Erstellt am: 30. 1. 2012 - 15:15 Uhr
Ewig Dein? Danke, nein.
Egal, ob sie schwarzhaarig sind oder blond, ob sie vollbusig, X-beinig, blauäugig oder botoxstarr durchs Leben laufen; eins haben viele Frauen in den Produktionen unserer Kulturindustrie gemeinsam: Sie sind in den meisten Fällen so genannte "Plot Enabler", sie ermöglichen die Handlung. Nur durch ihre Verzweiflung, Entführung, Schändung, Ermordung gibt es für den Helden einen Grund zu handeln und somit erst die Möglichkeit, zum Helden zu werden.
Deuticke
Gemessen an dieser Erzähltradition versagt die Titelfigur im Roman "Ewig Dein" auf voller Länge. Daniel Glattauers neue Protagonistin heißt Judith, ist Mitte dreißig, Single und mit ihrem Leben zufrieden. Auch als Hannes in ihr Leben tritt (im wahrsten Sinn des Wortes: Er rammt mit voller Wucht ihre Ferse), stellt sie nach einigen verwöhnten Wochen fest, dass ihr diese Beziehung zu eng wird und sie lieber alleine lebt.
"Wie schade", meint der (in Paar-Konstellationen auftretende) Freundeskreis.
"Wieder einmal typisch", meint die eigene Familie.
"Wie gruselig", denkt sich die Leserin, denn das Mangelhafte und Unvollständige an einer Frau, die nicht gerettet werden möchte, bietet ein weites Spielfeld, auf dem sich Daniel Glattauer geschickt bewegt.
"Wieder bemerkte sie, dass jedes ihrer Gefühle zu Hannes an Verpflichtungen gekettet war. Diesmal war sie ihm Dank und Anerkennung schuldig."
Die Wahrheit als Definitionssache
Österreichs augenblicklich erfolgreichster Autor (über 2 Millionen verkaufter Bücher) hat sich statt der gewohnten Feel-Good-Stories dieses Mal auf einen, wie er selbst sagt, "Liebes-Psycho-Roman" eingelassen. Und es hat funktioniert.
Der geschasste Hannes will die Zurückweisung nicht wahrhaben, so schnell gibt er nicht auf, und – Hollywood hat es uns doch beigebracht – er kämpft mit aller Kraft für diese Liebe. Komplimente per SMS trudeln im Stundentakt ein, traumhafte Rosensträuße werden geliefert, es sind tägliche Grenzüberschreitungen in kostspieliger Verpackung. "Stalking" würde sich das vor Gericht nennen. "Ein armer Kerl, der sich in dich verliebt hat", nennt es Judiths Umgebung. Als Judith bemerkt, dass Hannes nach wie vor mit all ihren Freunden und sogar mit ihrer Familie in Kontakt steht, wird "die Wahrheit" zur Definitionssache und Judith zum Problem.
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"Kind, warum um Himmels Willen isst du denn nichts?"
"Mama, bitte, hier krieg ich Essen durch Schläuche, das ist viel bequemer, da braucht man kein Besteck."
Mit der Tatsache, dass zwischenmenschliche Beziehungen kompliziert sein können, verdient sich Daniel Glattauer seit Jahrzehnten sein täglich' Brot (und inzwischen auch die Lorbeeren). Es sind seine leicht zugänglichen Geschichten und deren ambivalente Figuren – sympathisch und liebenswürdig in ihrer Fehlerhaftigkeit, mit einem nervenaufreibenden Hang zur Selbstreflexion - die Glattauers Arbeit auszeichnen und die ihm zum Erfolg in zahlreichen Ländern verholfen haben. Judith knüpft nahtlos an diese Reihe von Figuren an. Die lakonischen Gespräche zwischen ihr und ihrer Psychiaterin gehören zu den Höhepunkten einer von Suspense und Täuschung durchzogenen Geschichte. Glattauer verwendet kein einziges Mal den Ausdruck "Stalking", statt dessen bohrt er sich in verquere psychologische Abläufe, verwendet die Schläue seiner Protagonistin gegen sie selbst und zeichnet das Bild einer Veränderung mit frustrierender Härte. Wenn der Held eine Frau braucht, die er retten kann, was braucht dann eine Frau, die im Mittelpunkt stehen will? Einen Verfolger?
Daniel Glattauer im Interview
"Es war mir gar nicht bewusst, dass ich sag: So, jetzt war ich herzerwärmend genug, jetzt schreib ich böse"
, meint Daniel Glattauer im FM4 Interview: "Die Geschichte hat es von mir verlangt. Ich wollte den Prozess einer in die Enge getriebenen Frau beschreiben. Und das ist nicht durchgehend - oder es ist sehr wenig daran - lustig und angenehm. Ich kann's ja trotzdem nicht lassen, ich hab auch eine Nebenfigur, die immer auch für etwas Humorvolles sorgt. Aber im Grunde ist es natürlich eine düstere Note an mir, die vielleicht noch ungewohnt ist. Mir selbst ist sie sehr gut bekannt, den Lesern vielleicht noch nicht."
Warum Daniel Glattauer eine Art "Medium" ist, das Frauengespräche anzieht, und wie die Idee zu dieser Geschichte entstanden ist, erzählt er im Interview - hier zum Nachhören.
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