Erstellt am: 16. 1. 2012 - 00:07 Uhr
25 Siegerlieder
Zweihundertvierunddreißig CDs, vier Herren und achtundvierzig Stunden Zeit. Das ist der Rahmen für die Vorausscheidung zum Protestsongcontest. Das Prozedere ist ebenfalls schon eingeübt.
Tag 1
Radio FM4 Michael Fiedler
Am Samstag hören wir - Roman Freigaßner vom Rabenhof, Gerald Stocker vom Staatsballett, Plattenfirmenchef Mario Rossori und ich - uns jedes einzelne Lied an. Keines bis zum Ende, aber zumindest so lange, bis klar ist, ob es zum Thema passt, oder eben nicht. Dabei fallen schon jede Menge guter Lieder einfach und einstimmig raus, weil darin gegen nichts protestiert wird, sich der Protest nicht erschließt oder einfach zu platt ist. "Bochener Gutmenschenscheiß", sagt dann der gnadenlose Roman Freigaßner. Oder: "Textlich Mickymaus".
Und dann gibt es noch den Fall, dass wir mit der Gegnerschaft einfach nicht mitkönnen. "Kann man machen", sagt dann ein stoischer Stocker, "muss man aber nicht einschicken." Im Gegensatz zum Vorjahr hat wenigstens niemand ein Anti-Ausländerlied gebracht, aber manche Texte schließen sich selbst aus. Wenn etwa gefordert wird, jemandem Fäkalien in den Magen zu pumpen, können wir einstimmig nicht mehr mit. Um andere Lieder wird heftig gefochten, vor allem Roman Freigaßner, der den Tag hauptsächlich in der Küche verbringt und heuer erstmals einen eigenen Lautsprecher bekommen hat, wirft sich leidenschaftlich für Songs ins Zeug, die wir anderen eigentlich schon abgeschrieben haben. Gegen elf Uhr Nachts haben wir 57 Lieder, die jeweils von wenigstens zwei Juroren unterstützt werden. Der CD-Berg ist kleiner geworden, dafür aber auch steiler.
Tag 2
Für den Sonntag muss man sich noch jede Menge Kräfte aufsparen. Da gibt es ein paar Lieder, für die man am Vortag keine große Unterstützung gefunden hat, die aber unbedingt unter den 25 Besten sind; da gibt es ein paar, die eigentlich nichts dort verloren haben und der unberechenbare Roman Freigaßner hat vorgekocht und deshalb ausreichend Zeit, auch noch in den CDs zu wühlen, von denen wir uns am Vortag eigentlich schon verabschiedet haben.
Das Destillat wird also weiter reduziert, dabei achten wir darauf, dass möglichst viele Protestthemen und Musikrichtungen vorkommen. Und bei gleicher Qualifikation wird der Frauenstimme Vorzug gegeben. Zur Statistik: Von den 234 Einsendungen 190 Männer- und 44 Frauenstimmen, ein Verhältnis von etwa 80 : 20. 200 der KünstlerInnen/ Bands kommen aus Österreich, 33 aus Deutschland, ein Franzose, der allerdings in Wien lebt.
Nach einer endlosen Diskussion, bei der ganz zum Schluss sogar noch ein Griechenlandlied aus der Wertung fällt, weil da der Schuss Ironie oder der notwendige Blick ums Eck fehlt, steht die Liste. Rossori und Stocker schweigen zufrieden, Freigaßner reibt sich die Hände, weil er trotz heftigen Widerstandes wieder alle Songs reingebracht hat, die er drin haben wollte. Ich muss endlich diesen Machiavelli lesen.
Hier sind sie, die 25 besten Einsendungen zum Protestsongcontest 2012 in Reihenfolge der Ankunft bei uns:
Witwer - Man findet immer was, das stört.
Gegen das Dagegensein ist eigentlich blöd. Dem Witwer hört man dabei aber wirklich gerne zu.
Blandine Bonjour und Bernd Köhler - Les nouveaux Mousquetaires
Ein dynamisches Duo sucht dritten Musketier und d´Artagnon. Une pour tous!
H. C. Roth - Die Freiheit des Narren
Es gibt da eine Menge Leute, die können machen, was sie wollen, ohne bestraft zu werden. H. C. Roth nennt ihre Namen. Und es sind verdammt viele.
Heinz Marrant und Freunde - Asterix & Obelix
Früher war alles besser. In den 1980ern zum Beispiel. Oder 50 vor Christus.
Johanna Zeul - Ich will was Neues
Die Bachelor of Arts der Popakademie Baden-Württemberg und Trägerin des Udo Lindenberg Panikpreises 2011 probiert es mit Konsumkritik.
Rotzpipn & Das Simmeringer Faustwatschenorchester - Hymne 2.0
Die altgedienten Proloprotestler sind wieder mit dabei. Kinder und Betrunkene singen die Wahrheit.
Die Frauenquote: 10 von 25 Stimmen sind weiblich, das sind 40 Prozent.
Toothpix - Dear leaders
An die Führer dieser Welt. Wir brauchen euch eigentlich nicht mehr.
Wait for the B-side, it's better - Wie hat die Börse reagiert?
Ein 16-jähriges Paar, das sich und uns die Frage stellt, warum mittlerweile bei eigentlich allen Nachrichten zunächst die Börsenreaktion besprochen wird.
Wosisig - Erwin
Erwin? Welcher Erwin?
Blonder Engel - Und i woat
Ein Lied für die Bundesbahn. Das kommt an. Oder nicht?
Comedian Feminists - Cross boarder leasen
Zehn Frauen im Chor gegen eine der seltsamsten Finanzierungskonstruktionen überhaupt.
Half Past Whatever - Little peace song
Pathetischer Protestpop von den Brandwagen-ContestgewinnerInnen 2011.
Sieben der Formationen waren schon einmal unter den Top-25, drei davon sogar schon unter den besten zehn, zwei weitere haben schon einmal teilgenommen, unzählige WiederholungstäterInnen konnten sich heuer nicht durchsetzen.
Rafiq Varind, Johnny Draztic, Godsfather, Corsi, EDC, MTH, Mike4life, Rom_EMP, Lydiah - Tears of the sun (produced by Pianoholic)
Die ewig ungelösten Konflikte zwischen First und Third World auf Deutsch, Englisch, Französisch, Swahili und Zulu.
Eduardo Marmelado - 90 Jahre Burgenland
Für die, die es noch nicht wissen: Österreich ist aufgeteilt, und wer was werden will, muss sich bekennen. Momentan zeitlos.
Aleister Charme - Bitte Biene
Wie war das nochmal mit den Bienen? Wir schicken sie in den Krieg. Wenn es doch nur Killerdelphine wären.
There Is Something To Be Learned - Alles, alles
Kritik an der Widersprüchlichkeit der Weltverbesserer.
Bettina Schipp - Globaler Einkaufswagen
Straighte Konsumkritik.
Frederick - Bärenlied
Für die einen eine wunderschöne Metapher im Tierreich, für andere ein Lied für kleine Kinder. Was meint ihr?
Max Schabl - Ritalin
Das wird die Science Busters nicht freuen, aber mal echt: Da ist etwas dran.
hirschl - Wernhartsgrub
Die Ex-SchülerInnenband, die keine sein möchte, stellt sich gegen den Dorfverband. Die wollen dort raus. Wirklich.
Finn Moustache - Wer sich umdreht
Finn fragt sich, was aus der Revolution geworden ist. Wie oft müssen wir noch aufwachen?
Yasmo & Miss Lead - Fuck the academy
Die beiden sind wahrscheinlich eine Person, das macht den Anti-Oscar-Song aber nur noch bemerkenswerter. Ganz großes Rap-Kino.
Gregor Fröhlich und die Krisenstimmung - Rate me
Das alljährliche Nirvana-Cover. Gegen Tripple-A, die Leistungsgesellschaft und vielleicht auch gegen den Protestsongcontest. Nachtrag: Ich erfahre gerade, pauT hat seine Zündlerhände im Spiel.
Hans und Anggie - Heissgeliebtes Nordkorea
Ein Loblied auf den großen Führer. Es bleibt die Frage, wie ein Gott sterben kann.
Maria Stern - Occupy Wallstreet
Die Grande Dame des Protestsongcontestes ist zurück. Vergangenes Jahr ist ihr verdrehter Text nicht so gut angekommen, heuer probiert sie es klaren Worten gegen die angebliche Krise.
Die Top-25 treten am 27. Jänner ab 19:30 Uhr beim Halbfinale im Haus der Begegnung Rudolfsheim-Fünfhaus gegeneinander an. Der Eintritt ist frei.
Das Finale gibt es am 12. Februar um 20 Uhr im Wiener Rabenhof Theater, ab 19 Uhr überträgt Radio FM4 live von dort und per Stream gibt es Bild und Ton für alle, die es nicht nach Wien schaffen. Und wer an dem Abend keine Zeit hat: On demand gibt es das alles auch noch danach.