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Sammy Khamis

Are you serious...

29. 1. 2012 - 12:35

Reise ins Mittelalter?

Ein Besuch in Kairos Lepra-Kolonie Abu Zaabal. Einige Ängste, einige tausend Bewohner und ein Heiratsantrag.

"Sammy, are you free tomorrow?" "Sure, what is it?"- "We need a soundman for the film."- " I´m in, but I never took sound before…"- "Maalish, you´ll be fine, maalish".

Maalish ist das ägyptischste aller Worte. Es heißt ja, nein, vielleicht, mal schauen, gut, schlecht, Entschuldigung, Danke und vieles mehr. Es ist universeller als "Passt schon" im Bayrischen. Aber auch verhängnisvoller.

Park15

Mein obiges Maalish machte mich zum Soundman. Ich sitze also am folgenden Tag im Auto und verlasse Kairos Innenstadt um 5:30 morgens. Ruhe, frische Luft, kein Verkehr. Das Ziel: Der Drehort. Die Lepra-Kolonie Abu Zaabal gut 40 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt.

Lepra: schwammiges Halbwissen & gehöriger Respekt

Stichwort Lepra. Ein loses Wissen über Mittelalter und abfallende Gliedmaßen, eine verschwommene Erinnerung an Kinderwitze… Ansonsten? Ansteckend?! Tödlich?! Maalish. In diesem Zusammenhang ein nervöses "Schau ma mal".

Bevor mich mein Wecker in die leeren Straßen der Stadt wirft, hatte ich keine große Zeit mehr mich über Lepra zu informieren. Nur so viel: Sie ist eine der ältesten bekannten Krankheiten der Welt, erst seit 1982 heilbar und man weiß bis heute nicht genau, wie sie übertragen wird. Weltweit leiden zwei bis vier Millionen Menschen an den Folgen einer Erkrankung.

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Thriller? Mit einem Handschlag weggewischt

Was die Folgen von Lepra sind, sehe ich bei der Ankunft in Abu Zaabal: Menschen mit faltigen Gesichtern, ohne Nase, ohne Augen, mit verkrüppelten, teils zurückgebildeten Gliedmaßen, mit fehlenden Fingern, amputierten Beinen usw. Das ist aber nur ein Teil der Geschichte der Krankheit Lepra: Die Auswirkung des Bakteriums auf den menschlichen Körper.

Der andere ist: Die Leprösen (wie Leprakranke genannt werden) leben kilometerweit außerhalb der Stadt in einer Kolonie. Diese wurde von den englischen Besatzungsmächten gebaut. Zu jener Zeit lag Abu Zaabal weit abseits der urbanen Gebiete. Die deutsche Übersetzung von Lepra ist Aussatz, weil spätestens seit dem Mittelalter Leprakranke außerhalb der Stadtmauern untergebracht werden mussten.

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Diesen (europäischen) Umgang wandte die imperiale Verwaltung auch in Ägypten an. Abu Zaabal ist heute die größte Leprakolonie im arabischen Raum. Anfangs war es stark verstörend mit Menschen, die auffallende Ähnlichkeiten zu Michael Jackson in Thriller hatten, einen ungezwungenen Umgang zu finden. Mit jedem Händeschütteln und jedem Gespräch fallen die äußeren "Defizite" irgendwie weg. Erste Witze fallen über den Deutschen ohne Arabisch, die zwei Frauen (die beiden Kamerafrauen) und den komischen Hammer. Der Hammer, das ist mein Mikrofon. Das zeichnete viel Stille auf. Und das permanente Klacken der Dominosteine im Café des Hauptkomplexes. Das Café ist der wichtigste Treffpunkt innerhalb der Kolonie. Und innerhalb ganz Ägyptens.

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Kolonie: autark und abgeschlossen?

Das Gelände von Abu Zaabal gleicht wirklich einer Kolonie. Sie kann komplett autark existieren. Es gibt Landwirtschaft, ein Krankenhaus, eine Bäckerei, drei Wohnkomplexe und ein Gefängnis (mit zwei Insassen).

Abgeschlossen ist die Kolonie dennoch nicht. Sie lebt in enger Interaktion mit dem Dorf Abdel Moneim Riad nur einen Kilometer von Abu Zaabal entfernt. Viele Bewohner des Dorfes sind ehemalige Patienten der Kolonie. Viele Familien leben hier. Ehen zwischen Leprösen und "Gesunden" sind ganz normal. Lepra ist nicht vererblich. Krankheit und Gesundheit. Defizit und Normalität werden neu ausgehandelt. Unbewusst. Ohne Worte. Und auf einmal ist das ägyptische Leben wieder ganz normal: Man spricht über die Kinder, die Familie und dass Lebensmittel immer teurer werden. Maalish. Was will man machen?

Aber Exklusion zeigt sich auch im Mikrokosmos Kolonie: Eine Bewohnerin wurde von ihrer Familie in der Kolonie "ausgesetzt" und anschließend für tot erklärt. In Abu Zaabal zeigen sich die gleichen Muster wie in der ägyptischen Gesellschaft. Nur in klein und noch drastischer. Einige Bewohner (wie Mona) müssen von weniger als 10 Euro im Monat leben. Positiv ist jedoch die medizinische Versorgung. Medikamente und Behandlung sind kostenlos. Darum kümmern sich vor allem die Caritas und die japanische Sasakawa Foundation. Eigentlich ist der ägyptische Staat Träger des Komplexes. Aber dieser hat die Einrichtung über Jahrzehnte verwahrlosen lassen. Bis sich in den 1980er Jahren italienische Schwestern des Malteser Ordens Abu Zaabal angenommen haben. Maalish. Einer muss es ja machen.

Von der Familie ausgestoßen muss Mona von 10€ im Monat überleben.

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29. Jänner: Welt-Lepra-Tag

Am 29. Jänner ist Welt- Lepra- Tag. Weltweit infizieren sich jährlich circa 200.000 Menschen mit Lepra. Tückisch ist, dass die Krankheit eine Inkubationszeit von bis 40 Jahren haben kann. Bis die Krankheit ausbricht, ist man aber Überträger. Indien und Brasilien weisen die meisten Fälle an Erkrankungen auf. Die Krankheit hat unzählige Spielarten; Verlust von Augenlicht, bakterieller Befall der Gelenke, Befall des vegetativen Nervensystems usw. Gelenke verhärten sich, die Nerven sterben ab. Lepra bleibt neben allen medizinischen Erklärungen eine soziale Krankheit. Körperlich gesunde Menschen laufen nicht Gefahr, dass die Lepra bei ihnen ausbricht. Unterernährte und schwache Menschen hingegen schon. Die Verbreitung der Krankheit ist eng an soziale Benachteiligung gekoppelt.

Sagt sie ja? Sie sagt: Maalish

In Abu Zaabal leben vor allem geheilte Lepröse. Sie sind keine Überträger der Krankheit, leben mit gesunden Kindern in der Kolonie oder in direkter Nähe.

Abdul. Er macht in seiner Werkstatt Besen. Mit insgesamt 3 Fingern

Yolande Knell

Der Besenbinder Abdul hat die Ausgrenzung, wie die meisten Leprösen, am eigenen Leib kennengelernt. Heute lebt er nicht mehr in der Kolonie, sondern im Dorf. Mit zwei Frauen. Das sagt er mit einem Augenzwinkern. Und dann zu unserer Kamerafrau: "Ich habe noch Platz für eine dritte". Maalish. Nichts für ungut.