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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

14. 1. 2012 - 17:35

Drama-Queen

Was wurde eigentlich aus Sean Penn? Kleine Abrechnung eines ehemaligen Fans.

Man muss sich das einmal vorstellen. Es ist Viennale-Zeit, der Direktor heißt Werner Herzog, und er begrüßt gerade vor versammelten Journalisten einen guten Freund in Wien. Dieser hört auf den Namen Sean Penn und grinst schüchtern auf dem Podium über die Komplimente seines Regiekollegen.

Was sich wie ein feuchter Cineastentraum anhört, ereignete sich 1991 tatsächlich. In dem einzigen Jahr seiner Viennale-Direktorenschaft holt Herzog nicht nur John Carpenter zu einer Werkschau in die Donaumetropole. Die Kinolegende lädt auch den damaligen Regiedebütanten Sean Penn ein, um dessen grandiosen Debütstreifen „The Indian Runner“ abzufeiern.

Der Stargast ist Anfang der Neunziger als Schauspieler in aller Munde. Seine Spezialität: unkonventionelle Rollen, verkörpert durch fanatisches Method Acting. So obsessiv steigert sich Penn in meisterlichen Filmen wie „At Close Range“, „Colors“ oder „State Of Grace“ in seine gestrauchelten Figuren, dass die Presse ihn auch privat zum rebellischen Provokateur stilisiert.

Shanghai Surprise

Warner Bros

Hit Me, Baby!

Ganz falsch ist dieses Image natürlich nicht, wenn man bestimmte damalige Statements verfolgt und das zornverzerrte Gesicht von Sean Penn in Klatschgazetten sieht, in denen er immer wieder mit geballter Faust erscheint. Dabei haben die handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Paparazzi meist denselben Grund: Neugierige Fotografen stellen Penn und seiner Gattin, einer gewissen Madonna Luise Ciccione, ständig nach.

Die Ehe ist zur Zeit der Viennale-Pressekonferenz längst wieder geschieden, Fragen nach der Ex-Frau sind streng verpönt. Als ein Ö3-Societyreporter, der mittlerweile längst zur Fernsehinstitution aufgestiegen ist, dennoch das Wort „Madonna“ in die Runde wirft, sinkt die gute Laune oben am Podium.

Sean Penn, der ehemalige Surferdude, der zusammen mit seinem Kindergartenkumpel Charlie Sheen sämtliche Vorzüge einer Rock’n’Roll affinen Jugend auskostete, der außenseiterische Sturschädel und Hollywood-Hitzkopf, will 1991 nicht mehr über Pop und seine Promi-Ex reden. Er möchte als Künstler ernst genommen werden. Verprügelt wird der lästige Wiener Reporter aber nicht.

The Tree Of Life

Concorde

Outlaw-Balladen

Fast forward in die späten Neunziger- und frühen Nuller-Jahre. Mit packenden Filmen wie „Carlito’s Way“, „U-Turn“, „Thin Red Line“ oder „Mystic River“ zementiert Sean Penn als Darsteller genau jene Reputation, nach der er sich damals in Wien noch sehnte. Für letzteren Streifen erhält er den Oscar, vor seiner Rede herrscht Anspannung, weil er längst auch als linksliberaler Politaktivist in aller Munde ist.

Neben dem Schauspieler Penn hinterlässt er zunächst auch hinter der Kamera einen tiefen Eindruck. „The Indian Runner“, das ist ein eindringliches Drama über Moral, Verantwortung, Familiensinn und die Auflösung eben dieser Werte. Nach einem Song von Bruce Springsteen erzählt der Film von zwei grundverschiedenen Brüdern, die dennoch eine tiefe Zuneigung verbindet. Viggo Mortensen brilliert als finsterer Outlaw in seiner ersten großen Rolle.

The Indian Runner

Columbia

„The Crossing Guard“ erreicht nicht die Dichte des Vorgänger-Films, hat aber auch seine Momente. „The Pledge“ (Das Versprechen, 2001) transportiert einen Roman von Friedrich Dürrenmatt an die amerikanisch-kanadische Grenze. Ein pensionierter Cop, vom Penn-Buddy Jack Nicholson eindringlich gespielt, steigert sich in einen Sexualmord hinein, der bereits zu den Akten gelegt wurde. Wie auch Penns andere Regiearbeiten pendelt „The Pledge“ zwischen meditativer Langsamkeit und mitreißender Spannung.

Mit „Into The Wild“ (2007) portraitiert Sean Penn erneut einen obsessiven Außenseiter, der seinen Weg störrisch bis zum Untergang geht. Aber leider verrennt sich diesmal der Regisseur selbst. Denn im Grunde ist der 23-jährige Chris (Emile Hirsch) ein verbohrter und engstirniger Charakter, der seine Selbstgefälligkeit hinter einer grinsenden Bubenfassade versteckt. Der Film mystifiziert den keuschen Verweigerer aber zu einer jesushaften Märtyrerfigur und nimmt sein naives Weltbild ernst.

Into The Wild

tobis

Triefende Gesichter

In den Nullerjahren verändert sich auch etwas beim Schauspieler Sean Penn. Die kraftvolle Energie, mit der er früher faszinierte, sie flackert kaum mehr auf. Das krampfhaft verschachtelte Melodram „21 Grams“ ist der Beginn einer Phase, die mit Unterbrechungen bis zum heutigen Tag anhält. Penn taumelt „gesichtstriefend“ (Copyright Martin Blumenau), mit tranäugiger Leidensmiene durch seine Filme, trägt die Betroffenheit wie ein Schild vor sich her.

Milk“, Oliver Stones Biopic des homosexuellen Bürgerrechtlers Harvey M., das ihm 2009 seinen zweiten Darsteller-Oscar beschert, überrascht mit einer lockeren, ungezwungen wirkenden Performance. Aber spätestens in Terrence Malicks „The Tree Of Life“ verkörpert er die Daseinskrise eines depressiven Architekten dermaßen überdeutlich sensibel, dass seine greinenden Szenen wie Störfaktoren in dem Meisterwerk wirken.

The Tree Of Life

Concorde

Es mag ungerecht und oberflächlich sein, Sean Penns aktuellere Rollen, seine patzige Strenge in Interviews und den abgründig dämlichen „Into The Wild“ zu einem Gesamtbild zu vermischen. Aber wohl nicht nur für den Schreiber dieser Zeilen mutiert der bewunderte Hollywood-Outsider zu einer gewaltigen Nervensäge, der man filmisch wenn möglich aus dem Weg geht.

Bestes, weil extremstes Beispiel: Sean Penns neuester Film. Der mittlerweile 51-Jährige setzt in dem Indiedrama „Cheyenne – This Must Be The Place“ erneut auf seinen mittlerweile vertrauten Leidensblick. Diesmal aber mit einem Twist. Auf dem Kopf trägt Penn ein schwarz gefärbtes Frisuren-Vogelnest á la Robert Smith, die Augen sind mit Kajal unterstrichen. Willkommen im traurigen Leben des alternden Gruftrockers Cheyenne.

Mr. Existenzangst

In den 1980ern galt er als Superstar der Gothic-Szene, jetzt haust der Musiker zurückgezogen in einer Villa in Irland. Als er die Nachricht von seinem sterbenden Vater erhält, wagt der soziophobe Cheyenne dennoch eine Reise in seine Heimat USA. Dabei sieht man den elegischen Bildern dieses Films an, dass Regisseur Paolo Sorrentino die Roadmovies von Wim Wenders oder Jim Jarmusch schätzt oder auch manche Filme der Coen Brüder. „This Must Be The Place“ zeigt ein Amerika voller weiter Landschaften und bewusst skurriler Typen. Dazu ertönen Songs von Arcade Fire und New- Wave-Ikone David Byrne taucht sogar höchstpersönlich auf.

Die malerische Melancholie hat aber ein gehöriges Manko: die Hauptfigur und ihren Darsteller. Wie ein wisperndes, lispelndes Gespenst bewegt sich Sean Penn als Cheyenne durch die Kinoballade, die tragikomische Gequältheit ist irgendwann unerträglich anzuschauen. Tolle Bilder, schöne Musik, bitterböse Dialoge – das alles hilft nichts, weil Herr Penn die Existenzangst des Protagonisten zur Pose stilisiert. Wie wird er mit seinem nächsten Film diese konzentrierte Schwermut toppen können? Ich, für meinen Teil, fürchte mich davor.

Cheyenne - This Must Be The Place

Luna Film