Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Von Noomi zu Rooney"

Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

17. 1. 2012 - 13:15

Von Noomi zu Rooney

„Verblendung“ revisited: David Finchers „The Girl With The Dragon Tattoo“ lebt wie die schwedische Variante vor allem von der faszinierenden Hauptfigur und ihrer Darstellerin.

„We come from the land of the ice and snow, from the midnight sun where the hot springs blow..“ (Led Zeppelin, „The Immigrant Song“)

Der vor seinem Durchbruch verstorbene Schwede Stieg Larsson gehört mit seinen Verschwörungs-Thrillern zu den erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Von seiner Millenniums-Trilogie wurden bisher mehr als 15 Millionen Bücher verkauft. Auch die drei schwedische Verfilmungen der Bücher funktionierten bestens an den Kinokassen, zumindest in Europa.

Ob im Netz, in Magazinen oder alternativen Stammtischgesprächen, überall hörte man im Vorfeld die eingefleischten Stieg-Larsson-Fans aufschreien. Was bildet sich Hollywood eigentlich ein, lautete der Tenor der Nörgler, wer braucht so schnell ein US-Remake einer zutiefst europäischen Schauergeschichte?

Moment mal, musste ich dann immer in Diskussionen einwerfen, erst mal langsam. „Män som hatar kvinnor“ (Verblendung, 2009) war zwar mit Abstand die spannendste und ambitionierteste unter den drei schwedischen Larsson-Verfilmungen. Aber unterm Strich wirkte auch Niels Arden Oplevs Werk bloß wie ein konventionell inszenierter TV-Thriller, dessen Look an bessere „Tatort“-Episoden erinnerte.

Verblendung

Polyfilm

The Girl With The Dragon Tattoo“, die brandneue Version der sinistren Story rund um Lisbeth Salander und Mikael Blomquist, ist nun erst einmal ganz großes Kino. Kein Wunder, denn über das ungleich höhere Budget verfügte kein stumpfer Auftragsarbeiter im Regiestuhl. Sondern David Fincher, bereits seit „Seven“ und den mittleren Neunzigern einer der zentralen Visionäre des schattseitigen Hollywood.

Wer bei neunzig Millionen Dollar Produktionskosten, einer riesigen Marketingkampagne und einem überwiegend amerikanischen Zielpublikum eine entschärfte Weichspülvariante befürchtet hat, wird von Fincher eines Besseren belehrt.

The Girl With The Dragon Tattoo - Verblendung

MGM

Visuelle und akustische Reize

Gewohnt detailbesessen und präzise beobachtend, aber vor allem mit einer Knochenhärte, die die Mainstream-Grenzen auslotet, rollt der Ausnahme-Filmemacher den mysteriösen Fall der Harriet Vanger noch einmal auf. Der Enthüllungsjournalist Mikael Blomkvist (Daniel Craig) jagt zusammen mit der jungen Hackerin Lisbeth Salander (Rooney Mara) der spurlos verschwundenen Industriellentochter hinterher. Immer tiefer gerät das gegensätzliche Detektivpaar dabei in die politischen und privaten Abgründe des Vanger-Konzerns.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Einen modernen Klassiker á la „Zodiac“ oder „Fight Club“ sollte man von der Neuversion der „Verblendung“ nicht erwarten.

Verblendung

MGM

Was David Fincher prinzipiell an dem Stoff und der Idee eines blitzschnellen Remakes interessierte, lässt sich auch aus diversen Interviews nicht einwandfrei herausfiltern. Denn ohne die Bestseller-Vorlagen des früh verstorbenen Starautors gelesen zu haben, traue ich mich zu behaupten: Dem Regisseur muss klar gewesen sein, dass sich aus dem wüsten und verschachtelten Mix aus Neonazismus, Serienmord, Frauenhass und Groschenroman-Mystery kein wirkliches Meisterwerk herausdestillieren lässt.

Dafür punktet „The Girl With The Dragon Tattoo“ mit visuellen und akustischen Reizen. Fincher macht den eisigsten schwedischen Winter seit Dekaden auf grimmige Weise spürbar, man fühlt beinahe die Schneeflocken im Zuschauerraum, wie der amerikanische Kolumnist Jim Emerson treffend bemerkte. Daneben verbeugt sich der Amerikaner aber auch vor schwedischer Kultur, Architektur und Mode. Das Grauen lauert hier versteckt unter chicen Designoberflächen. Und so gut gekleidet waren Menschen auch schon lange nicht mehr in einem Film.

The Girl With The Dragon Tattoo - Verblendung

MGM

Rabenschwarze Pop-Ikone

Man könnte, wie der US-Kritikerpapst Roger Ebert, diese slicke Optik natürlich auch als Nachteil sehen und den Touch des Schmuddeligen, der im Gegenzug der Originalversion anhaftete, bevorzugen. Genauso wie das bedächtige Schnitttempo der Schwedenversion zugegeben einen gewissen Raum für Alltäglichkeiten lässt, die in der rasanten Fincher-Montage untergehen.

Ich für meinen Teil muss gestehen, dass ich mich vom atemberaubenden Vorspann weg der durchkomponierten Ästhetik hingegeben habe, ebenso wie dem Score von Trent Reznor und Atticus Ross, die nach „The Social Network“ erneut mit einen minimalistischen Score aus Electro- und Industrialversatzstücken faszinieren.

Punk, Frau

Polyfilm

Atmosphärische Bilder und aufwühlende Sounds aber hin oder her, letzlich dreht sich in der Millenniums-Trilogie und in den dazugehörigen Verfilmungen alles um eine Figur. The one and only Lisbeth Salander. Mit der soziopathischen Hackerin im Goth-Look ist Stieg Larsson eine neue rabenschwarze Popkultur-Ikone geglückt, die von Noomi Rapace in den Schwedenversionen unvergesslich verkörpert wurde.

Mit den Casting von Rooney Mara, die bislang nur durch eine Nebenrolle in „The Social Network“ aufgefallen ist, gelang David Fincher aber ein Glücksgriff. Die 26-jährige New Yorkerin orientiert sich in keinster Weise an Rapace, ringt stattdessen der bisexuellen Action-Anti-Heldin Lisbeth ganz andere, nicht minder intensive Facetten ab. Neben ihrer eindringlichen Darstellung, verblassen Daniel Craig, Stellan Skarsgard und der Rest der tollen Besetzung bisweilen zur Staffage.

Von Noomi zu Rooney: Wie im Originalfilm brennt sich auch vom Remake letztlich nur die Hauptdarstellerin in die Netzhaut ein. Als Zusatzbonus liefert „The Girl With The Dragon Tattoo“ mehr Sex, Gewalt, Style und die Musik von Trent Reznor. Und das ist ja auch schon was.

The Girl With The Dragon Tattoo - Verblendung

MGM