Erstellt am: 12. 2. 2012 - 14:32 Uhr
Die Geschichte vom Suppenkaspar, 2. Teil

marc carnal
Marc Carnal, der schönste Mann von Wien, sammelt seit geraumer Zeit Einkaufslisten.
Unterstützt wird er dabei von einem stetig wachsenden Kreis an redlichen Helfern, die ihn regelmäßig mit am Wegesrand oder in Supermärkten aufgelesenen Zettelchen beliefern, auf denen Fremde seltsame, amüsante, wirre, ungesunde oder fragwürdige Gedankenstützen notiert haben.
Zu diesen teils zauberhaften Stichwortsammlungen verfasst Herr Carnal dann Texte und trägt diese zwischendurch auch öffentlich vor.
Termine findet man hier

marc carnal
Den Autor dieser Zeilen zu tadeln, weil er keinen großen Wert auf Rechtschreibung legt, wollen wir unterlassen und ihn stattdessen loben – schließlich möchte er sich Gemüsesuppe kaufen. Diese ist gesund und sollte nicht nur zubereitet, sondern auch gegessen werden. Isst man über einen Zeitraum von vier Tagen nämlich keine Suppe, stirbt man an Unterernährung. Zumindest geht das aus einem berühmten Poem hervor, jenem vom Suppenkaspar. Nachdem dieser wiederholt die Nahrungsaufnahme mit den Worten „Ich esse meine Suppe nicht! Nein, meine Suppe ess ich nicht!“ verweigert, ist er dünn wie ein Fädchen und scheidet dahin.
Das Gedicht ist formal prächtig, allerdings wird nur das Krankheitsbild der Magersucht beschrieben, andere Essstörungen werdenjedoch ausgespart . Ich habe es mir daher zur Aufgabe gemacht, einen zweiten Teil des Suppenkaspars zu verfassen, der die Bulimie behandelt.
Die Geschichte vom Suppenkaspar, 2. Teil
Der Kaspar, der war kerngesund,
so dachte man zumindest und
sein satter Teint und die Statur,
die gaben keinen Anlass zur
Besorgnis. Was man ihm servierte,
aß er immer brav und zierte
sich dabei im Grunde nie.
Er wirkte samt und sonders wie
ein wohlgenährtes, frohes Kind.
Doch ebensolche Kinder sind
nicht selten nur nach außen hin
perfekt - und auch geübt darin,
die tiefen Krater ihrer Seelen
dem Umfeld vollends zu verhehlen.
So ging der Kaspar still nach jeder
feinen Mahlzeit bar jedweder
Zweifel auf den nächsten Lokus,
alsdann galt schon sein ganzer Fokus
dem Ziel, sich auf pikante Weise
von der zuvor verzehrten Speise
so schnell wie möglich zu befreien
und sie in den Abort zu speien.
Er rammte sich mit nicht geringer
Kraft den ganzen Zeigefinger
rein in seinen wunden Schlund,
dann würgte er ganz bitter und
es schoss das unverdaute Mahl
in einem nicht zu dünnen Strahl
in die Toilette, bis er fühlte,
dass er leer war und da spülte
er den sauren Brei auch schon
in die Kanalisation.
So ging das viele Jahre lang,
selbst nach dem kleinsten Imbiss zwang
des Kaspars äußerst morsche Psyche
ihn, schnellstmöglich von der Küche
Richtung stillen Ort zu streben,
um sich dort zu übergeben.
Seine Eltern wurden skeptisch,
aus dem Maul roch Kaspar septisch,
wurde immer öfter krank,
bleich und müde, viel zu schlank,
ausgelaugt, nervös, gereizt,
fröstelnd, auch wenn eingeheizt.
Schließlich brachten ratlos sie
Kaspar in die Psychiatrie,
wo er länger weilen sollte,
weil man ihn so heilen wollte.
Aber schon am vierten Tage
fand er seine Lebenslage
allzu düster und so schritt
er geknickt zum Suizid.