von vielen Menschen wahrgenommen, oft sind die Säle berstend gefüllt. Wie früher. Zyniker meinen, die Leute kämen ja nur, weil sie Filme gratis sehen können. Ich glaube, sie haben Recht. Aber das Publikum kommt schon auch, weil es halt ein besonderer Abend ist. Schon wieder dieses Wort: „besonders“. Hier meint es „anders als die anderen“. Findige Menschen hören schon auf: AHA!, sagen sie, die Leute suchen also das Außergewöhnliche, wollen etwas geboten bekommen für ihr Geld.

Von der "Eventisierung"

Und da kommen wir zum nächsten Problem: denn die österreichische Programmkinokultur, die macht nichts lieber als sich selbst zu geißeln, damit man nur ja nicht in Gefahr kommt, als reine Unterhaltung angesehen zu werden. Und da gibt’s ja noch dieses andere schirche Wort: „Event“. Pfui, da läuft’s einem ja kalt den Rücken runter. Man kann fast sagen, das ist der Tod des Kinos. Man kann aber auch sagen: da es eh schon stirbt, wär’s ja wurscht, oder?

Im Universum der Programmkinos und Filmfestivals und Cinematheken lebt die protestantische Ethik weiter. Gottesfürchtig sitzt man im Stuhl und betet zur Leinwand. Unterwerfen lautet die Devise. Nur ja nicht an der falschen Stelle lachen. Nur ja keine Referenz verpassen. Nur ja nicht auffallen. Immer dienen. Und den schönen Schein wahren. Der „Event“, also das „Erlebnis“ sind verpönt.

Aber Spaß ohne: in angloamerikanischen Raum hat man einen ganz anderen Umgang mit „anspruchsvollen“ Filmen, auch mit Klassikern. Das Londoner Prince Charles Cinema etwa, ein ehemaliges Pornokino mitten am Leicester Square, zu dessen Fans unter anderem Quentin Tarantino zählt, programmiert seit seiner Neueröffnung eine wilde, witzige und unverkrampft unterhaltungswütige Melange aus handverlesenen Verleihfilmen und Repertoire-Screenings von Klassikern. Da zeigt man dann den „Big Lebowski“ und serviert „White Russians“, während ein Bowling-Turnier zum transgressiven Erleben der Dude-Ness einlädt. Oder man lädt zum „Freitag, der 13.“-Marathon, am Freitag, den 13., versteht sich. Etabliert hat das Konzept der so genannten „Konzeptkinos“ Tim League mit seinem „Alamo Drafthouse“ in Downtown Austin, Texas.

Digital Underground

Seit Anfang dieses Jahres sind die meisten österreichischen Programmkinos digitalisiert. Und einige haben die Möglichkeiten bereits genutzt, die sich darüber bieten. Da man über ein sogenanntes Up-Scaling-Verfahren der digitalen Projektionstechnik selbst Blu-ray Discs in guter Qualität vorführen kann, müssen etwa für ein Klassiker-Screening nicht mehr mühsam Kopien gesucht und transportiert werden.==

Am kontinuierlichsten lockert im Moment das Gartenbaukino sein Programm auf: Wiederaufführungen der „Rocky Horror Picture Show“ und ein Spezialscreening von Kim Jong-Ils nordkoreanischem Monsterfilm „Pulgasari“ nicht einmal eine Woche nach dem Tod des Diktators, zeigen, dass das Haus bereit ist, ungewöhnliche Wege zu bestreiten, um sein Publikum zu erreichen. Man kann nur hoffen, dass viele diesem Beispiel folgen werden.