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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

18. 1. 2012 - 14:31

Journal 2012. TV-Trash.

Beschäftigung mit Unterhaltungs-Kommerz? Wenn's ein Lehrstück liefert, wie Ashton Kutchers Einstieg in "Two and a Half Men", allemal.

Nach dem täglichen Journal 2011 wird 2012 spezialisierter. Es kommt ein Fußball-Journal '12, es wird ein Journal zum Afrika-Cup, eines zur Europameisterschaft, ein London-Olympics-Journal und anderes mehr geben.

Die "normalen" Einträge des Journal 2012 werden unregelmäßig und aus aktuellen Anlässen passieren. Auch zu scheinbar banalen...

Irgendwie traut sich niemand drüber: milliardenfach abgefeierte Superstar-Mainstream-Erfolge, denen der klar erkennbare gesellschaftspolitische Twist (wie ihn etwa die Groening-Produkte besitzen) fehlt, bekommen einfach kaum ernsthafte Medien-Beschäftigung; nur PR-Getue und Promi-Genuschel.
Nicht am Herstellungsort und schon gar nicht an den Monate später folgenden Nachspiel-Stationen.
Oder hast du, UserIn, irgendwo etwas gelesen/gesehen/gehört, was sich über die reine Ankündigung oder die aufgeregte Jubelei hinaus mit Ashton Kutchers Einstieg in "Two and a Half Men" beschäftigt hat?

Schon das Out von Charlie Sheen wurde ausschließlich auf Boulevard-Level durchgespielt, da flossen die Real-Life-Karikatur Sheen und der Charakter Charlie Harper so ineinander, dass selbst das Feuilleton sie nicht mehr unterscheiden konnte. Oder wollte.

Und jetzt: Kutcher als der Neue, bestbezahlt und aufsehenerregend. Und dann startet die Staffel und dann: nichts. Kein Mu, kein Mau. Kein Wort der Einordnung - denn diese einstige Hoheit haben die Medien (zumindest der Mainstream) ja aufgegeben, sie begnügen sich mit Ankündigungs-PR und VIP-Magazin-Begleitung. Auf- und abgegeben an den Privatbereich, an Social Media.

Ashton Kutcher ist Walden Schmidt; aber er ist unschuldig

Ich mag diesen Ashton Kutcher, nicht weil mir ein wirklich guter Film mit ihm einfallen würde ("The Butterfly Effect"?) wegen seiner staksigen Schlacksigkeit, rein als Medien-Figur, ich folge dem auf Twitter.
Die Walden Schmidt-Figur des lebensfernen Milliardär-Losers, die Chuck Lorre und die Zweieinhalb-Produzenten erfunden haben, hat Potential. Sie würde jede klassische Comedy tragen - für "New Girl" etwa wäre sie Gold.

Im Rahmen von "Two and a Half Men" scheitern aber beide brachial: Kutcher und Schmidt. Und beide können nichts dafür. Beide sind Opfer eines kapitalen, wie für ein Lehrbuch verfassten Irrtums, in dem die Verwechslung von echtem Leben und Fiktion und die daraus resultierende Nicht-Beachtung von dramaturgischen Parametern die Hauptrolle spielen.

Das Grundkonzept von "Two and a Half Men" lebt vom Witz, der entsteht, wenn wir zwei grundverschiedenen, durch Verwandschaft aneinandergekettetet Charakteren beim Scheitern zusehen. Ein Spießer, der sich so stark an die Normen klammert, dass sie quietschen - sie aber zugleich immer auch übertreten will; ein von seiner inneren Leere in diverse Suchtkrankheiten getriebener, der sich aus reinem Spaß an der Anarchie der Pflege seiner Amoral widmet: und eine Menge gut gescripteter Side-Characters, die diese Gegensätzlichkeiten reflektieren und auf die Spitze treiben helfen. "Two and a Half Men" erzählt uns so nicht nur die Gegenwarts-Geschichte der US-amerikanischen Doppelmoral, sondern auch die der unseren.

Das Debakel verantworten die Serien-Produzenten ...

Die Serie ist lustig, weil sie vom Donald Duck vs Gustav Gans-Schmäh lebt: der eine scheitert andauernd an seiner Grundkonstitution, der andere daran, dass ihm alles zufliegt. Beide sind gleichzeitig grauenvoll und bemitleidenswert. Der Ausmaß ihres Scheiterns sorgt für unseren Spaß.

Nun ist Charlie Sheen auf Entzug und Charlie Harper tot, die Zweier-Konstellation mit Serien-Bruder Alan (Jon Cryer) aufgelöst. Mit Kutcher/Schmidt wollte man einen neuen Gustav Gans etablieren - hat aber nur einen weiteren Donald Duck in die Dramaturgie reingeholt.

In der ersten Folge, in der ersten gemeinsamen Barszene von Cryer und Kutcher wollte man das neue Konzept vorstellen, die neue, auf ihre Art auch originelle Gegensätzlichkeit der beiden herausstreichen: herausgekommen ist die Betonung der Gleichartigkeit. Auch Schmidt ist ein Spießer mit einfältigem Klammergriff um eine sehr normierte Moral; auch Schmidt ist ein nicht lebensfähiger Loser, auch Schmidt gelingt der lucky punch nicht aus eigenem Antrieb. In der Bar sitzt Donald Duck sich selber bzw einer reichen Variante seiner selbst gegenüber.

Das ist alles mögliche; aber nicht lustig.
Man merkt das am drastischen Versacken der Side-Charaktere, die plötzlich in Eindimensionalität untergehen. Alans Ex-Frau Judith nützt Schmidt ebenso als Sex-Aufputschmittel wie Haushälterin Berta. Sie, und auch Rabenmutter Evelyn haben ihre zentrale Funktion als beißende Kommentatorinnen der moralischen und inhaltlichen Unzulänglichkeit der zweieinhalb Männer verloren. Berta denkt ihre (uninteressant gewordenen) Comments nur noch im inneren Monolog, der rauhmäulige Trailerpark-Schlampencharme ist weg.

... durchs Kippen des Donald Duck/Gustav Gans-Schmähs...

Die Schmidt umgebenden Frauen sind um Eckhäuser deutlich eindimensionaler als die andauernd wechselnden Charlie-Gespielinnen: über ein simples 'den knuddeligen Rich Boy bemuttern und/oder ausnehmen' geht das nicht hinaus.
Der Varianten-Reichtum der Charlie-Exen, der von Stalkerin Rose über echte Love-Interests bis hin zu naiven Trutschen und Frauen, die Charlie genauso benutzen wie er sie, reicht und die von Aktricen wie Susan Blakely, Jeri Ryan, Teri Hatcher, Emmanuelle Vaugier oder Liz Vassey bösartig und facettenreich dargstellt werden, ist verflogen. Denn natürlich ist der Bad Boy deutlich interessanter als die Lusche.

Die neue, neunte Staffel von "Two and a Half Men" kommt aber jetzt, allem geplanten Gegensatztum zum Trotz, mit der Doppel-Lusche daher. Das ist der Angst einen neuen Charlie Harper zu konstruieren geschuldet, die wiederum aus der Angst des Produktion, es wieder mit einem Monster wie Charlie Sheen zu tun haben zu müssen, entstanden ist.
Dass sich hier, bei einer Fiction, das echte Leben so massiv ins Skript reinmischt, ist schon frappant. Denn das liebenswerte Weichei Schmidt spiegelt deutlich den Wunsch wider seiner Arbeit im Kreis liebenswerter Charaktere nachzugehen. Ob es, um den Dämon Charlie Sheen auszutreiben, nicht deutlich sinnvoller gewesen einen verschärften Charakter einzuführen, werden wir nicht erfahren: eine zehnte Staffel wird es wohl nicht mehr geben.

... und auch weil man aufs Publikum gehört hat.

Irgendwie spiegelt der Kutcher-Fehlgriff aber auch die immer forciertere Einmischung von scheinbarem Publikums-Geschmack wider. Denn aus dem durchaus nachvollziehbaren Ekel vor Charlie Sheen, den die "Two and a Half Men"-Zuschauer weltweit zunehmend entwickelten (auch weil Sheen letztlich die Harper-Figur nicht mehr von sich selber unterscheiden konnte) musste so etwas wie die Ablehung der Grund-Dramaturgie und der Charlie-Figur herausgelesen werden, der die Produktion dann Rechnung tragen wollte.

Auch das: ein Irrtum. Eine Fehlstellung partizipatorischer Demokratie; oder zumindest die deutliche Überschätzung direkter Demokratie.
Denn natürlich fehlt dem Publikum jetzt die Herausforderung, die Reibung der Gegensätze und vor allem der trockene körpereinsatzlose Witz. Und klarerweise wird nicht das Publikum für seine Fehleinschätzung geradestehen - das werden die Serien-Verantwortlichen, die darauf gehört haben, müssen. Denn die Grundregeln der komödiantischen Dramaturgie werden auch nicht durch Charlie Sheen oder den Ekel vor ihm aufgehoben.