Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Journal 2012. Medien & Empörung."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 1. 2012 - 18:59

Journal 2012. Medien & Empörung.

Wem nutzt das? Über Medien, die pausenlos reden, um über die eigentlichen Probleme nicht sprechen zu müssen.

Nach dem täglichen Journal 2011 wird 2012 spezialisierter. Es kommt ein Fußball-Journal '12, es wird ein Journal zum Afrika-Cup, eines zur Europameisterschaft, ein London-Olympics-Journal und anderes mehr geben.

Die "normalen" Einträge im Rahmen des Journal 2012 werden heuer unregelmäßig und aus aktuellen Anlässen passieren. Wie etwa heute zur medialen Causa Prima.

Siehe dazu auch Journal 2011. Eintrag 238. Ist ein potentieller Büroleiter der Journalismus-Beschädiger des Jahres?.

Relevante Links:

Die Stellungsnahme des ORF-Redakteursrats.

Die Reportage im Falter und der Kommentar im Falter.

Einer der vielen Gastkommentare im Standard, seltene Medienkritik ebendort.

Anton Pelinkas Text in der Zeit, Armin Wolfs Replik.

Weiterreichendes von Guensberg.

Der Videocast von FS Misik.

Wer eine interessante/ relevante Stimme vermisst -> bitte im Forum vermerken, wird dann vervollständigt.

1

In "Sich selbst wieder ernst nehmen – über marktkonforme Demokratie und andere Ungeheuerlichkeiten", dem aufwühlendsten und bislang wichtigsten Text des neuen Jahres, den Ingo Schulze Ende Februar in Dresden live aufführen wird (heute ist er im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung erschienen, print only, Web-VÖ gibt es aktuell keine) heißt es unter anderem: "Die einfachen Fragen 'Wem nutzt das?', 'Wer verdient daran?' sind unfein geworden. (...) Haben wir nicht alle dieselben Interessen? Wer daran zweifelt ist ein Klassenkämpfer." Zu den zwei einfachen Fragen gesellt sich später eine dritte: "Ist das gut für unser Gemeinwesen?".

Schulze meint damit eine Gesamtgesellschaft, die sich in Privatisierungs- und Konsumwahn und postdemokratische Strukturen ergeben hat; auch die Medien, "die pausenlos reden, um über die eigentlichen Probleme nicht sprechen zu müssen." Weil sie sich diese zentralen Fragen nicht mehr stellen. Schulze spricht von offener und verdeckter Zensur, nicht selten auch in Form von "Quote" und "Format".

2

Diese Praxis ist keine rein deutsche Angelegenheit und sie spiegelt sich vor allem bei wesentlichen Referenzthemen. Selbstverständlich auch in Österreich bei der medialen Causa Prima (Info-Links nebenan!).

Die ist zutiefst berichterstattenswert. Mit allen Facetten der Medien-Politisierung, der fahl-durchschaubaren Inszenierungen, der Aushöhlung eines Journalismus jenseits prekärer Arbeitsbedingungen uvam.
Stattdessen passiert ein konzertierter Hype, der nicht nur den konkreten Anlassfall auf eine Einzel-Person reduziert und sich in gekünstelter Aufgebrachtheit in Moral-Exkursen suhlt.
In aller Auffälligkeit.

Dabei wäre es einfach: Wem nutzt das? Wer verdient daran? Ist das gut für unser Gemeinwesen?

3

Ich habe gestern zwei solche Momente des von Schulze benannten Nichtsprechenmüssens erlebt, einen beim Nachschauen einer montäglichen TV-Sendung, einen auf Twitter.

In "Pro & Contra" auf Puls 4, im Rahmen einer bemerkenswert unaufgeregten Diskussion, in der sogar zwischen staatlich und öffentlich-rechtlich unterschieden wurde (eine journalistische Korrektheit, die vor allem Printmedien so gut wie nie in Anspruch nehmen) brachte der Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell (mit dem ich, für mich durchaus überraschend, in der Pelinka-Angelegenheit gar nicht konform gehen kann) einen wesentlichen Punkt in die Debatte ein: nämlich die Tatsache, dass die heftigsten Befeuerer des aktuellen Empörungs-Journalismus just in jenen Konzernen der Medien-Konkurrenz sitzen, die ihre Begehrlichkeiten auf eine Filetierung des ORF schon oft geäußert haben, und es auch aktuell freimütig in die jetzige Diskussion einbrachten.
Was wiederum keine unabhängige, sondern eine zutiefst interessens-gesteuerte Berichterstattung nach sich zieht. Das sind ganz simple Heuschrecken-Methoden: Wenn die Hausmedien bestimmter Konzerne ein großes Unternehmen krankschreiben, erhoffen sie dadurch einen Kurssturz - um es danach billiger einzukassieren.

4

Interessant war die Reaktion auf Hausjells Anmerkung: beredtes Schweigen einerseits und die heftige Entgegnung von Gernot Bauer, einem Profil-Innenpolitik-Redakteur andererseits: "Darum geht's nicht, das ist eine andere Diskussion!"
Hausjell: "Nein. Das ist genau die Diskussion darüber!"

Die danach natürlich wieder nicht geführt wurde.
Selbstverständlich hat Hausjell (in diesem Punkt) recht; und die Wunde ganz gezielt getroffen.

5

Medienberichterstattung in Österreich ist ungefähr so unabhängig und wertfrei wie die Presseabteilung der Glückspielindustrie. Es geht ausschließlich um gezieltes Lobbying im Interesse der Verlage samt dahinterstehenden Parteien, Organisationen, Banken, Konzernen. Und natürlich ist es für all diese Player von hohem Interesse, einem möglichst schwachen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegenüberzustehen. Der wird ja nicht dann verteidigt, wenn er - etwa per lobbyiertem Gesetz - beschädigt wird (da wird beredt geschwiegen oder mit den Verlegern mitgeheult), sondern erst dann, wenn diese "Verteidigung" selber zur Beschädigung beitragen kann.

Aus diesen Gründen werden jetzt die "heldenhafte Kollegen" im ORF, die sich gegen die unternehmensschädigende Besetzungspolitik wehren, zu Tode beschützt, mit groß kullernden Krokodilstränen.

Dabei wäre es, wie gesagt, ganz einfach: Wem nutzt das? Wer verdient daran? Ist das gut für unser Gemeinwesen?

6

Wie illegitim allein diese Fragestellung im österreichischen Journalismus bereits ist, zeigte sich kurz später. Ich hatte die beiden, meiner Ansicht nach, herausragenden Falter-Texte zum Thema, die tiefgehende Reportage von Klenk und Co, und den einzigen weiterdenkenden Medien-Kommentar von Thurnher vertwittert; mit dem Hinweis, dass der Falter das einzige (mir zu diesem Zeitpunkt) bekannte Printmedium wäre, dass sich eindeutig nicht in den angesprochenen Instrumentalisierungs-Dienst gestellt hatte.

Die Reaktionen waren stupend.
Kollegen von nahezu allen Arten von aktuellen Medien waren der Meinung, dass auch ihre Berichterstattung/Kommentierung völlig frei von Interessenslagen wäre. Kollegen aus Medien, die einzig Teilaspekte beackert hatten, waren ebenso eingeschnappt wie Kollegen vom faymannfreundlichen Boulevard, die sich in strategischen Verteidigungs-Arien ergangen hatten, explizit nicht angesprochene Fernsehleute zogen ebenso eine Schnute wie die üblichen Copypaste-Verdächtigen.
Alle, Journalisten-Kollegen, Umfeld-Intellektos und Normal-User, begnügten sich damit, an der Oberfläche zu reiben.

7

Am Bezeichnendsten war, dass sich so gut wie keiner (vor allem innerhalb von Österreich und außerhalb des ORF) mit der dringend nötigen Begleitbeobachtung der medienpolitischen Implikationen dieser Causa Prima auseinandersetzen konnte und wollte. Alle sahen sich, wie von Schulze angesprochen, wie vom Profil-Redakteur ausgesprochen, als nicht zuständig für diese "andere Diskussion".

Es gibt aber keine "andere", sondern nur eine Diskussion.

Wenn jetzt die Medien aus den zutiefst interessengetriebenen Verlagen den obviosen (und von einer gescheiterten Medienpolitik leichtfertig zugelassenen) Sündenfall Pelinka dazu instrumentalisieren, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (der ganz andere Probleme hat und vor ganz anderen Herausforderungen steht) in private Hände zu bekommen, dann wäre es die Pflicht tatsächlich unabhängig agierender Medien, das einzubeziehen. Und zwar ohne beim Hinweis auf diese Notwendigkeit (eigentlich: Selbstverständlichkeit) beleidigt zu sein.

8

Diese umfassende Berichterstattung ist allerdings in nur äußerst (geradezu erschreckend) geringem Masse passiert. Das habe ich vertwittert.
Und über diese Tatsache ließe sich trefflich beleidigt sein. Als Konsument.

Schuld, sagt Ingo Schulze in seinem großen Text, schuld sei auch das Gemeinwesen selber, "weil es sich nicht gegen seine Ausplünderung schützt, weil es nicht in der Lage ist, Vertreter zu wählen, die seine Interessen wahrnehmen." Auch dieser Satz trifft nicht nur auf die politische Repräsentanz zu. Dort wo politische Bildung versagt, versagt auch Medien-Bildung. Und tropft in den österreichischen Fatalismus, dass "eh alle" scheiße wären und lügen würden.

9

Denn für das Verständnis des größeren Bildes und der größeren Zusammenhänge braucht es nicht nur tatsächlich ihrer Sorgfaltspflicht nachkommende Medien, sondern auch Journalisten, die imstande sind, die Bedeutung dieser Zusammenhänge begreifen zu wollen und sich die/den grundlegenden Fragen zu stellen; und genauso ein Publikum, das mit dieser Information dann etwas anfängt, also eine kritische Zivilgesellschaft jenseits der nichts anderes als den Skandalisierungs-Journalismus imitierenden Wutdüringerei.

Ohne diese Zutaten wird jedoch jeder noch so bedeutsame Anlass zur Debatte durch verheuchelten Lobbyismus zerstört werden. Und ohne Journalisten, die "sich selbst wieder ernst nehmen" wird gar nix gehn.