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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

14. 1. 2012 - 14:06

Tod und Teufel

Satanskult, Jungfrauenopfer, Massenmörder und Peter Cushing als Romanfigur. Willkommen zum Fest des Monsieur Orphée!

Bahnhofsliteratur: so nennt man die vielen reißerischen Krimis und Horrorromane gerne, die man sich einpackt, bevor man eine Reise tut. Weil sie zumeist unterhaltsam und anspruchslos sind.

Lange Zeit haben anspruchsvolle Literaten auf diese Schmökergattung herab gesehen: mittlerweile ist die Bahnhofsliteratur aber als eigene Kunstform etabliert. Wie man am Debütroman des Spaniers Javier Márquez Sánchez sieht: Schon am Cover von „Das Fest des Monsieur Orphée“ prangt eine schwarze Katze mit blutroten Augen; und auch die Geschichte selbst spart nicht mit Blut, Beuschel und anderem Grusel.

Satanische Kinder

Buchcover

Walde + Graf

Das Fest des Monsieur Orphée ist beim Verlag Walde+Graf erschienen und macht auch optisch was her.

Es war einmal ein idyllisches Dorf namens Longtown. Ein Ort für Familien, umgeben von Natur, weit weg von großen Städten mit all ihren Gefahren. Als „Scotland Yard“-Inspektor Carmichael in Longtown ankommt, gibt es das Dorf nicht mehr. Jedenfalls ist keiner der Einwohner mehr am Leben. Wie Carmichael und sein Assistent Harry Langdon schnell begreifen, haben die Kinder alle Erwachsenen ermordet und verstümmelt; und sich anschließend in der kleinen Kirche selbst gerichtet.

Währenddessen bereitet sich der erfolgreiche Fernsehschauspieler Peter Cushing auf einen Kinofilm vor: Für die noch unbekannten Hammer Studios soll er den Dr. Frankenstein spielen. Davor bittet ihn aber sein Regisseur Terrence Fisher noch, zum Thema Angst zu recherchieren. Denn nur so könnte man einen effektiven Horrorfilm drehen.

Kunst ist die Hölle

Irgendwann werden Cushing und Inspektor Carmichael aufeinander treffen. Zusammen geführt werden sie von einem legendären Film, der lange verschollen war und erst kürzlich wieder aufgetaucht ist; nahe des Unglücksdorfs Longtown. „Das Fest des Monsieur Orphée“ ist der Titel. Und es heißt, der Teufel selbst habe ihn gedreht.

Karloff erhob sich, indem er sich mit einer Hand auf den Stock und mit der anderen auf den Schreibtisch stützte. „Gentlemen, wenn Sie meinen Rat hören wollen, und er kommt aus tiefstem Herzen, so vergessen Sie diesen Film. Am besten Sie nehmen den Titel nicht einmal mehr in den Mund."

Poster

Hammer films

Das Jahr ist 1956 – und das soll man auch der Sprache von Javier Marquez Sanchez anmerken. Es geht um schmucke Frisuren und verschrobene Professoren, elektronische Medien sind ebenso Zukunftsmusik wie Mobiltelefone. Selbst das Kino gilt damals vielen als unstatthaft. Es gehört zu den schönsten und treffendsten Momenten dieses Buchs, wenn Peter Cushing seine Mitarbeit bei einem Horrorfilm rechtfertigen muss.

Peter & Boris & all ihre Freunde

Javier Sánchez Márquez, der bislang als Journalist gearbeitet und einige Sachbücher verfasst hat, gelingt mit „Das Fest des Monsieur Orphée“ ein außergewöhnlicher Zwitter-Roman: Der Handlungsbogen mit Inspektor Carmichael ist eindeutig an die Sherlock Holmes-Geschichten angelehnt, während die inner- und außerfilmischen Abenteuer von Peter Cushing angefüllt sind mit Detailbeschreibungen der damaligen Filmproduktionslandschaft.

Wieder fiel der Blick des Schauspielers auf die Filmplakate, Drehbücher und Setfotos von verschiedenen Hammer-Films-Produktionen, die in den vergangenen zwei Jahren in Mode gekommen waren. Mutanten aller Art, Meteoriten, die tödliche Viren von fernen Planeten auf die Erde brachten … Er hatte einen dieser Filme gesehen und ihn trotz des offensichtlich schmalen Budgets ganz akzeptabel gefunden. Vielleicht würde auch das „Frankenstein“-Remake gute Unterhaltung bieten. Peter musterte die beiden Männer, und ihm ging durch den Sinn, dass sie ihr Projekt jedenfalls in einer Weise ernst nahmen, wie er es bei einem Horrorfilm nicht erwartet hätte.

„Das Fest des Monsieur Orphée“ hat, wenn überhaupt, nur ein kleines Problem: Nämlich dass der Leser mit so viel Obskurem und Okkultem konfrontiert wird, dass davon selbst die Geschichte zeitweise verschüttet wird. Aber wenn man in einem Kapitel von satanischen Kulten und Jungfrauenopfern erfährt und im nächsten plötzlich Ur-Frankenstein Boris Karloff in einer Gastrolle auftritt, wen interessieren dann noch Logiklöcher oder dramaturgische Durststrecken?