Erstellt am: 12. 1. 2012 - 14:47 Uhr
Alles "Ankerkinder"?
Sie sind jung, alleine und seit gut einer Woche im Zentrum der Berichterstattung über Asyl: die Ankerkinder. Mit dieser Bezeichnung wird unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen grundsätzlich unterstellt, sie würden missbräuchlich vorgeschickt, um ganze Familien nachholen zu können. Angeblich würden Kinder mittlerweile sogar von Schleppern gezielt ausgesucht und alleine über die Grenze gebracht.
APA/Georg Hochmuth
Dagegen will sich das Innenministerium nun also wehren: In einem Hintergrundgespräch zum Thema Asyl letzte Woche zeigte sich Ministerin Johanna Mikl-Leitner besorgt wegen des hohen Anstiegs an unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Um 65 Prozent mehr als im Jahr davor sind es 2011 gewesen. Sie möchte deswegen die Regelung des Familiennachzugs überdenken.
Heinz Fronek von der Asylkoordination Österreich ist empört über die Diskussion, die hier losgetreten wurde: „Dieses Argument mit den Ankerkindern ist eine Frechheit, das kann man so sagen. Wenn man sich anschaut, wie hier agiert wird, dass hier Menschen, die alles verloren haben, zu Feindbildern und zu Bedrohungen stilisiert werden, dann muss man dem entschieden entgegentreten.“
Mehr Flüchtlinge aus Afghanistan
Asylkoordination
Generell sind die Asylanträge 2011 erstmals seit Jahren wieder gestiegen und damit auch jene von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Heinz Fronek meint, das hängt vor allem mit der Situation in den Herkunftsländern zusammen: „Gerade in Afghanistan, woher derzeit die meisten AsylwerberInnen nach Österreich kommen, ist die politische Situation hochproblematisch. Die Leute dort haben keine Perspektive, vor allem dann wenn sie bestimmten Minderheiten angehören, wie zum Beispiel den Hazara. Die haben auch einiges zu befürchten, wenn sie im Land bleiben.“ Im Jahr 2011 sind auch tatsächlich 70 Prozent aller unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aus Afghanistan gekommen.
Und wenn wenig Geld da sei, dann würde man eben versuchen einen loszuschicken, der es am ehesten nach Europa schafft. Das sei in vielen Fällen der älteste Sohn, erklärt Heinz Fronek. Er vergleicht das mit der Situation vor dem zweiten Weltkrieg, als jüdische Familien versuchten ihre Kinder ins Ausland zu schicken, um wenigstens sie vor den Nazis in Sicherheit zu bringen.
17 Familiennachzüge
Asylpolitik 2012
Was heuer von der österreichischen Asylpolitik zu erwarten ist.
Nun ist es also das Recht auf Familiennachzug (der Kernfamilie) von minderjährigen Flüchtlingen, das dem Innenministerium besonders große Sorgen macht. Angeblich sei das der einzige Zweck, weshalb Minderjährige auf die Flucht geschickt würden: „Vor allem bleibt das Innenministerium die Fakten zu diesen Behauptungen schuldig“, ärgert sich Heinz Fronek, „es ist nicht in der Lage, Zahlen zu nennen, wie viele Familien überhaupt nachkommen.“
Er hat in den letzten Tagen alle Betreuungseinrichtungen in Österreich durchgerufen, die unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgenommen haben, und nachgefragt, wie viele im letzten Jahr ihre Familie nachgeholt haben. „Und es waren genau 17 Jugendliche, die 2011 ihre Familien nachgeholt haben.“
Die endgültigen Asylzahlen des Innenministeriums stehen für 2011 zwar noch nicht fest, aber demgegenüber werden es ca. 1300 unbegleitete Minderjährige gewesen sein, die im letzten Jahr in Österreich um Asyl angesucht haben. „Da zeigt sich, wie wenige ihre Familie schlussendlich nachholen.“
Genügend Hindernisse
Denn auch ohne die Abschaffung des Familiennachzugs, wie das Innenministerin Johanna Mikl-Leitner angedacht hat, werden den AsylwerberInnen hier genügend Hindernisse in den Weg gelegt. Die Asylverfahren von Kindern und Jugendlichen werde beispielsweise nicht schneller abgewickelt als andere, obwohl Österreich dazu verpflichtet wäre, sagt Fronek: „Ebenso ist es falsch, was das Ministerium behauptet, dass Minderjährige eher die Chance haben, Asyl zu erhalten. Es ist genau umgekehrt, sie erhalten weniger oft Asyl.“
APA/Helmut Fohringer
Die meisten minderjährigen Flüchtlinge erhalten nur subsidiären Schutz. Das bedeutet wiederum, dass sie ein Jahr warten müssen, um überhaupt eine Familienzusammenführung beantragen zu können. In der Zwischenzeit könnten sie dann achtzehn werden und gar kein Recht mehr auf Familienzusammenführung haben.
Und dann ist dieser Familiennachzug auch noch mit enormen Kosten verbunden: Die österreichischen Behörden verlangen nämlich DNA-Analysen, um den Verwandtschaftsgrad feststellen zu können, und bei Geschwistern Altersfeststellungen, denn diese dürfen nur mitziehen, wenn sie noch minderjährig sind.
„Es wird diesen Menschen also wirklich sehr schwer gemacht, die Familie nachzuholen“, sagt Heinz Fronek. Von einem Ansturm oder gar einer Bedrohung zu sprechen ist daher schlichtweg falsch. „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge können hier sowieso schon schwer Fuß fassen“, meint Fronek. „Und so, wie das Innenministerium jetzt mit dieser Thematik umgeht, wird das Leben für diese jungen Menschen jetzt noch schwieriger.“