Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "US-Internetsperrgesetze wackeln"

Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

16. 1. 2012 - 12:41

US-Internetsperrgesetze wackeln

Am Samstag hat sich das Weiße Haus von den geplanten Internetsperren distanziert. Die Protestbewegung hat mächtige Unterstützer im Regierungslager: das Ministerium für Heimatschutz und den Supergeheimdienst NSA.

Seit Oktober 2010 hat es so ausgesehen, als würden die beiden umstrittenen parallelen Gesetzesvorhaben Stop Online Piracy Act (SOPA) und Protect Intellectual Property Act (PIPA) das Repräsentantenhaus beziehungsweise den Senat ohne größere Abstriche passieren.

An Protesten und Warnungen seitens der IT-Industrie und Internetgrößen wie Wikipedia-Gründer Jimmy Wales hatte es seither zwar nicht gemangelt, doch an den Gesetzesentwürfen änderte das vorderhand nichts. Allen Protesten zum Trotz blieb man im Kongress dabei, Internetsperren ohne Gerichtsentscheid "zum Schutz geistigen Eigentums amerikanischer Unternehmen" durchzuziehen.

Wankendes Szenario

An diesem Wochenende ist eben dieses Szenario - spät aber doch - erheblich ins Wanken geraten. Für die bisher größte Mobilisierungswelle unter den Gegnern sorgte aber ausgerechnet der vehementeste Befürworter von Sperren, Medienzar Rupert Murdoch, der die Entwicklung am Wochenende via Twitter zunehmend grantig kommentiert hatte (siehe unten).

Die ersten Rückzieher

Doch eins nach dem anderen: Am Freitag hatte der republikanische Abgeordnete Lamar Smith (Republikaner), der federführende Abgeordnete von SOPA im Repräsentantenhaus, überraschend gesagt, die umstrittenste Passage des Gesetzentwurfs zurückzunehmen. Smith waren binnen weniger Tage immer mehr Unterstützer aus seiner eigenen Partei abhanden gekommen.

Tags davor hatte Senator Patrick Leahy (Demokraten), der dieselbe Funktion für PIPA im Senat innehat, eine Überprüfung seines Entwurfs angekündigt. Zentrale Maßnahme beider Vorhaben waren Sperren internationaler Websites auf der Ebene des Domain-Name-Systems, wenn gegen die Sites Beschwerde durch Inhaber von Copyrights und Markennamen in den USA erhoben wird.

Parallelen in Europa

Das ist, nur unter anderen Vorzeichen, ein und dieselbe Maßnahme, die in Europa nur in wenigen Ländern durchgesetzt werden konnte, obwohl man hier besonders schwere Geschütze aufgefahren hatte. Dieses angeblich notwendige Mittel zum "Kampf gegen Kinderpornografie" stellte sich in der Praxis als völlig sinnlos heraus, zumal derlei kriminelle Inhalte längst nicht mehr statisch gehostet werden, sondern von Site zu Site rotieren.

Obama auf Distanz

Die bis dato letzte Offensive zur Einrichtung einer zentralen Sperrinfrastruktur in der EU war vor ziemlich genau einem Jahr angelaufen. Hinter dieser "notwendigen Maßnahme gegen Kinderpornografie" stand seit jeher das Kalkül, die Sperren auch gegen Delikte wie Urheberrechtsverletzungen einzusetzen.

Am Samstag hatte dann Präsident Barack Obama über drei seiner Berater eine Erklärung abgegeben. Der Inhalt: Das Weiße Haus werde keine Gesetzgebung unterstützen, die freie Meinungsäußerung reduziere oder in die Dynamik der Innovation im globalen Internet eingreife. Damit ist gemeint, dass auf Basis eines entsprechenden Gesetzes internationalen Betreibern von Websites (wie .COM und .NET) der Namensservice kurzfristig abgedreht werden könnte.

Parallelen zu WikiLeaks

Zudem hatte SOPA auch noch vorgesehen, dass die entsprechenden Firmen vom Zahlungsverkehr (Kreditkarten, Bankverbindungen) abgeschnitten werden können. Und zwar durch einstweilige Verfügungen auf administrativem Wege, ohne Urteil eines ordentlichen Gerichts. Exakt so war seitens der US-Regierung gegen WikiLeaks vorgegangen worden.

Kriminelle Methoden

Insbesondere gingen die Obama-Berater auf eine generelle Gefährdung der Internetsicherheit ein, wenn "Netzsperren" auf Basis des Domain-Name-Services eingeführt würden. Diese "Sperren" seien ja eigentlich an sich keine, sondern seien bloße Umleitungen auf eine andere IP-Adresse als jene, die der betreffenden Domain in den Webdatenbanken zugeordnet ist. Technisch ist wenig und vor allem im Ergebnis gar kein Unterschied zu den Methoden der Internetkriminellen.

Error 404

Der Betroffene wird dabei einfach auf eine andere Website umgeroutet als jene, die er ansehen wollte. Dort steht dann, dass diese Website wegen іllegaler Inhalte gesperrt sei - oder schlicht das Standardformular "Error 404 - not found". Im Fall einer von Kriminellen veranlassten Umleitung fängt man sich auf der betreffenden Site einen Trojaner ein, denn diese "Drive-by"-Infektionen sind seit Jahren die gängigste Vertriebsmethode für Schadsoftware.

"Desaster für die Infrastruktur"

Um genau das zu bekämpfen, versuchen Sicherheitsexperten weltweit, verschlüsselte DNS-Abfragen (DNSSEC) als Standard durchzusetzen. Etwas verkürzt gesagt ist das eine durchgehende Verschlüsselung zwischen abfragendem PC und betreffendem DNS-Server. Das aber passt partout nicht mit einer DNS-Umleitung zusammen. Und: Es passt auch überhaupt nicht in die Pläne des Ministeriums für Heimatschutz (DHS). Dessen ehemaliger "Policy Chief", Stewart Baker, hatte seit 2010 wiederholt davor gewarnt, dass SOPA ein "Desaster für die Cyberinfrastruktur" werde.

NSA und Heimatschutz

Genau das hatte er vor einer Woche in noch schärferer Form wiederholt und vor allem die technischen Aspekte dabei hervorgehoben. Baker ist nicht irgendein ehemaliger Vizechef des US-Ministeriums für Heimatschutz. Davor war er "General Counsel of the National Security Agency", die für "Information Assurance", also Sicherheit der Information(-Infrastruktur) zuständig ist. Gemeinsam mit dem DHS sind das US-Verteidigungsministerium und der Supergeheimdienst NSA die treibenden Kräfte hinter der Einführung von DNSSEC in den USA.

Mächtige Gegner

Mittels DNS-Spoofing und verwandten Methoden, die allesamt in den Prozess der Zuordnung von IP-Adressen zu Domainnamen eingreifen, werden auch die PCs von US-Behörden und Militärs seit Jahren erfolgreich angegriffen. Diese mächtigen Gegner des Konvolutes SOPA/PIPA aus dem Regierungslager haben sich erst spät richtig ins Zeug gelegt - davor hatten sie der ohnehin schnell wachsenden Protestbewegung das Terrain überlassen.

Stewart Baker ist für die Anwaltskanzlei Steptoe & Johnson LLC tätig, gilt aber seit 15 Jahren als inoffizielles Sprachrohr der NSA. Wenn Baker sich öffentlich zu Themen der nationalen Sicherheit äußert, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das auch akkordiert ist.

Unwahrscheinliche Allianzen

Von der Electronic Frontier Foundation angefangen sind nicht nur alle "üblichen Verdächtigen" aus den digitalen Bürgerrechtsbewegungen dabei. Das Spektrum der Gegner reicht von Anonymous-Aktivisten über eine Hundertschaft von US-Rechtsprofessoren und fast der gesamten IT- und Internetindustrie bis in die Führungsebene des militärisch-elektronischen Komplexes der Vereinigten Staaten.

Murdoch, Twitter, Spott und Hohn

So richtig angeheizt wurde die Wut der Aktivisten durch Postings über den Twitter-Account @rupertmurdoch am Samstag und Sonntag. Direkt nach der SOPA-skeptischen Erklärung aus dem Weißen Haus gingen über dieses Konto zunehmend grantige Invektiven gegen die Regierung Obama und Google hinaus, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Der Tenor, ebenso salopp formuliert: Obama habe sich mit Dieben auf "ein Packl gehaut" und Google sei der Anführer der Piraten.

Seitdem wird das Twitter-Konto @rupertmurdoch im Sekundentakt mit Spott und Häme zugeschüttet, am Sonntag waren es mehrere hundert Postings pro Stunde. Ein Gutteil der User zeigte sich darüber verblüfft, dass diese exzentrisch anmutenden Aussendungen tatsächlich vom echten Rupert Murdoch stammen und nicht von einem Parodieaccount.

Die Reaktionen auf die Tweets des Medienzaren Murdoch reichen von verdutzt über erbost bis heftig amüsiert.

Unübliche Allianzen

Im Übrigen ist diese zeitweilige Allianz von Bürgerrechtsbewegungen, Industrie, Heimatschützern und National Security Agency bei weitem nicht so ungewöhnlich, wie es den Anschein hat. Im Verlauf der gut 15-jährigen Geschichte der Protestbewegungen im Internet hat es schon andere ebenso unerwartete Konstellationen gegeben.

Während der "Crypto Wars" ab Mitte der 90er Jahre waren dieselben Bürgerrechtsorganisationen, die heute gegen SOPA/PIPA Sturm laufen, eine temporäre Allianz mit Industrie und Banken (!) eingegangen. Gegen den erbitterten Widerstand von NSA und FBI wurde damals schlussendlich die Freigabe sicherer Verschlüsselungsprogramme durchgesetzt.