Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Hass auf Berlin"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

7. 1. 2012 - 13:45

Hass auf Berlin

Dieser Tage sind wieder drei Hassbücher über Berlin erschienen. Was ist dran an der Abneigung und wie denken die BerlinerInnen über ihre Stadt?

Die Stadt Berlin wird ja heiß geliebt aber auch arg gehasst und viel geschmäht, vor allem von den frisch Zugezogenen, die nicht aus freien Stücken sondern aus beruflichen Gründen hier leben müssen und von den Miesmachern aus den langweiligeren Städten Deutschlands, die gerne hier wären, aber den Absprung nicht geschafft haben.

Vor allem Journalisten, die von München oder Hamburg nach Berlin ziehen mussten, haben diesen Hass weiter geschürt und das Berlin Bashing zu einem neuen literarischen Genre erhoben: Dem Berlin-Hass-Buch.
Die beliebtesten Vorwürfe dieser Hassbücher lauten:
Berlin wird überbewertet, es ist spießig und provinziell, die Selbstüberschätzung der Hauptstädter ist unerträglich. Sie
haben keinen Stil und sind unfreundlich, Berlin ist eine Servicewüste, es gibt weniger Feinkostläden und Schicki-Clubs als in München, die Stadt ist hässlich, Architektur und Politik sind furchtbar. Und dann die Berliner Hysterie! Diese Selbstbeweihräucherung, und soviel ist in Berlin gar nicht los! Gerne werden in solchen Büchern auch gängige Nichtigkeiten und Schnee von gestern verbreitet: Hundescheiße, Unhöflichkeit, Latte-Macciato-Muttis.

berlin-hasser-buch

eichborn verlag

Ende des letzten Jahr sind wieder drei Hassbücher über Berlin erschienenen. „I hate Berlin – unsere überschätzte Hauptstadt“ heißt eines davon, darin lassen sich Berlin-Hasser der jüngeren Generation zugespitzt über die Hauptstadt aus. „Vergiss Berlin – Eine Reisewarnung“ wiederum ist ein Anti-Reiseführer, er geht dahin, wo es weh tut: zu den Berliner Kabarettisten und C-Prominenten und an die Currywurstbuden. Und dann wurde auch der Klassiker „Berlin ist das Allerletzte – Absagen in höchsten Tönen" wieder neu aufgelegt. Darin wurden
Negativbelege aus der Literatur von Schopenhauer, Turgenjew, Kleist und vielen andere alten, toten Männern gesammelt und Berlin kommt nicht gut weg dabei.
Aber was sagt die Berlinerin zu all dem Hass?

Es gibt jede Menge schönere Städte als Berlin, im Vergleich zu einer Metropole wie London ist Berlin sehr wenig international und ab und an leidet man auch an Berlin. Und trotzdem: Wenn man eine Zeitlang im Rest Deutschlands in anderen Städten unterwegs war, möchte man bei der Rückkehr doch immer wieder den Berliner Boden küssen, so froh ist man, in Berlin wohnen zu können. Dieses subjektive Gefühl wurde im letzten Jahr sogar durch eine offizielle Studie bestätigt. Obwohl die Berliner ärmer und arbeitsloser als die Durchschnittsdeutschen sind, identifizieren sie sich sehr mit ihrer Stadt. Sie fühlen sich in Berlin ausgesprochen wohl und würden sie Auswärtigen durchaus empfehlen. Der Stadt Berlin gelingt dieses sehr hohe Maß der Identifizierung der Bevölkerung, weil sie interessante und in sich relativ homogene Lebenswelten für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen anbietet. Die große Überraschung der Studie ist also, dass die subjektive Stimmung der Berlinerinnen und Berliner erheblich besser ist, als ihre objektive Einschätzung der Lage der Stadt. Wer Berlin hasst, ist also einfach noch nicht richtig hier angekommen.