Erstellt am: 18. 1. 2012 - 10:54 Uhr
FM4 Album der Woche
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Im Herbst 2010 spielten Francois & The Atlas Mountains in Wien. Das Blue Bird Festival lud den französischen Geheimtipp Francois Marry und seine MitmusikerInnen ein, wissend, welch Talent da schlummert. Jetzt haben Francois & The Atlas Mountains ein neues Album heraußen und stehen damit vor dem internationalen Durchbruch.
domino
Francois Marry mag Sprachen. Vorallem die englische und seine Muttersprache Französisch, aber auch Italienisch kommt vor in seinem neuen Longplayer, und zwar im Titel "E Volo Love". E volo bedeutet "und ich fliege". Das tut Francois Marry mit dem Album in der Tat. Der Sonne entgegen, wie der Ikarus darstellende junge Mann am Albumcover. Ikarus aus der griechischen Mythologie stürzt schließlich ab, weil er allzu übermütig ist. Francois wird das nicht passieren. Endlich bin ich dort, wo es mir möglich ist, mich richtig der Musik zu widmen, sagt der sympathische 29jährige im FM4 Interview. Endlich sich einen flotten Kleinbus zum Touren leisten können und so. Dank sei nicht zuletzt Domino Records. Das langgediente Londoner Plattenlabel (The Kills, Franz Ferdinand, Arctic Monkeys etc) hat jetzt auch eine Dependence in Paris, und Monsieur Marry ist der erste Künstler bei Domino France. Vorher veröffentlichten seine Atlas Mountains bei Talitres Records, einem renommierten kleinen Indielabel in Bordeaux. Mit Domino hat Francois Marry aber doch mehr Möglichkeiten. Da ist etwa auch gleich die Tür zum britischen Musikmarkt offen, und in der Tat bekommen Francois & The Atlas Mountains gleich Rezensionslob, von Popzeitungsgiganten wie dem Q-Magazine, das den Anglo-Gallic-Pop der Band classy und romantic findet und gleich vier von fünf möglichen Sternen vergibt.
Marry
Francois Marry kommt aus dem südwestfanzösischen Saintes, nahe Bordeaux. La Rochelle ist ein weiterer bekannter Ort in der Nähe. Als Francois 19 Jahre alt ist, geht er nach England, genauer gesagt nach Bristol, wo er als Assistenzlehrer an einer Schule werkt. In Bristol zu sein, ohne aber Musik zu machen, nein, das wäre für den jungen Franzosen nicht gegangen, und so hängt er in einem Supermarkt einen Zettel auf, auf dem er sich als Trompeter anbietet. Es dauert tatsächlich nicht lange, bis der Franzose zu britischen Bands eine Verbindung aufbaut, etwa zu Movietone aus Bristol oder zum Schotten Kenneth "King Creosote" Anderson, der bei Domino veröffentlicht. Aber auch die schottische Band Camera Obsura heuert ihn als Trompeter an, und er trifft die schottischen Indiepoplegenden The Pastels.
Letztere hatte Francois Marry geliebt, als er noch in Frankreich war und ein Fanzine herausgab. Aber nicht nur das popmusikalische Geschehen jenseits des Ärmelkanals hatte ihn schon immer fasziniert, nein, er war auch ein großer Fan von französischen Musikern, etwa Domique A. Dieser hat etwa Yann Tiersen beeinflusst, für die Französin Francoiz Breut Songs geschrieben oder mit Keren Ann gesungen, und, sagt Francois Marry, er hat mir gezeigt, dass man ein erfolgreicher Musiker und trotzdem wirklich nett sein kann. Von seinen eigenen Konzerten wünscht sich Francois, dass die BesucherInnen weggehen mit dem Gefühl, die Welt sei ein freundlicher, offener Ort. Ein Hippie?
Berge versetzen
domino
"E Volo Love" von Francois & The Atlas Mountains ist bei Domino France erschienen.
Gewissermaßen. Seine Band nennt Francois Marry nach dem nordafrikanischen Atlasgebirge. Von diesen Bergen träumt er seit Kindheitstagen. Ein Schulfreund schlug damals vor, einmal nach Marokko zu fahren, weil er dort jemanden kennen würde, bei dem die beiden wohnen könnten während des Aufenthalts. Aus der geplanten Reise wurde letztlich nie etwas. Im Atlasgebirge selbst war Francois Marry bis heute nicht, aber in Marokko war er inzwischen. Im Ort Azrou etwa hat er einen Song geschrieben: "Azrou Tune", ein wunderhübsches, melancholisches, aber letztlich nicht niederdrückendes Stück samt Latin-Percussion und Jazz-Bläsern.
Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich Francois und seine Atlasberge lieber habe, wenn Monsieur Francois Englisch singt, oder wenn er Französisch als Songsprache wählt. Am besten er tut beides in einem einzigen Song, wie bei "Azrou Tune": But sooner or later it will push you into the light, to keep you warm. Dazu klagt ein Saxofon. Simple and right sind die letzten Worte im Song. Magnifique. Wonderful.
Francois Marrys Mutter wuchs in Afrika auf, in Kamerun, und Westafrika kommt im herrlich schimmernden "Les Plus Beaux" - übersetzt the most beautiful - ins Spiel, in Form einer Westafrika-Gitarre. Westafrika ist auch im Song "Edge Of Town" präsent, und insgesamt am Album viel mehr als Nordafrika, trotz dass ein gewisser Jean-Paul Romann das Album mitproduziert bzw abgemischt hat. Er hat auch Tinariwen, die international gefeierte Tuareg-Rockband, produziert.
Slow Love
Dem britischen Indiepop kann Francois aber auch nicht widerstehen: "City Kiss", "Slow Love". Von der Liebe die kommt und geht, as we go through, singt Francois Marry mit zartem französischem Akzent auf letzterem Song. Long lasting slow love. Slow lasting low love. Wer spätestens bei diesem Stück, dem achten Song am Album, noch nicht verliebt ist in Francois, dem/der ist wohl nicht zu helfen. Je t´ aime, Francois, je t´aime! Ob die Schulmädchen in Bristol wohl damals "Francois, marry me!" gerufen haben? Und dann weinen am Schluss des Songs auch noch die Geigen, ein ganzes Orchester. Wer spielt sie? Wer sind die Atlas Mountains?
marry
Etwa zwei Jahre nachdem Francois Marry nach Bristol gezogen war, hatte er seine Atlas Mountains beisammen, einen losen Haufen Freunde, a bunch of people. Niemand musste bleiben, immer konnte jemand hinzukommen. Besonders jetzt, wo eine große Tour ansteht, ist aber doch eine gewisse Anspannung da. Da mutiert der sanfte Francois beinahe zum, nein, nein, ein Diktator ist dieser Mensch ist. Aber was, wenn jemand bei den französisch-englischen Atlas Mountains jetzt nicht 120 Prozent geben kann? Was wäre wenn? Dann müssen wir einfach schauen, dass wir dennoch Freunde bleiben können, sagt Francois Marry diplomatisch. Einfach einen Atlas Mountain so zu feuern, das wäre schließlich nicht in Ordnung.
"E Volo Love" mag wie das smarte Debutalbum von Francois & The Atlas Mountains erscheinen, ist aber bereits ihr vierter Longplayer, und solo hat Francois Marry auch Einiges aufgenommen und veröffentlicht. Ebenso wie das letzte Album der Band, "Plaine Inondable", ist auch "E Volo Love" ein aquatisches Album, wie Francois Marry sagt. Es entstand, wie schon "Plaine Inondable" in Saintes, jenem Ort in Südwestfrankreich, wo Francois Marry herkommt, und wo im Winter gern ein Fluß über die Ufer tritt und für viel Überflutung sorgt. Deshalb nannte Francois das letzte Album eben "Plaine Inondable" - überschwemmbare Ebene, samt dem Song "Be Water", und deshalb heißt ein Song am neuen Album auch "Piscine": Becken, Bassin.