Erstellt am: 18. 1. 2012 - 05:10 Uhr
Das Superpack
US-Vorwahlen: Der Kandidat, der aus der Kälte kam. Mitt Romney ist der aussichtsreichste Kandidat der Republikaner bei den diesjährigen US-Präsidentschaftswahlen. Beobachter meinen, er habe bereits als Geschäftsmann die Welt verändert. Nicht unbedingt zum Besseren.
Es war einmal eine Meinungsumfrage unter Republikanern. Und die ergab, dass viele von ihnen den Satire-Anchor Stephen Colbert für einen echten Nachrichtensprecher halten; einen, der perfekt in den konservativ geifernden TV-Rahmen von FoxNews passen würde. Ob Legende oder Realität, wer schon einmal den Colbert Report gesehen hat, weiß über die konservativen Überzeichnungsattacken des Comedy-Anchors Bescheid. In ihrem Irrssinn stehen sie dem Entäußerungsjournalismus der kettenrasselnden Rupert Murdoch Posse tatsächlich in nichts nach. Der stets adrett gekleidete Komödiant nähert sich der Nachrichtenwelt allerdings von der anderen Seite, also von der Satire zur Aufklärung. Bei FoxNews funktioniert das in der Regel ja umgekehrt. Aber auch diesbezüglich ist damit zu rechnen, dass dieser Umstand vielen Foxianern auf ewig verborgen bleiben wird.
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Colbert for president
Und nun, Ihr wisst es sicher bereits aus Funk, Fernsehen oder den grün-weißen Seiten, gedenkt Stephen Colbert zum zweiten Mal nach 2008 bei einer Präsidentschaftswahl anzutreten. Nachdem in der vergangenen Woche ein Poll zur Kandidatenpräferenz in South Carolina ergeben hat, dass 5% der Befragten für den TV-Comedian votieren würden, hat Colbert letzte Woche seine Kanditatur für das Amt des „Präsidenten Der Vereinigten Staaten von South Carolina“ angekündigt, die er mittlerweile jedoch wieder zurückziehen musste. Für eine Teilnahme am anstehenden Urnengang war es schon zu spät (statt dessen ruft er zur Unterstützung des bereits aus dem Rennen ausgestiegenen Herman Cain auf, der aber in SC formell noch immer zur Wahl, also auch auf dem Stimmzettel steht).
Der eindeutig unterhalb der Mason-Dixon Linie liegende Bundesstaat ist nicht nur Colberts ursprüngliche Heimat, sondern am 21. Januar auch der nächste Austragungsort der republikanischen Primaries. Dass Colbert in der Umfrage noch vor einem der „seriösen“ Kandidaten gelandet ist, dürfte jenen in der Entscheidung bestärkt haben, vorzeitig aus dem Rennen auszuscheiden. Am Montag warf der eher moderate Jon Huntsman, seines Zeichens ehemaliger US-Botschafter in China, offiziell das Handtuch.
Colbert bleibt auch nach der Zurückweisung durch die lokale Wahlbehörde im Rennen. Und er wäre wohl auch ohne Umfragebonus angetreten. Bereits im vergangenen Jahr rührte der Indie-Fan in seiner Show die Wahltrommel, bzw. füllte sie mit Geld. Und damit wären wir auch schon beim tatsächlichen Motiv hinter der Fake-Kandidatur des Fake-Anchors.
colbertnation.com
Stephen Colbert will etwas sichtbar machen. Mit seiner Kampagne offenbart er die Lücken im US-Wahlkampffinanzierungssystem. Lücken, durch die vor allem Spendengelder großer Corporations fließen. In den Staaten gilt ja: wer die prallste Kriegskasse hat, verbessert seine Chancen erheblich, am Ende tatsächlich als Inhaber eines Kongresssitzes oder gar der Präsidentenwürde dazustehen. Dass die Big Spender aus der Wirtschaft aber auch den Gewerkschaften Gegenleistungen für finanziellen Support erwarten, steht am Anfang der Logik des gelebten Lobbyismus - am Ende steht hingegen die übermäßige Einflussnahme von special interest auf Entscheidungen, die eigentlich dem Gemeinwohl dienen sollten.
Zuletzt hat Barack Obama groß abgesahnt. Dass viele Zuwendungen für seine Change-Campaign von der Wall Street gekommen sind, werten nicht wenige Beobachter als Zeichen für die mittlerweile berüchtigte Schwäche des Amtsinhabers im Umgang mit den Verantwortlichen der Finanzkrise von 2008. Da für die Republikaner aller Voraussicht nach der erfolgreiche Ex-Geschäftsmann und Multimillionär Mitt Romney in den Ring steigen wird, ist in diesem Jahr wohl mit einem der teuersten Wahlkämpfe der Geschichte zu rechnen.
In der Mitte ein Geldfluss
Natürlich kann selbst in den USA corporate money nicht ungefiltert an die Kandidaten fließen. Dennoch sorgen diverse Kanäle für reichlich Zufuhr von Frischwasser. Zwar hat der Gesetzgeber jahrzehntelang an Regelungen zur Beschränkung von Wahlkampfspenden gebastelt. Es gibt seit der Watergate-Affäre mit der FEC auch eine unabhängige Wahlkommission. Doch mit einem Urteil des Obersten Gerichtshofes im Januar 2010 erlebte die Entflechtung von Politik und Firmenzuwendungen einen herben Rückschlag.
Occupyhartford.com
In ihrer Citizens United vs. Federal Election Commission-Entscheidung setzten die obersten Verfassungshüter der USA Wahlkampfspenden von Firmen und Gewerkschaften mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung gleich. Klingt crazy, ist aber zumindest juristisch nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass diese Organisationsformen in den USA (wie in allen anderen Staaten auch) mit Personenrechten ausgestattet sind. Und Personen haben nun mal das Recht auf free speech.
Was in der Argumentation des U.S. Supreme Court akademisch also durchaus plausibel klingt, halten Rechtsexperten im konkreten Fall von "Citizen United" jedoch für eine der größten Fehlentscheidungen in der Geschichte der US-Judikatur. Rechtsgelehrte wie John Witt von der Yale Universität weisen auf den ursprünglichen Gedanken der „corporate personhood“ hin: so wie natürliche Personen besäßen auch Firmen ein Recht auf Schutz durch Gesetze. Das macht sie aber nicht automatisch zu Menschen. Anders: nicht alles was für eine natürliche Person gilt, zählt auch für einen Personenverband oder eine Vermögensmasse und das ist gut so.
Deshalb gibt es etwa in Österreich die Bezeichnung „juristische Person“, in den Staaten werden Unternehmen häufig als „metaphyiscal person“ qualifiziert. Der Hacken an der Sache: Diese Relativierung wurde beim ursprünglichen Entscheid Ende des 19. Jahrhunderts (Im case Southern Pacific Railroad gegen den Staat Kalifornien und einige Counties) nicht näher definiert, „weil allen Beteiligten klar war, was gemeint ist“ (Witt). Seither ist die Definition, wieviel "Person" eine Firma ist, Gegenstand der dynamischen Rechtssprechung.
Ein Mensch wie du und ich
Der „Citizens United“ Entscheid stellt nun das vorläufige Ende dieser Entwicklung dar. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind Firmen mit immer mehr Personenrechten ausgestattet worden. Mit dem Urteil von 2010 ist nun die Person Firma vor den Augen des Gesetzes kaum noch von einer Person mit Armen und Beinen unterscheidbar.
Als Konsequenz ist das Wahlfinanzierungssytem auf föderaler Ebene quasi dereguliert worden. Eine direkte Zuwendung an die Kandidaten durch corporations oder unions bleibt zwar weiterhin verboten - sie wird über sogenannte PACs (Political Action Commitees) reglementiert und auf bestimmte Beträge begrenzt. Doch „Citizens United“ ermöglichte über das Personenrecht die Etablierung eines neuen Spendenmodels ohne Limits.
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In einem sogenannten Super-PAC kann unbeschränkt viel Geld gesammelt werden, solange der Kandidat „formell“ nichts mit dem Verein zu tun hat. Die Corporation „Mensch“ darf ab nun geben, was „er/sie“ will oder kann, um „seine/ihre“ Meinung frei kundzutun.
Doch „money isn’t speech and corporations aren’t people“, wie es der Jurist und Bürgerrechtler David Keyes in einer Reaktion auf den Höchstrichterspruch formulierte. Sein Statement erlangte während der Occupy Wall Street Proteste in New York Popularität und wurde zu einer Leitparole der Protestbewegung. Der Entscheid "Citizens United" war übrigens einer der Auslöser für die Formierung von OWS. Die Revidierung ist noch immer eine der Kernforderung der Aktivisten.
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Der ideale Kandidat und Ex-Investor Mitt Romney gilt als glühender Verfechter der corporate personhood. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Iowa von einem Occupy Wall Street Aktivisten mit dem Thema konfrontiert, antwortete der aussichtsreichste Kandidat der Republikaner entwaffnend: „corporations are people, my friend! Of course they are. Everything corporations earn ultimately goes to people, it goes to the pockets of people, so corporations are people!”
Superpack
Folgerichtig können Firmen atmen und an Liebeskummer oder Verdauungsstörungen laborieren, denn so sind wir nun mal, wir Menschen! Und so sind wir auch endlich bei Stephen Colberts Kandidatur angelangt: Der Neo-Politiker hat sich vergangene Woche nicht nur lautstark als Kandidat anempfohlen.
Colbert hat überdies sein bereits im März in weiser Voraussicht ins Leben gerufene Super-PAC Making A BetterTomorrow, Tomorrow an eine unabhängige Person seine Vertrauens übertragen. Die Leitung des Unterstützungskomitees ist an einen gewissen Jon Stewart übergegangen, seines Zeichens Senderkollege und ehemaliger Arbeitgeber Colberts, der vollkommen weisungsfrei aber doch im Sinne des Kandidaten handeln wird, so wie es das Gesetz in Hinblick auf die Super-PACs nun mal verlangt ... Nicht umsonst trägt die Organisation ab nun die zusätzliche Bezeichnung „The definitely not with Stephen Colbert coordinating Super-PAC“. Ob der frische Kandidat auch mit den Stimmen jener Republikaner rechnen wird können, die ihn bereits in der Vergangenheit für einen echten Anchor gehalten haben?