Erstellt am: 15. 1. 2012 - 16:10 Uhr
Mein halbes Leben
"Es ist mein halbes Leben her, dass ich ein Mädchen getötet habe."
Bloomsbury
"Mein halbes Leben" von Darin Strauss ist, übersetzt von Johann Christoph Maass, bei Bloomsbury erschienen.
So beginnt Darin Strauss seinen bereits vierten Roman "Mein halbes Leben". Der New Yorker schrieb drei - ebenfalls auf wahren Begebenheiten basierende - Romane, bevor er etwas zum Thema machte, das sein Leben für immer veränderte: einen Verkehrsunfall. Der damals 18-jährige wurde zwar von jeder Schuld freigesprochen, dennoch lässt ihn nicht los, dass seine Mitschülerin Celine, als sie mit ihrem Fahrrad in das von ihm gesteuerte Auto prallt, stirbt.
Half My Life Ago, I Killed A Girl
"Wir wollten ein paar Runden Minigolf spielen. Es war Mai 1988. Der Fahrtwind kam durchs offene Fenster herein und spielte mit meinen Haaren im Nacken und hinter den Ohren. Bis zur Abschlussfeier war es noch einen Monat. Ich saß am Steuer. Weiter vorne, auf der rechten Seite, beugten sich ein paar winzige Radfahrer über die Lenker. Am Horizont die bescheidene Kulisse meiner Stadt, wie mit Wasserfarbe gemalt."
"Mein Halbes Leben" ist also mehr memoir als Roman, mehr ganz persönliches Essay. Dichte zweihundert Seiten, auf denen Darin Strauss beschreibt, wie dieser Unfall sein Leben veränderte: Das Sich-Schuldig-Fühlen, es beherrscht Darin, auch wenn er nichts tun hätte können, um den Unfall zu vermeiden.
strauss
"Ich hätte möglicherweise fünfzig Dinge tun können, um den Unfall zu verhindern. Das Auto in der Garage stehen lassen an jenem Tag. Bei Gelb eine Ampel überfahren, vor der ich gehalten hatte. Zum Strand gehen statt zum Minigolf. Allein sein, nicht mit Freunden sprechen."
Ein Mann kehrt sein Inneres nach außen.
"Mein halbes Leben" ist ein mutiges und niemals sentimentales Buch; auch ein sehr amerikanisches Buch, samt Therapieerfahrungen und der Erfahrung mit der US-Justiz. Die Familie des Opfers tröstet Darin erst, verklagt ihn dann jedoch. Es geht aber auch um das Automobil als Teil der Freiheit, die dem amerikanischen Traum innewohnt.
Die Story ist insgesamt "haunting", also eine, die einen packt und nicht mehr loslässt. Erst als Darin Strauss selbst Vater wurde, begann er all die Dinge rund um diesen tragischen Unfall - der vielleicht ein Suizid der 16-jährigen Schülerin war - aufzuschreiben. Darin hatte erst nicht gewusst, dass das Mädchen tot war. Man hatte ihm gesagt, sie läge im Koma. Seine Eltern schickten ihn ins Kino, um Zeit zu gewinnen für die Wahrheit.
"'Das Mädchen, das ich getötet habe.' Bis jetzt hatte ich nicht ruhig und direkt neben diesen harten Worten stehen können."
Weitere Bücher von Darin Strauss: "Chang And Egg", "The Real McCoy", "More Than It Hurts".
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Erst nachdem ein halbes Leben - also 18 Jahre - vergangen war, konnte Strauss die Ereignisse von damals, mit denen er nie abschließen konnte, niederschreiben. Für den deutschen Übersetzer war "Half My Life" kein leichtes Unterfangen. Jede Nuance der Worte musste genau erfasst werden. Es gelingt Johann C. Maass aber gut.
"Natürlich gab es an der Schule auch ein paar Todesfetischisten. Schüler, die ihre Ringbücher mit Kugelschreiber-Arabesken verzierten, und die offiziellen Logos von Black Sabbath oder Anthrax in Buchrücken kratzten. Sie kamen wieder und wieder angestolpert, bekundeten Beileid, wollten aber eigentlich Geschichten, Details, Details."