Erstellt am: 11. 1. 2012 - 12:17 Uhr
Purer Enthusiasmus
"Flying high at the speed of sound on the night bus heading out, I´ll call you now, we´ll meet on the streets and we´ll run around, leave everyone behind." ("Hit The Ground (Superman)", The Big Pink, 2012)
4AD
Milo Cordell und Robbie Furze, 2009
Irgendwann im Jänner 2009: Zwei grummelige - mehr oder weniger - junge Männer. Der eine mit dickem Schal und Wollmütze, der andere mit bleicher Haut und tiefen Schatten unter den Augen. Milo Cordell und Robbie Furze aus London vor ihrem Konzert in der Wiener Arena. "A Brief History Of Love", das Debutalbum war gerade erschienen, und Robbie und Milo sprechen mit mehr oder weniger Energie darüber. Über "A Brief History Of Love" und über sich selbst - das Merok Plattenlabel, das Milo betreibt, und das Bands wie die Klaxons oder Crystal Castles entdeckte, bevor die breitere Pop-Öffentlichkeit das tat.
Es war keine leichte Zeit: Milo Cordells älterer Halbbruder Tarka Cordell hatte erst Monate davor Selbstmord begangen und Milo hatte dem tragischen Szene-Figur-Bruder (ex-Boyfriend von Kate Moss) den Song "At War With The Sun" gewidmet. Über das Stück reden wollte er damals nicht wirklich, auch nicht über den Vater, den legendären Musikproduzenten Denny Cordell, auch wenn Milos Augen zu leuchten begannen, als der Name seines Vaters fiel, jener Mann, der wie ein Rockstar im Chateau Marmont Hotel in Los Angeles lebte, bevor er Pferde züchtender Farmer in Irland wurde. Wenn Milo in den Sommerferien nicht bei seiner Mutter - einer Britin aus altem Adelsgeschlecht - war, dann verbrachte er Zeit auf der Farm seines Vaters, und da kamen schon mal die Rolling Stones vorbei. Als Kind wusste Milo nicht, dass das die Stones waren, aber bereits damals holte er erstmals eine Platte aus dem Regal seines Vaters: "The Big Pink" von The Band, die auch mal die Begleitgruppe von Bob Dylan waren. Das Album war 1968 erschienen und ist ein legendäres Album der Popgeschichte.
4AD
The Road Less Travelled
Etwas mehr als zwei Jahre nach dem Debutalbum "A Brief History Of Love", sind The Big Pink kaum wiederzuerkennen. Ein erfrischt wirkender Robbie Furze analysiert Album, Band und sich selbst, am besten in einem Satz, soviel gibt es da zu erzählen. Dass die beiden jetzt viel happier sind als in der ersten Runde, kann Robbie Furze nicht oft genug betonen, und dass ihm das Junkie-Image der Band mehr als auf de Nerven geht, waren The Big Pink doch immer wieder als druggier Jesus & Mary Chain bezeichnet worden.
Und dann war da noch dieser Ohrwurm namens "Dominos", dem kaum jemand zu entkommen schien und der schließlich gern in der Kategorie nervtötend landete: These girls they fall like dominos, dominos, dominos.
Ansonsten war der erste Longplayer von The Big Pink sehr persönlich, etwa der Song für den verstorbenen Bruder. Zu persönlich, meint Robbie Furze heute. Und so holen The Big Pink mit dem neuen Album das nach, was sie im Nachhinein gern als erstes Album gehabt hätten. Our first album should have been our second album, meint Robbie Furze doch glatt, and this album should have been our first. Aber dazu ist es nun zu spät. Macht nichts. Was Robbie sagen will: Beim ersten Date sollte man noch nicht alles erzählen. Das tut man erst später in der Beziehung. Aber was getan ist, ist eben nun mal getan, da hilft alles Grübeln nichts mehr. Da hilft nur eines: ein Pop-Album machen. Und das haben The Big Pink mit "Future This" getan. Und was für ein Popalbum, samt dem Optimismus zugeneigtem Titel. "Stay Gold", der Opener gibt die Stimmung gleich vor, und es folgt das geniale "Hit The Ground (Superman)", das von Laurie Andersons halb gesungenem, halb gesprochenem 1981er Hit "O Superman" inspiriert ist und auch ein Sample daraus verwendet.
Robbie Furze:
"When we were on tour we were just like, 'O man, I just heard this really cool song: "O Superman" by Laurie Anderson. Just take the beginning of that and we´ll have a great track!' That conversation went on about two years ago. Milo collected loads of stuff, I collected loads of stuff and we came to the studio with a big bag of ideas."
4AD
"Future This" von The Big Pink ist bei 4AD Records erschienen. Der Albumtitel kommt vom Slogan einer Skateboard-Company in den 1980er Jahren.
Robbie Furze und Milo Cordell können also noch immer absolute Ohrwürmer schreiben, wie etwa diesen Laurie Anderson inspirierten Superman. Pure joie de vivre herrscht auf ihrem neuen Album vor, ein Enthusiasmus, der herrlich uncool und altmodisch ist. Nein, der neue Longplayer von Milo und Robbie ist nicht Avantgarde, nicht bahnbrechend. Das mag für Merok-Afficionados vielleicht etwas enttäuschend sein, für Fans einfach guter Popmusik aber ist es eine Freude. Und wer hat wieder mal geholfen, dass sich jemand traut "pop" zu sein? Richtig, es handelt sich um Paul Epworth, jenen britischen Producer, der zur Zeit wohl nichts falsch machen kann. Epworth, mit seiner Arbeit für Maximo Park, den Futureheads oder Bloc Party bekannt geworden, ist einer der bedeutendsten englischen Produzenten der Gegenwart, wenn nicht der wichtigste überhaupt. Seine Philosophie maximalism is the new minimalism ging nicht nur am aktuellen Album von Florence & The Machine auf, sondern tut es auch bei "Future This" von The Big Pink. Und so kommt der einst minimalistische Superman aus der Welt der Laurie Anderson bei The Big Pink maximalistisch daher. Aber "fat", wie Robbie Furze sagt, soll trotzdem keines an den Songs sein, sie müssen trotz allem "lean" sein.
Außerdem half Paul Epworth Robbie Furze dabei, den Sänger in sich zu finden. Furze, ein Mann mit Noise-Background - und wir sprechen hier von richtigem Noise a la Merzbow - war nicht gerade ein technisch perfekter Sänger. Immer mehr auf die Gitarre konzentriert, wusste Robbie Furze aber doch irgendwie, dass das was Sam Cooke so großartig tat, auch in ihm schlummern musste. Nein, keine Sorge, Robbie ist weit entfernt ein überheblicher Typ zu sein, er ist ein Träumer, ein riesengroßer nochdazu. "Sitting On The Dock Of The Bay", ein Lieblingslied aus seiner Kindheit; singen können wie Otis Redding , unerreichbar für Robbie, der mit zwanzig Jahren begann, Gesangsstunden zu nehmen, und dem man dabei sagte, dass er alles falsch macht.
Die Tiefe eines Soulsängers wie Sam Cooke erreichen zu können, war Robbies großes, träumerisches Ziel. Darauf kam aber Paul Epworth wieder zurück. Mr Epworth pushte Robbie Furze so sehr, dass dieser fast verzweifelte und bei den Albumaufnahmen zeitweise die Stimme verlor. Überhaupt wandte Paul Epworth fast schon terrorartige Taktiken an, um das rauszuholen aus The Big Pink, was er ihnen sah - die Popband. So trieb er etwa, sprichwörtlich, einen Keil zwischen Robbie und Milo, indem er sie im Studio oft trennte. Fast begannen die beiden ihn zu hassen. Heute kann Robbie Furze über die Studiozeit mit Paul Epworth selbstverständlich wieder lachen, und der letzte Song am Album, "77", zeigt tatsächllich den Soulman in Robbie Furze.
Robbie Furze:
"What Paul Epworth does is he makes very successful pop music, but with an underlying kind of esoteric weird pop element. He knows more weird abstract music than anyone I´ve ever met but he is writing and producing amazing pop songs, so there is always an underbelly of some abstract, I don´t know, weird noise record from Germany or something. And that´s what in essence the Big Pink are, we write odd pop songs."
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