Erstellt am: 13. 1. 2012 - 14:33 Uhr
Verbrecherfahndung auf Werbe-Bildschirmen
Die Fahndungsmeldungen werden auf 29 Werbe-Bildschirmen in sieben ÖBB-Bahnhöfen Wiens eingeblendet. Alle zwei Minuten erscheint ein Foto, dazu gibt es eine Personenbeschreibung und einen Hinweis auf Belohnung. Man wolle damit vorbeigehende Bürger erreichen, sagt Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl, der Fahndungsdruck solle erhöht werden: „Im Regelfall wird es hier um schwere Fälle gehen. Dort wo das öffentliche Interesse besonders groß ist, dass der- oder diejenige gefasst wird.“
Schlecht für das Sicherheitsgefühl
Digilight
Der Polizeichef kann sich auch eine Ausweitung des Projekts vorstellen, zum Beispiel auf die Werbescreens in U-Bahn-Zügen und -Stationen. Vorgespräche dazu laufen bereits. Keine gute Idee, findet Hans Zeger von der ARGE DATEN. Für ihn verringern Fahndungsfotos auf Werbescreens das Sicherheitsgefühl: „In einer Stadt, die ja eine der sichersten der Welt ist, wird ein Bild erzeugt, als ob an jeder Ecke Kriminelle lauern würden. Die Polizei erhöht das Unsicherheitsgefühl. Wir alle kennen die Western, in denen von einem gefährlichen Ort zuerst einmal die Wanted-Poster gezeigt werden. Wenn ich dauernd mit Bildern von Verbrechern konfrontiert werde, dann habe ich nicht das Gefühl, dass ich hier besonders sicher bin, sondern dass es sich hier um eine besonders gewalttätige Stadt handelt, in der man sich nur noch zu helfen weiß, indem man sogar Lifestyle- und Werbe-Plattformen zur Verbrecherjagd nützt.“
ARGE DATEN
Für problematisch hält der Datenschutzexperte auch die Dauer der Einblendung - sie ist mit 20 Sekunden pro Fahndungsfoto recht kurz. Zeger erwartet aufgrund der oberflächlichen Wahrnehmung negative Folgen. Denn es sei ein Unterschied, ob man ein Fahndungsposter lange betrachte, oder eine kurze Einblendung auf einem Bildschirm sehe: „Bestimmte markante Merkmale wie Hautfarbe, ein stärkerer Bart oder eine Brille werden dazu führen, dass Menschen glauben, jemanden zu erkennen, der auch dieses eine Merkmal hat. Es besteht die Gefahr, dass ein Denunziantentum gefördert wird. Dass Leute motiviert werden, andere anzuzeigen. Diese Personen müssen dann mit Anhaltungen und Befragungen rechnen.“
Vermischung von Opfern und Tätern
Auf den Bildschirmen sind nicht nur Bilder von Kriminellen, sondern auch von vermissten Personen zu sehen. Auch das kritisiert Hans Zeger: „Es werden Opfer und Täter vermischt. Es ist zu befürchten, dass von vielen Menschen vermisste Personen irrtümlich als kriminell eingestuft werden.“
Österreich ist in Europa der erste Staat, der Fahndungsfotos auf Werbe-Bildschirmen einblendet. Vergleichbare Systeme gibt es bisher nur in den USA. Hans Zeger: „Ich halte die ganze Entwicklung für äußerst problematisch. Zwischen Dessous-Werbung und Ferienflügen werden auch noch ein paar Verbrecher eingeblendet. Es vermischt sich dann eigentlich auch die Illusion der Werbung mit der Realität. Es entsteht daraus der Eindruck, dass die sehr ernste Sache der Kriminalitätsbekämpfung ein Spiel ist.“
Das Budget der Stadt Wien wird durch die elektronischen Fahndungsfotos nicht belastet: Digilight, Eigentümerfirma der Werbe-Bildschirme auf Bahnhöfen, stellt die Einblendungen gratis zur Verfügung. Das Projekt befindet sich in einer mehrmonatigen Probephase. Eine Ausweitung wird aber nicht nur für die Wiener U-Bahn, sondern auch auf Bahnhöfe in den übrigen Bundesländern angedacht.