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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

17. 1. 2012 - 18:55

Ein hypnotischer Sog

Meine lieben: Neues Jahr, neues Spiel, neues Glück aber die Akte 2011 kann noch nicht ganz geschlossen werden, ohne sich The Weeknd hinzugeben.

Vor ein paar Tagen geisterte eine Doku durch die Blogs, die sich mit dem Gebaren der Musikindustrie und dem Paradigmenwechsel beschäftigt. Ja sicher, werdet ihr jetzt sagen, und zwar 15 Jahre zu spät. Aber nein, sage ich jetzt, in dieser Doku geht es nicht um die zunehmende Irrelvanz von Sony, Warner und Co. Es geht um Blogs und Online-Portale.

Hört man die Chefs von Pitchfork, Vimeo und Co sprechen, dann beschleicht einen der Verdacht, dass sie dem gleichen Größenwahn zum Opfer gefallen sind, wie er in den Chefetagen der konventionellen Musikindustrie  gewütet hat. Sätze wie: "There is so much music out there and we are the ones that tell the people what to like", erscheinen mir doch reichlich unsympathisch. Einzig Anthony Volodkin von _The Hype Machine(hypem.com)__  kommt ganz gut weg. "The evolution of music online" , heißt diese Doku.
Aber wundert euch doch selbst:
 

Bitterüße Verzweiflung

Ein Kind dieser Evolution ist The Weeknd. Er agiert so, als würde er auf all das ziemlich schießen. Er hat im Laufe des vergangenen Jahres drei Mixtapes, die kaum etwas von Alben unterscheidet, zum Gratisdownload angeboten. Es kann - frei nach Simon Reynolds - in dieser Welt nichts Neues mehr geben, aber das Hybrid, das The Weeknd schafft, ist ein hypnotischer Sog.

Als ich The Weeknd mit der Aufforderung :“ Anhören!“ in meinen Posteingang vorfand, dachte ich für die ersten 90 Sekunden von "Coming Down" Kollegin S. will mich verarschen bzw. wieso feiert sie kalkuliertes Manöver im Rahmen dessen RnB-Geschmachte mit basslastiger, durchaus chartskompatibler Popmusik, deren Blaupause die XX geschaffen hat, kombiniert wird. Drei Minuten später war ich voll drauf und drin. Weeknd-süchtig. Seitdem suhle ich mich wie ein kleines Hängebauchferkel im Universum bittersüßer Verzweiflung

RnB war noch nie meines. Ich kriege Lachkrämpfe bei großem Pathos und demonstrativem Leiden - bis auf Mary J Blige, die konnte ich immer schon ernst nehmen. Aber jetzt kommts: The Weeknd schmachtet und leidet in einer Sprache die ich verstehe.

the weeknd

R Kelly und Burial in der Rehab

Noch nie hat jemand so gefühlvoll geflucht oder eine medial verseuchte Liebesökonomie derart treffend beschrieben (the bitches don´t want my love they just want my attention.) The Weeknd klingt so, als hätten sich R Kelly und Burial in der Rehab getroffen. Die Kombination der Kälte und Weite der  Instrumentals mit der Überemotionalität der Vokals erzeugt einen Sog. Es soll ja auch Menschen geben, die darauf schwören, Heroin und Kokain zu kombinieren.
 
Dass ich hier die ganze Zeit in Drogenmetaphern spreche, hat übrigens nicht mit meiner persönlichen Unbalanciertheit zu tun, sondern durchaus mit der Welt, in die uns the Weeknd mit seinen Texten führt.

Bring your love
Baby I can bring my shame
Bring the drugs
Baby I can bring my pain

Mädchen, Drogen und Luxusprobleme. Beim Coming Down schaut die Welt nicht mehr so freundlich aus.
 
Pick up your phone
The parties finished
And I want you to know
I'm all alone

Und übrigens, falls ihr euch wundert, warum ich euch noch nicht die biografischen Fakten des Typen hinter the Weeknd um die Ohren geknallt habe, es scheint nicht relevant für ihn zu sein. Auf der Website gibt es spärliche Informationen. The Weeknd ist 22 Jahre alt und Kanadier ethiopischer Abstammung. Er heißt Abel Tesfaye. Interviews gibt er auch nur ungern. Warum sollten wir also unsere Zeit verschwenden
 
Die Mixtape-Trilogie "Echoes of Silence", "Thursday" und "House of Balloons" ist Laufe des letzten Jahres erschienen und gibt es auf der Weeknd-Website zum Gratisdownload.