Erstellt am: 11. 1. 2012 - 12:11 Uhr
Die dunkle Wohnung
Im dunklen Türrahmen steht der Vermieter. Er will die Miete haben. Für die dunkelste Wohnung, in der ich je gewohnt habe. Sie befindet sich im im schönen 7. Wiener Gemeindebezirk, in einem Haus, das gebaut wurde, als Franz Josef noch ein junger Bursche war. Früher war meine Wohnung ein Lager- oder Portierraum. Das letzte Mal, dass die Sonne in mein Zimmer durchgedrungen ist, war im Jahr 1879. Warum ich mir da so sicher bin? Damals wurde das Gebäude nebenan gebaut, das sich 1,80 Meter von meinem Fenster entfernt befindet.
Unser Vermieter, er kommt aus Bangladesh, hat eine Pizzeria im gleichen Haus. Wenn ihr euch eine Pizzeria vorstellt, dann glaubt ihr sicher, dass aus ihr eine saftiger, gesunder Duft strömt. Teig, Tomaten und Käse. So riecht es, wenn ihr das Gesicht der Pizzeria zu sehen bekommt. Unsere Wohnung befindet sich aber beim Arsch der Pizzeria und so riecht sie auch.
pink_fish13 / flickr.com
Der Vermieter steht also vor der Tür. "Geld schuldest viel. Stoyan. Euro. Große Schulden." Ich versuche, ihm zu erklären, dass ich alles immer pünktlich gezahlt habe. Der Vermieter schaut mich misstrauisch an. Ich vermute, dass er mich nicht versteht und wiederhole alles nochmals langsam und betone alle Silben deutlich. Ich weiß nicht warum, aber die Leute halten sich für sehr verständlich und erfüllt mit Autorität wenn sie so sprechen. In Wirklichkeit sind sie aber nur lächerlich.
Während ich mich so blamiere, verstehe ich, was er mir sagen will. Er hat meinen Mitbewohner erwähnt. Stoyan. Stoyan studiert am Wiener Konservatorium. Außerdem arbeitet er im Pizzeria des Vermieters. Er bringt die Pizzen mit seinem grünen „Peugeot 106“ zu den Leuten nach Hause. Diese Wohnung hat er gefunden und ich gab ihm die Miete immer pünktlich in die Hand, damit er sie seinen Chef übergibt.
Vor zehn Tagen verschwand Stoyan. Der offizielle Grund war, das sein Auto kaputt ist und er nach Bulgarien muss, um es reparieren zu lassen. Erst jetzt begreife ich, dass er seine ganze Sachen mitgenommen hat. Alles, was er da gelassen hat, ist ein Stapel mit Parkstrafen.Auch erst jetzt verstehe ich, dass ich nie eine Bestätigung bekommen habe, dass er die Miete tatsächlich bezahlt hat.
Am Anfang des Monats kam er immer mit einem neuen Pullover oder er stopfte den Kühlschrank mit teuren Lebensmitteln voll. Manchmal kaufte er sogar Sushi für uns beide. Und das immer am Anfang des Monats, unmittelbar nachdem ich ihm das Geld für die Miete übergeben habe.
Das kann ich meinem Vermieter jetzt nicht erklären. Er will nicht nur meine Miete, er will auch die von Stoyan. Jetzt habe ich die Schuldenkrise in Europa begriffen. Ich habe alles immer pünktlich bezahlt, aber bin am Ende Geld schuldig. Und das nicht nur für mich sondern, auch für den, der bisher mit meinem Geld schön gelebt hat. Die Länder außerhalb Europas müssen Verständnis zeigen, um die Schuldenkrise zu überwinden. China macht mit. Bangladesh soll auch seinen Beitrag für die Lösung des Problem leisten!