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Irmi Wutscher

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11. 1. 2012 - 16:30

"Sozial selektiver als Studiengebühren"

Der Bildungswissenschafter Stefan Thomas Hopmann über die Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP) an Österreichs Universitäten.

Stefan Hopmann

Stefan Hopmann

Stefan Hopmann ist Professer für Schul- und Bildungsforschung am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien.

In etwas weniger als drei Wochen ist an Österreichs Universitäten Prüfungszeit. Und für viele Erstsemestrige auch das Stichdatum, an dem sie bestimmte Prüfungen bestehen müssen, um überhaupt weiterstudieren zu können.

Mit diesem Semester ist an Österreichs Universitäten die so genannte STEOP, die neue Studieneingangs- und Orientierungsphase in Kraft getreten. Das heißt, dass man Lehrveranstaltungen, die dieser Eingangsphase zugeordnet sind, im ersten Semester absolvieren muss, sonst kann man nicht weiterstudieren. Wie viele und wie große Prüfungen das sind, hängt von den einzelnen Universitäten ab. Die STEOP-Phase kann einen Umfang von vier bis 30 ECTS Punkte haben. Für die Prüfungen gibt es an den meisten Universitäten nur mehr zwei anstatt drei Antritte, fällt man zweimal durch, ist man für das angefangene Studium lebenslang gesperrt. Fällt man einmal durch und muss auf weitere Prüfungstermine warten, kann man keine Lehrveranstaltungen aus späteren Semestern vorziehen.

Eignungstest an der Medizin-Uni

APA/GEORG HOCHMUTH

Studierende bei der Eingangsprüfung zur Zulassung zum Medizinstudium.

Stefan Thomas Hopmann, Bildungswissenschaftler und Kritiker der STEOP, spricht im Interview über seine Einschätzung dieser neuen Orientierungsphase:

Wie ist die STEOP pädagogisch oder didaktisch zu bewerten? Ist das eine Möglichkeit, jemandem gut etwas beizubringen oder eher nicht?

Stefan Thomas Hopmann: Eher nicht. Offene oder prüfungsimmanente Formen mit fortlaufenden Möglichkeiten, sich in Diskussionen oder Teilleistungen zu bewähren, sind sicherlich didakitsch sinnvoller. Das Problem sind einfach die Massenuniversitäten mit unkontrolliertem Zugang.

Das heißt, das kann auch als eine Form der Zugangsbeschränkung durch die Hintertür gesehen werden?

Ich würde sagen: Die Erwartung, dass dem so sei, ist damit verbunden. Wir wollen das aber auf keinen Fall als Rausprüfung verwenden. Das Problem ist, dass in Massenfächern viel zu viele Studierende auf viel zu wenig Lehrende treffen, was dann einfach die Möglichkeiten begrenzt. Wenn wir statt solcher Massenvorlesungen in Modulprüfungen Seminare anbieten wollten, dann wären unsere Kapazitäten gesprengt und wir könnten nur einen kleinen Teil unserer Studenten versorgen. Da wird für uns eine Zwickmühle aufgebaut, die uns dazu zwingt entweder die Leute rauszuprüfen (dann reichen unserer Ressourcen für ein einigermaßen vernünftiges Studienprogramm), oder die Leute drin zu lassen und damit zu leben, dass wir im weitere Verlauf völlig überlaufen sind und unseren Unterrichts- und Betreuungspflichten nicht andeutungsweise nachkommen können. Da wird der Schwarze Peter an die Lehrenden weitergereicht, für eine Unipolitik, die sich nicht entscheiden kann.

Und für welche Version hat sich ihr Institut oder haben Sie sich entschieden?

Wir können nicht anders, wir sind rechtlich gezwungen worden, diese Modulprüfungen zu machen. Wir haben uns dagegen gewehrt und sind von der Uni und den Juristen überstimmt worden und haben den Bescheid bekommen: Ihr macht das so oder gar nicht. Wir versuchen das so fair wie möglich zu gestalten, aber das ist, wenn man so will, ein Leiden auf hohem Niveau. Wir können nicht verhindern, dass so ein System zu blödsinnigen Nebenfolgen führt, sowohl was das Lernen als auch die Prüfungsergebnisse betrifft.

Studierende, die während des Semesters bereits so eine Modulprüfung gemacht hatten, haben sie als "Fahrschulprüfstil" beschrieben: Multiple Choice Tests, die sehr ins Detail gehen. Das ist doch eigentlich nicht das, was universitäres Lernen sein soll.

Nein, überhaupt nicht. Das hat mir akademischem Lernen nichts zu tun, das ja immerhin so etwas wie die Anstrengung der Begriffe Gedankenaustausch, Diskussion und Kontroverse beinhaltet. Multiple Choice ergibt sich einfach aus der Masse der Leute. Ich habe einmal versucht eine solche Großveranstaltung mit offenen Fragen zu bestreiten. Irgendwo ab Nummer 150 kann man diese Antworten nicht mehr fair lesen, da wird es dann zur Lotterie, was man drunter schreibt. Dann kann man versuchen Multiple Choice-Fragen zu stellen, die nicht nur nach Details fragen. Aber das macht es schwierig, klare Antwortalternativen anzubieten. Dieses ganze Verfahren zwingt dazu, Wissenschaft wie eine Art Baukasten zu betrachten.

In einem Interview mit dem Standard haben Sie auch gesagt, Sie genieren sich für diese Art des Lehrens…

Ja. Ich hab mir überlegt das hin zu schmeißen und zu sagen: Ich mache einfach keine Einführungsvorlesungen mehr! Es entspricht nicht dem Sinn eines Studiums, so zu tun, als ginge es nur darum, einen Haufen Wissen runter zu schlucken und im richtigen Moment wieder herzugeben. Das widerspricht der pädagogischen Forschung, das widerspricht der Hochschulforschung, das widerspricht allem, was wir in knapp 2000 Jahren Didaktik gelernt haben. Es ist einfach verlogen und hat nichts mit freiem Hochschulzugang zu tun. Das einzige was man macht, ist den Leuten zu sagen: Ihr dürft zwar frei reinkommen, aber das ist eine Drehtür! Und mindestens jeden zweiten von euch wollen wir gerne wieder rausschmeißen! Wir auf der Bildungswissenschaft müssten ungefähr 70 Prozent rausschmeißen, damit wir auf eine Studierendenzahlt kommen, die wir bewältigen können.

Ein weiterer Kritikpunkt an der STEOP ist, dass man gar nicht mehr die Zeit hat, sich daran zu gewöhnen, wie man an einer Universität zu arbeiten hat.

Ja, klar. Das merken wir auch. Wenn ich mit akademischen Umgangsformen sowieso vertraut bin oder jemanden habe, der mir dabei helfen kann, damit vertraut zu werden, dann ist das nicht so schwierig. Aber für die allermeisten Studierenden ist die Uni eine gewaltige Umstellung. Und diese gewaltige Umstellung braucht Zeit, wenn sie sinnvoll stattfinden soll. Mit solchen Formaten wie der STEOP züchten wir eine Studentensorte, die wir ja eigentlich gar nicht haben wollen. Die Leute, die punktgenau auswendig lernen, kommen gut durch, und die Leute, die tatsächlich den eigenen Verstand bemühen, versuchen Dinge zu verstehen oder kontrovers zu diskutieren, die kommen in Notsituationen. Es ist weder sozial noch akademisch vernünftig, was hier praktiziert wird. Das ist auch ein schichtspezifisches Problem, wo Menschen mit AkademikerInnen als Eltern im Vorteil sind. Die haben jemanden, den sie fragen können. Und die haben Eltern, die üblicherweise geduldiger mit Schwierigkeiten umgehen am Anfang, weil die wissen, das war bei uns auch nicht anders. Also das ist ganz klar sozial selektiver als jede Form von Studiengebühren!

Wenn man an der STEOP scheitert, wird man ja auch lebenslänglich für das Studium, manchmal sogar für mehrere Studien gesperrt. Was will man damit erreichen?

Was man erreichen will, ist, diese Fiktion vom freien Hochschulzugang aufrecht zu erhalten: Alle dürfen kommen, nur wir schmeißen sie wieder raus! Außerdem stimmt das ja so gar nicht, weil wer sich das leisten kann, der kann ja in jedes beliebige andere Land gehen und das Studium fortsetzen. Es trifft wieder nur die Leute, die keine Ressourcen haben, dem Schwachsinn zu entkommen. Der einzelne Student soll schuld daran sein, dass er sein Studium nicht absolvieren kann, weil er bei irgendeiner mehr oder weniger intelligenten, einzelnen Prüfung gescheitert ist. Es gibt ja auch kein Fahrverbot fürs ganze Leben, wenn man einmal durch die Fahrprüfung gefallen ist! Solche Erfindungen sind nur die Folge einer verfehlten Politik.

Was wäre für Sie eine Alternative? Wie hätten Sie das gerne anders gelöst?

Eine Studienorientierungsphase macht Sinn, wenn sie inhaltlich ist, wenn sie mir zeigt, wovon das Fach handelt, wenn sie mir die Möglichkeit gibt, zu verstehen und zu lernen: Was machen die da eigentlich? Ist das das Richtige für mich? Das haben wir früher mit den prüfungsimmanenten Veranstaltungen ganz gut hingekriegt. Da hatten wir zwar auch einen Abgang, aber das waren hauptsächlich Leute, die irgendwo in den ersten zwei Semestern gemerkt haben, dass sie etwas ganz anderes erwartet hatten. Die entscheidenden Sache ist eine ganz andere und das ist klar eine Sache der Politik: Entweder ich will diese Studierenden, dann muss ich das auch ausfinanzieren. Oder ich will sie nicht, dann muss ich Studienplatzbegrenzungen einführen. Einfach jetzt die Studierenden haftbar zu machen für die Unfähigkeit der Politik, das ist der eigentliche Betrug, der da stattfindet.