Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Beats vom Kinderarzt"

Phekt

Geschichten aus dem Hip Hop-Universum und benachbarten Galaxien.

18. 1. 2012 - 15:00

Beats vom Kinderarzt

Dexter ist wahrscheinlich der erste Kinderarzt, der eine goldene Schallplatte an seiner Wand hängen hat. Es weht ein frischer Wind in der deutschen Hip Hop-Szene.

Dexter kommt aus Heilbronn, nicht unbedingt das Hip Hop-Mekka Deutschlands. Ende der 90er Jahre feilt er mit Freunden an ersten Produktionen für eigene Tapes - in erster Linie um Musik für die selbst geschriebenen Rap-Texte zu haben. Die Berufung zum Produzenten ist zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt kein Thema, sondern eher Mittel zum Zweck.

Dexter

Robert Winter

Heute, mehr als zehn Jahre später, zählt Dexter zu den interessantesten Hip Hop-Produzenten Deutschlands. Und das, obwohl er nebenbei einen ganz anderen Karriereweg eingeschlagen hat - er arbeitet mittlerweile als Kinderarzt in Stuttgart.

Jazz Files

Anfang 2010 veröffentlicht das Kölner Label Melting Pot Music die "Jazz Files" von Dexter im Rahmen ihrer renommierten "Hi Hat Club"-Serie, die diverse Hip Hop-Produzenten und ihre Instrumentals ins Rampenlicht stellt. Wie der Name schon sagt, sind die "Jazz Files" eine Sammlung von Hip Hop-Produktionen, die auf Samples und Sounds alter Jazz-Platten basieren. Spätestens jetzt wird eine breitere Öffentlichkeit auf den Namen Dexter aufmerksam. Denn seine Musik klingt - obwohl sie auf Samples basiert - sehr organisch und analog. Gefühlvoll arrangiert Dexter Melodien neu, verschiebt Drum-Sounds, filtert Basslines und Synthesizer, addiert das Rauschen einer zerkratzten Schallplatte und entführt die Zuhörer in einen neuen Soundkosmos.

Beat Fight

Es hat sich viel getan im neuen Millenium. Spätestens seit dem Tod von J Dilla ist in der Hip Hop-Szene die Aufmerksamkeit für Produzenten und ihre zum Teil geniale Arbeit hinter den Drum-Computern und Samplern gewachsen.

In Deutschland kann man das gesteigerte Interesse gut anhand der seit kurzem stattfindenden Beat Fight-Veranstaltungen beobachten. Dort treffen unterschiedliche Produzenten zusammen, um ihre Musik auf einer Bühne vor einem großen Publikum abzuspielen. Gewinnen tut jener Produzent, dessen Beats das meiste Feedback aus dem Publikum bekommen. Eine Jury von Szene-Fachleuten gibt auch noch ihren Senf dazu ab. Dexter hat den "Beat Fight" schon zweimal gewonnen und für die höchste Dichte an Kopfnickern gesorgt.

Gold mit Casper

Es war eine dieser Produktionen für den "Beat Fight", die den deutschen Rapper Casper davon überzeugt haben, dass er unbedingt mit Dexter zusammenarbeiten möchte. Ohne genau zu wissen, wer Casper eigentlich ist, schickt Dexter ihm das Instrumental, das ausgeschmückt mit dem Heulen von Wölfen zur Grundlage für den Song "Blut sehen (Die Vergessenen Pt. 2)" wird. Das dazugehörige Album "XOXO" von Casper landet auf Platz 1 der deutschen Album-Charts und sichert Dexter seine erste goldene Schallplatte. So schnell kann es gehen.

Raw Shit

Die Zusammenarbeit mit Casper war für Dexter ungewöhnlich. Denn eigentlich bewegt er sich musikalisch in einem Umfeld, dass weniger in den Hitparaden zu finden ist: Audio88, Yassin, Morlockk Dilemma, Hiob, etc. Hoffnungsträger deutschsprachiger Rap-Musik, die momentan daran arbeiten, Hip Hop aus der größtenteils langweiligen Straßenrap-Leichenstarre zu befreien. Wie man das noch machen kann, zeigt Dexter anhand eines inoffiziellen Remixes, den er für den Offenbacher "Gangster"-Rapper Haftbefehl gemacht hat. Für dessen Song H.A.F.T. hat Dexter die originalen cheesy Synthie-Beats gegen atmosphärische Samples ausgetauscht und dem Song dadurch einen komplett anderen Vibe gegeben.

Dexter & Maniac

dexter maniac

Mit Maniac, einem Rapper der Demograffics aus Regensburg, hat Dexter die gemeinsame Platte "Raw Shit" veröffentlicht. Darauf ist er sogar als erstaunlich talentierter Rapper zu hören (wobei er sich selbst nur als Hobby-Rapper bezeichnet). Der lockere musikalische Zugang der Beiden klingt charmant und bringt Rap dorthin zurück, wo die Ursprünge liegen: Hip Hop darf auch Spaß machen.

Solange früher alles besser war

Seit einigen Wochen ist das Solo-Album "Solange früher alles besser war" des Münchner Rappers Fatoni (Creme Fresh, Moop Mama) erhältlich. Fast die Hälfte des Albums wurde von Dexter produziert, dessen Musik sehr gut als Grundlage für Fatonis Texte passt.

In naher Zukunft wird es außerdem ein gemeinsames Album von Dexter & Morlockk Dilemma geben. Unproduktivität kann man dem Produzenten also auf keinen Fall vorwerfen. Ganz im Gegenteil: Es ist fast unheimlich, dass er so viel Musik machen kann, obwohl er einen Großteil seiner Zeit als Arzt im Krankenhaus verbringt. Sein Geheimnis: Gutes Zeitmanagement und kein Fernseher.